Eingeschleppte Art Schottland startet Massenkeulung grauer Eichhörnchen

Sie sind kräftig, sie klauen Futter und sie kommen aus Amerika: Graue Eichhörnchen werden jetzt in Schottland massenhaft getötet, um das Überleben der einheimischen roten Eichhörnchen zu sichern. Biologen meinen: Ein gefährliches Pockenvirus erfordert schnelles Handeln.

Das Übel kommt aus England. Schottische Biologen blicken mit großer Sorge nach Süden, wo sich immer wieder graue Eichhörnchen aufmachen Richtung Norden über die Grenze zwischen England und Schottland. Die Tiere tragen das Parapoxvirus, ein Pockenvirus, in sich, das ihnen selbst nichts anhaben kann, dafür aber die in Schottland lebenden roten Eichhörnchen reihenweise dahinrafft.

England trifft freilich nur ein Teil der Schuld, die Wurzel des Übels liegt in Amerika. Dort sind die grauen Kletterer mit dem buschigen Schwanz nämlich eigentlich zu Hause. 1876 wurde das erste Paar grauer Eichhörnchen (Sciurus carolinensis) in der nordwestenglischen Grafschaft Cheshire ausgesetzt - ein Mitbringsel aus der Neuen Welt. 16 Jahre später huschten auch im Zoo von Edinburgh die ersten Vertreter über Büsche und Bäume - es war die Premiere für Schottland.

Was anfangs noch als exotischer Import galt, ist mittlerweile ein großes Problem: Heute, mehr als 130 Jahre später, haben die grauen Eichhörnchen die in ganz Großbritannien einheimischen roten Vertreter fast vollständig verdrängt. Sie sind etwas größer gewachsen, können auch größere Früchte wie Eicheln oder Haselnüsse fressen - ein Vorteil im Duell mit den roten Eichhörnchen vor allem in Misch- und Laubwäldern. Geschätzte drei Millionen graue Hörnchen leben mittlerweile auf der Insel, von den roten gibt es nur noch etwa 160.000.

Tötung "absolut notwendig"

Nun könnte das von den grauen Hörnchen übertragene Parapoxvirus ihnen endgültig den Garaus machen. Biologen und Politiker wollen jedoch nicht hinnehmen, dass ein Invasor aus Amerika ihre geliebten roten Kletterer vollständig verdrängt. Am Mittwoch hat deshalb eine großangelegte Keulungsaktion grauer Eichhörnchen in Schottland begonnen, wo immerhin 75 Prozent aller roten Hörnchen der Insel leben. "Die Tiere werden lebendig mit Fallen gefangen und dann in der Regel erschossen", sagt der Biologe Richard Wales im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er leitet das Projekt Red Squirrels in South Scotland, mit dem das Überleben der Art gesichert werden soll.

Auf einem etwa 25 Kilometer breiten Streifen von Ost- zu Westküste versuchen die Forscher, die grauen Eichhörnchen zu eliminieren. Eine Art Schutzkorridor soll entstehen, damit das gefährliche Parapoxvirus nicht weiter nach Norden vordringen kann.

"In Schottland leben schätzungsweise 250.000 graue Eichhörnchen", sagt der Biologe Wales. "Je mehr jetzt getötet werden, umso besser ist das für das Überleben der roten Tiere." Im Vorjahr seien bereits 8000 Tiere gekeult worden. Wie viele es 2008 werden, kann Wales nicht beziffern - nur so viel: "Wir rechnen mit einer weit höheren Zahl."

Schottlands Umweltminister Mike Russel steht voll und ganz hinter der Aktion: Die Tötung sei "absolut notwendig", erklärt er, es gebe keine Alternative dazu. Ein wenig schottischer Nationalstolz schwingt wohl auch mit. "Das rote Eichhörnchen gehört zu den schönsten und wertvollsten einheimischen Arten", erklärte der Minister dem Fernsehsender BBC, Schottland sei einer der wenigen verbliebenen Lebensräume.

Nicht nur auf der Insel - auch in Norditalien booten die aus Amerika stammenden grauen Eichhörnchen die rote Konkurrenz aus. Vor 60 Jahren hatte ein italienischer Politiker vier Exemplare von einem Amerika-Besuch mitgebracht. Auch in Italien verdrängt die nichtheimische die angestammte Art immer mehr. Und das, obwohl es in Italien das Parapoxvirus nicht gibt.

Freche Waschbären und gefräßige Monsterkröten

Wissenschaftler haben die grauen Tiere dabei beobachtet, wie sie Nüsse und Samen aus Verstecken der roten Hörnchen gestohlen haben. So wurde für manchen Vertreter die Nahrung im Winter knapp, die etwa zur Hälfte aus im Herbst gebunkerten Vorräten besteht.

Probleme mit eingeschleppten, nichtheimischen Arten, die das biologische Gleichgewicht verändern, gibt es immer wieder. Ein besonders drastisches Beispiel ist die gigantische Aga-Kröte in Australien, die sich örtlich zu einer Landplage entwickelt hat. In Deutschland gehören auch die Waschbären zur den sogenannten Neozoen, die etwa in Kassel massenhaft auftreten und in Häusern Futter suchen.

Die jetzt in Schottland angelaufene Massentötung stößt bei Tierschützern auf Kritik. Die Organisation Advocates for Animals erklärte, es handle sich um ein vom Menschen geschaffenes Problem, man müsse nach einer ethischen, langfristigen Lösung suchen.

Richard Wales von der Organisation Red Squirrels in South Scotland stimmt dem prinzipiell zu. "Der Mensch ist Ursache des Problems, es muss auch vom Menschen gelöst werden." Es sei unwahrscheinlich, dass die grauen Eichhörnchen komplett aus Schottland verschwinden. "Als Biologe sage ich: Sie müssten es aber, denn sie sind eine fremde, nichtheimische Art."

Wales will ebenso wie Advocates for Animals eine langfristige Lösung. "Wir wollen eine Impfung gegen das Virus entwickeln - und arbeiten an einer Empfängnisverhütung für die Tiere." Kurzfristig gebe es zur Keulung aber keine Alternative. "Wir müssen jetzt handeln, wir haben nicht zehn Jahre Zeit."

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