Meteoriten im Anflug Erde unter Beschuss
Hamburg - Die Erde steht unter Beschuss. Nachdem ein Meteorit über der russischen Stadt Tscheljabinsk explodiert ist, schrammt heute der kosmische Fels "2012 DA 14" knapp 30.000 Kilometer an der Erde vorbei; er gefährdet jedoch höchstens Satelliten.
Womöglich aber drohen weitere Einschläge, meint Mario Trieloff von der Universität Heidelberg. "Vielleicht erlebt die Erde einen Meteoritenschauer", sagt der Experte. Weitere kleine Treffer aus dem All, die höchstwahrscheinlich unbewohntes Gebiet treffen würden, seien möglich. Manche Meteoriten reisen zu zweit oder in Gruppen durchs All. Viele zerbrechen auch beim Anflug auf die Erde - wie nun jener über Russland. Wahrscheinlich sei jedenfalls, dass in der betroffenen Region weitere Bruchstücke niedergegangen seien, sagt Trieloff.
Einen Zusammenhang zwischen "2012 DA 14" und dem Einschlag in Russland meinen Astronomen aber ausschließen zu können, die Felsen kommen anscheinend aus unterschiedlichen Richtungen: Der Meteorit im Ural sei aus Richtung der aufgehenden Sonne gekommen, berichtet Rainer Kresken von der Europäischen Raumfahrtagentur Esa - die Flugbahn sei anhand der Videos der glühenden Rauchfahne des Meteoriten nachzuvollziehen. "2012 DA 14" hingegen fliege von Süden nach Norden über die Erde.

Meteorit über Russland: Eine Spur der Verwüstung
Wohl noch nie wurde die Zivilisation so stark von einem Meteoriten getroffen wie nun in Russland; bislang ereigneten sich größere Einschläge abseits größerer Ortschaften wie 1908 in Sibirien am Fluss Tunguska. Über der Stadt Tscheljabinsk zerplatzte am Morgen unter glühendem Donner eine kosmische Bombe, ihre Fragmente regneten auf den Boden. Dächer und Scheiben zerbarsten, Hunderte Menschen wurden verletzt.
Ein vermutlich mehrere Meter großer Brocken sei mit rund 50.000 km/h in die Atmosphäre gerast, rekonstruiert Thomas Kenkmann, Meteoritenexperte an der Universität Freiburg, die Ereignisse. Die kosmische Bombe mit dem Gewicht von mutmaßlich mehreren Dutzend Tonnen hat die Luft so stark zusammengepresst, dass ihre Atome auseinanderrissen, positiv und negativ aufgeladene Teilchen wurden getrennt - die Luft leuchtete. Die Luft bremste den Meteoriten stark ab, das Gestein heizte sich auf, bis es glühte.
Millionen Brocken kreuzen Erdbahn
Der Meteorit traf die Erde ohne Vorwarnung, Geschosse aus dem All kommen meist überraschend. Jeden Tag prasseln Abermillionen Staub- und Steinpartikel mit einem Gesamtgewicht von Hundert Tonnen aus dem All auf den Planeten, manche verglühen als Sternschnuppen. Häufig stürzen metergroße Geschosse wie nun der in Russland auf den Boden; meist jedoch abseits der Zivilisation. Bezeugt wurden etwa Einschläge 2008 in der Einöde des Sudan und 2007 nahe eines Bergdorfes in Peru.
2002 krachte der Britin Siobhan Cowton auf der Straße ein Steinchen vor die Füße, der faustgroße Klumpen war noch heiß. "Das passiert nicht sehr oft in Northallerton", kommentierte die damals 14-Jährige ihren Fund in ihrem Heimatort.
Doch jederzeit drohen größere Einschläge. Schon ein mäßig großer Klumpen von 50 Meter Dicke könnte eine Millionenstadt vernichten. Etwa zehn Millionen dieser Brocken kreuzen irgendwann die Erdbahn, vermuten Wissenschaftler. Könnte man sie per Knopfdruck erleuchten lassen, würde fast das gesamte Firmament blinken.
Auf gefährlichem Weg
Solch ein Trumm von der Größe eines etwa achtstöckigen Hochhauses schlägt einen ein Kilometer breiten Krater, es entfacht Feuersbrünste, Staubstürme und ein gewaltiges Erdbeben. Ein Aufschlag im Meer würde riesige Tsunamis an die Küsten schicken. Ein hundert Meter großer Meteorit und sein kleinerer Begleiter schufen vor 15 Millionen Jahren den 24 Kilometer breiten Krater Nördlinger Ries und das Steinheimer Becken in Süddeutschland.
Die Anzahl der "erdnahen Meteoriten" errechnen Wissenschaftler auf ähnliche Weise wie Umfragen vor einer Wahl: Sie nehmen Stichproben und schließen auf die Gesamtmenge. Je größer Meteoriten sind, desto seltener sind sie zwar. Gleichwohl können etwa 100.000 Geschosse von 250 Meter Durchmesser die Bahn unseres Planeten kreuzen, meinen Astronomen. Und selbst gut tausend mehr als ein Kilometer dicke Felsen kreisen auf gefährlichen Bahnen. Ein Einschlag würde Milliarden Menschen töten und die Umwelt auf der Erde für immer verändern - es wäre die größtmögliche Katastrophe.
"Große Objekte lassen sich recht gut identifizieren", sagt Trieloff. Kenne man ein gefährliches Objekt Jahre im Voraus, ließe sich seine Bahn womöglich ändern, etwa indem mit Hilfe von Satelliten Sonnenlicht auf den Meteoriten gebündelt werde.
Vorwarnung ist Glückssache
Größte Sorge bereiten kleinere Objekte: Die Millionen hochgefährlicher 50-Meter-Geschosse etwa bleiben meist im Dunkeln. "Solche Brocken werden selten und wenn überhaupt nur per Zufall entdeckt", sagt Mario Trieloff. Sie fielen meist erst auf, wenn sie in der Nähe der Erde auftauchen. Lediglich drei bis fünf Teleskope überwachen systematisch den Himmel. Jeder der Späher jedoch prüft jeweils nur einen winzigen Ausschnitt des Firmaments.
Selbst nach der Entdeckung eines Meteoriten unterliegen die Vorhersagen einem immensem Problem: Die Bahn des Geschosses muss längere Zeit beobachtet werden, um ihren Verlauf präzise vorhersagen zu können. Je weniger Beobachtungen des Meteoriten es gibt, desto mehr mögliche Bahnen sind mit den Daten vereinbar.
Doch kleinere Meteoriten in größerer Entfernung seien selbst mit den besten Geräten meist nicht zu sehen. "Vorwarnung", sagt Trieloff, "ist reine Glückssache."