Zwei Grad - um mehr darf sich die Erde nicht erwärmen, zumindest ist dies das offizielle Ziel beim Uno-Klimagipfel in Doha. Doch eine neue Studie zeigt: Die Menschheit steuert auf ein Plus von fünf Grad zu. Die Folgen wären verheerend.
Normalerweise ist Christiana Figueres durchaus begeisterungsfähig. Die oberste Klimadiplomatin der Vereinten Nationen kommentiert über ihren persönlichen Twitter-Account selbst kleinste Fortschritte im Kampf gegen die Erderwärmung mit beeindruckender Euphorie. Doch zuletzt war der Costa-Ricanerin nicht nach Jubeln zumute. Sie sehe kaum öffentliches Interesse und Unterstützung, um Regierungen zu "ambitionierten und mutigen Entscheidungen" zu bringen, beklagte Figueres nach der ersten Woche des Klimagipfels in Katars Hauptstadt Doha.
Der Pessimismus ist begründet. Seit 2010 lautet das offizielle Verhandlungsziel, den Anstieg der globalen Temperatur bis zum Jahr 2100 auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Die kleinen Inselstaaten drängen in Doha sogar auf ein Anderthalb-Grad-Ziel. Doch Wissenschaftler sind sich sicher, dass diese Marke kaum noch einzuhalten ist.
Eine neue Studie zeigt jetzt, wie weit die Welt wirklich vom Zwei-Grad-Ziel entfernt ist: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden es fünf Grad werden", sagt Glen Peters vom norwegischen Forschungsinstitut Cicero zu SPIEGEL ONLINE. Eine derart dramatische Erwärmung, darin sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig, hätte verheerende Konsequenzen.
Peters hat zusammen mit Corinne Le Quéré vom britischen Tyndall Centre for Climate Change und Kollegen vom Global Carbon Project berechnet, wie weit Anspruch und Wirklichkeit beim Klimaschutz auseinanderklaffen. Im Fachmagazin "Nature Climate Change" kommen sie zu folgenden Ergebnissen:
Zwischen 1990 und 2011 ist der globale CO2-Ausstoß um 54 Prozent gestiegen. Mit dem für 2012 prognostizierten weiteren Plus ergibt sich sogar ein Anstieg von 58 Prozent. Insgesamt bläst die Menschheit dann allein dieses Jahr 35,6 Gigatonnen (Gt) des Treibhausgases in die Luft.
Der Anstieg lag im Durchschnitt bei 3,1 Prozent pro Jahr. 2012 waren es mit geschätzten 2,6 Prozent zwar etwas weniger, doch das lag vor allem an der Wirtschaftskrise.
Die Emissionen folgen den extremsten der Szenarien ("RCP 8.5") aus dem kommenden Weltklimabericht, der im Jahr 2014 vorgestellt werden soll. Es dürfte in der Praxis damit deutlich mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis der weltweite CO2-Ausstoß sinkt. Das aber wäre zu spät, um auch nur theoretisch das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.
Die größten Verschmutzer sind China (28 Prozent des Gesamtausstoßes), die USA (16 Prozent), die EU (11 Prozent) und Indien (7 Prozent). In Europa ging der CO2-Ausstoß zwar im vergangenen Jahr um 1,8 und in den USA um 2,8 Prozent zurück. Dafür aber wuchs er in China um fast zehn Prozent. Allein das chinesische Plus entsprach damit in etwa dem gesamten Ausstoß Deutschlands.
Die Folgen einer Erderwärmung um fünf Grad wären fatal. Schon bei einem Temperaturanstieg um zwei Grad erwarten Forscher ein Abschmelzen von Gletschern und Polkappen, einen dramatisch steigenden Meeresspiegel, Dürren sowie weltweite Migrationsströme. Bei einem Anstieg um fünf Grad könnten sich diese Effekte noch deutlich verstärken.
CO2-Ausstoß im Jahr 2011
Pro-Kopf-Ausstoß (in t)
Gesamtausstoß (in Gt, in %)
Wachstum (in Gt, in %)
Industrieländer
11,0
13,3 (40%)
-0,094 (-0,7%)
USA
17,1
5,4 (16%)
-0,101 (-1,8%)
EU27
7,2
3,6 (11%)
-0,105 (-2,8%)
Russland
11,8
1,68 (5,1%)
0,047 (2,9%)
Japan
9,3
1,18 (3,6%)
0,004 (0,4%)
Deutschland
9,0
0,74 (2,2%)
-0,028 (-3,6%)
Entwicklungs- und Schwellenländer
3,4
19,7 (60%)
1,199 (6,5%)
China
6,7
9,1 (28%)
0,823 (9,9%)
Indien
1,8
2,26 (6,8%)
0,157 (7,5%)
Iran
8,4
0,64 (1,9%)
0,012 (1,9%)
Südkorea
11,9
0,58 (1,7%)
0,020 (3,7 %)
Südafrika
10,2
0,52 (1,6%)
0,008 (1,5%)
Quelle: Golbal Carbon Project
Die neue Auswertung zeigt deutlich, dass China eine Schlüsselrolle zukommt. Der Kurs in Peking entscheidet über die Zukunft des Weltklimas. "Es gibt starke Argumente, dass China mehr tun muss als bisher", sagt Forscher Peters. Bisher will sich das Land aber keinesfalls zu absoluten CO2-Reduzierungen verpflichten. Sinken soll nur der CO2-Ausstoß, der für jedes einzelne Produkt anfällt. Bei der sogenannten Energieintensität der Wirtschaft ist bis 2020 ein Minus von 45 Prozent geplant.
Doch wegen des starken Wachstums der chinesischen Wirtschaft kommt bei den absoluten Emissionen immer noch ein dicker CO2-Aufschlag zusammen. Der Climate Action Tracker (CAT), ein gemeinsames Projekt von Climate Analytics, Ecofys und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, rechnet vor, dass die CO2-Emissionen des Landes von jetzt gut neun Gigatonnen CO2 pro Jahr auf rund 14 Gt im Jahr 2020 hochschnellen dürften - wenn die bisherige Selbstverpflichtung eingehalten wird. Sonst würden sogar 18 Gt zusammenkommen.
Absolute Reduktionsziele wird es für China vorerst nicht geben: Die Regierung verweist - ähnlich wie etwa Indien - auf den Status als Entwicklungsland. Durch die Uno-Klimarahmenkonvention von 1992 werden Industrie- und Entwicklungsländer grundsätzlich unterschiedlich behandelt. Das soll sich auch dadurch nicht ändern, dass die Volkswirtschaften seitdem teils dramatisch gewachsen sind:
1990 waren Entwicklungsländer für 35 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich, im Jahr 2011 waren es schon 58 Prozent.
Der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2, der oft als Gradmesser individuellen Wohlstands herangezogen wird, liegt in China mit 6,7 Tonnen fast auf Höhe des EU-Durchschnitts von 7,2 Tonnen.
Fortschritte in den internationalen Klimaverhandlungen, darin ist sich Peters mit zahlreichen Beobachtern einig, können nur von den Entwicklungs- und Schwellenländern kommen. Würden sie mitmachen, könnte der Druck auf die USA entscheidend wachsen. Die Verlängerung des Kyoto-Klimaschutzprotokolls sei dagegen im Bezug auf die CO2-Emissionen bedeutungslos, meint Peters - schließlich machen neben der EU nur europäische Staaten wie Norwegen und die Schweiz sowie Australien mit. Und selbst hier gibt es in Doha Streit, weil zum Beispiel Polen und Russland darauf beharren, bisher ungenutzte Verschmutzungsrechte auch in Zukunft lukrativ verkaufen zu können - insgesamt geht es um 13 Gt Kohlendioxid.
Durch eine zweite Phase des Kyoto-Protokolls würden bestenfalls politische Mechanismen wie der Emissionshandel über die Zeit gerettet, bis ein neuer Weltklimavertrag in Kraft tritt, sagt Peters. Nach dem bisherigen Plan soll das 2020 sein. "Schon alleine wegen des Zeitplans verhandeln die Delegierten aber über deutlich mehr als zwei zusätzliche Grad", warnt der Forscher. "Der Verhandlungstext ist unvereinbar mit dem Ziel."
Dürre in der Sahel-Zone (April 2012): Forscher des Global Carbon Project warnen, dass sich die Menschheit angesichts der aktuellen CO2-Emissionen auf dem Kurs für eine im Schnitt fünf Grad wärmere Welt befindet.
Foto: Ben Curtis/ AP
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Warnung an Deutschland: Die Bundesrepublik fällt im aktuellen Klimaschutz-Index der Umweltorganisation Germanwatch zurück.
Foto: Daniel Reinhardt/ dpa
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Verhandlungen auf dem Klimagipfel in Katar: Die Staaten sind bisher schlicht nicht in der Lage, das CO2-Problem zu lösen. Das offizielle Verhandlungsziel lautet seit 2010, den Anstieg der Erdtemperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen. Die kleinen Inselstaaten drängen in Doha sogar auf ein Anderthalb-Grad-Ziel. Die neue Studie zeigt nun, wie dramatisch weit die Welt von dieser Marke entfernt ist.
Foto: Str/ dpa
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Klimaaktivisten (vor der US-Botschaft in Manila, November 2012): Der Klimagipfel in Doha wird voraussichtlich keinen Durchbruch bringen.
Foto: TED ALJIBE/ AFP
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Arbeiter in einem indischen Stahlwerk (bei Jammu, Juni 2012): Nach Statistiken des Uno-Umweltprogramms sind allein seit dem Jahr 2000 die weltweiten CO2-Emissionen um rund 20 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum hat ein knappes Dutzend Weltklimagipfel stattgefunden - ohne große Erfolge.
Foto: MUKESH GUPTA/ REUTERS
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Uno-Klimachefin Christiana Figueres in Katar: Zuletzt war der sonst so positiven Costa-Ricanerin nicht nach Jubeln zumute. Sie sehe kaum öffentliches Interesse und Unterstützung, um Regierungen zu "ambitionierten und mutigen Entscheidungen" zu bringen, beklagte Figueres nach der ersten Woche des Klimagipfels von Doha.
Foto: Osama Faisal/ AP
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Diskussion um Gastgeber: Katar ist der Staat mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. In diesem Werk in Sailija wird Elektrizität aus Öl erzeugt. Manche Umweltschützer kritisieren, dass Katar den Klimagipfel ausrichtet. Andere hoffen, dass das Land unter anderem das bisher betonköpfige Saudi-Arabien zu Zugeständnissen bei den Verhandlungen bewegen kann.
Foto: KARIM SAHIB/ AFP
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Erzeugung von Wind- und Solarstrom (bei Westheim in Unterfranken, März 2010): Zwar steigt der Anteil erneuerbarer Energien in vielen Teilen der Welt, doch der Stromverbrauch wächst oft noch stärker - ein Problem für das Klima. Beim Gipfel wird deswegen auch über Technologietransfers von Industrie- in Entwicklungsländer gesprochen - und über die Finanzhilfen, auch zum Kauf von umweltfreundlicher Stromerzeugungstechnik.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ dpa
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EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard (in Brüssel, Mai 2010): Sollte die Welt das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen, so warnt sie, werde es "für alle von uns sehr viel teurer, als wir es uns heute ausmalen können". Doch noch nicht einmal die Europäer haben es geschafft, sich vor dem Gipfel auf ehrgeizige Klimaschutzziele zu einigen. Die EU wird den Gipfel deswegen kaum voranbringen können.
Foto: Thierry Charlier/ AP
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Demonstrant mit Obama-Bild (in Kopenhagen, Dezember 2009): In Washington konnte US-Präsident Barack Obama größeres Engagement jahrelang nicht in der heimischen Politik durchsetzen. Auch nach der Wiederwahl lässt er Enthusiasmus vermissen.
Foto: Peter Dejong/ AP
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Zerstörungen durch den Hurrikan Sandy (in New York City, November 2012): Durch den Wirbelsturm war der Klimawandel kurz Thema im US-Wahlkampf. Doch nicht lange genug, um für Obama politisch wichtig zu werden.
Foto: LUCAS JACKSON/ REUTERS
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Boomende Schwellenländer (Arbeiter in Rio, Juni 2012): Länder wie Brasilien, Indien oder China verweisen immer wieder auf ihren weiter bestehenden Aufholbedarf - und darauf, dass die klassischen Industrieländer aus der Vergangenheit noch eine CO2-Schuld haben - für die Zeit, in der sie die Atmosphäre allein verpestet haben.
Foto: Mario Tama/ Getty Images
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Solarpaneele in China (Tianjin Binhai New Area, November 2011): China hat großes Interesse an grünen Technologien und setzt diese auch in großem Stil ein. Bei der Windkraft liegt das Land global schon vorn. Doch in Peking hat man keine Lust auf feste CO2-Reduktionsverpflichtungen. Von der neuen chinesischen Führung wird auf dem Klimagipfel einstweilen wenig zu erwarten sein, sie muss ihre Linie noch finden.
Foto: How Hwee Young/ dpa
Diskussion um Gastgeber: Katar ist der Staat mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. In diesem Werk in Sailija wird Elektrizität aus Öl erzeugt. Manche Umweltschützer kritisieren, dass Katar den Klimagipfel ausrichtet. Andere hoffen, dass das Land unter anderem das bisher betonköpfige Saudi-Arabien zu Zugeständnissen bei den Verhandlungen bewegen kann.