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Anthropozän: Auf der Fährte des Menschen

Foto: JOHN MCCONNICO/ AP

Erdgeschichte "Wir sind auf der Erde das dominierende Raubtier"

Globale Erwärmung, Anstieg der Meeresspiegel, Brandrodung: Die Menschheit beeinflusst die Umwelt - so massiv, dass immer mehr Forscher ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, ausrufen wollen. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der britische Geologe Jan Zalasiewicz, ob die Forderung berechtigt ist.

SPIEGEL ONLINE: Verändert der Mensch die Erde wirklich so langfristig und nachhaltig, dass unsere Erdepoche vom derzeitigen Holozän in ein neues Anthropozän umbenannt werden muss?

CO2-Emissionen

globalen Erwärmung

Zalasiewicz: Wir verändern die Zusammensetzung der Arten auf der Erde massiv. Unsere führen zu einer und zu einer messbaren Versauerung der Ozeane. Viele andere tiefgreifende Veränderungen laufen schon längst, andere, wie der Anstieg der Meeresspiegel, werden in den kommenden Jahrhunderten und Jahrtausenden hinzukommen. Nach unseren heutigen Erkenntnissen kann man die Forderung, unsere Epoche in Anthropozän umzubenennen, zumindest mit gutem Recht erheben. Der Mensch gestaltet bereits die Bodenschichten um, die sich ablagern und ablagern werden. Dazu gehören auch neuartige künftige Bodenschichten, die wir heute Städte nennen.

SPIEGEL ONLINE: Was muss wissenschaftlich noch erforscht werden, um zu entscheiden, ob wir unsere Erdepoche umbenennen sollten?

Zalasiewicz: Wir müssen überzeugend darlegen können, dass die globalen Umweltveränderungen durch den Menschen tiefgreifend genug sind, um klar unterscheidbare und deutliche Signale in den Bodenschichten zu hinterlassen, die sich heute und in Zukunft bilden. Wir müssen also erkunden, ob sich das Anthropozän ausreichend abgrenzen und geologisch rechtfertigen lässt. Zudem müssen wir ermitteln, ob der Name Anthropozän für Wissenschaftler und für die Öffentlichkeit nützlich ist, ob er es also erleichtert, die Erdgeschichte zu erforschen.

SPIEGEL ONLINE: Sie leiten eine Expertengruppe, die eine solche Umbenennung offiziell prüft. Wer hat überhaupt die Autorität, einen Namenswechsel zu vollziehen?

Zalasiewicz: Wenn unsere "Arbeitsgruppe Anthropozän" einen Konsens findet, werden wir ihn an unsere übergeordnete Gesellschaft, die Unterkommission für die Stratigraphie des Quartärs, weiterleiten. Wenn sie ein Ergebnis hat, wird sie es an die Internationale Kommission für Stratigraphie übergeben. Dort wird der Vorschlag dann erörtert, dann stimmt das Sekretariat der Kommission gemeinsam mit den Vorsitzenden anderer Unterkommissionen, etwa zum Kambrium und zum Jura, darüber ab. Wenn sich dann alle einig sind, geht das Ganze an die International Union of Geosciences. Es ist also ein sehr langer Prozess. Aber es geht ja auch um sehr lange Zeiträume.

SPIEGEL ONLINE: Offiziell vorgeschlagen hat die Umbenennung der Nobelpreisträger Paul Crutzen 2002 in einem Beitrag für das Fachjournal "Nature" . Was hat dieser Begriff bei Ihnen als Geologe ausgelöst?

Zalasiewicz: Die Anthropozän-Idee hat auf den Punkt gebracht, dass das, was wir Menschen tun, auf der extrem langen geologischen Zeitskala von Bedeutung sein könnte. Das anzuerkennen ist für einen Geologen, der in wirklich langen Zeiträumen denkt, schon ein ziemlicher Schritt.

SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist die Kritik an der Anthropozän-Idee? Schließlich könnte man einwenden, dass es eine sehr spekulative Sache ist, weil viele Veränderungen erst in Zukunft stattfinden dürften.

Zalasiewicz: Ja, genau das ist ein wichtiger Kritikpunkt. Zudem gibt es Kritiker, die das Anthropozän-Denken als Ausdruck menschlicher Überheblichkeit ansehen. Aber es gibt auch viel Unterstützung und positives Interesse. Die Stratigraphie-Kommission der Geologischen Gesellschaft von London besteht aus technisch orientierten Experten, das sind ganz bestimmt keine Umweltradikalinskis. Doch bei einer Sitzung haben 21 von 22 Wissenschaftlern es unterstützt, dass die Anthropozän-Idee weiter verfolgt wird.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Kritik nicht doch berechtigt, dass der Mensch sich überschätzt, wenn er sich zur geologischen Kraft erklärt?

Zalasiewicz: Diese Gefahr besteht natürlich. Aber wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir zur Zeit das absolut dominierende Raubtier auf dem Planeten Erde sind und uns wie Besitzer verhalten. Wir sind für die Biosphäre sicher nicht so wichtig wie das Kollektiv der Mikroorganismen. Ohne sie würde alles Leben schnell enden. Eine solche zentrale Rolle haben wir nicht, aber es geht ja darum, dass wir als einzelne Art so dramatische Veränderungen auslösen.

SPIEGEL ONLINE: Der Mensch als Besitzer der Erde - beunruhigt Sie das?

Klimawandel

Zalasiewicz: Besitzen ist auf jeden Fall etwas anderes als kontrollieren. Inzwischen hätte es fast jede Regierung auf der Erde gerne, dass wir unser kollektives Experiment in Form von wachsenden CO2-Emissionen irgendwie unter Kontrolle bringen. Aber im Kollektiv sind wir dazu im Moment nicht in der Lage. Wenn man sich das Beispiel anschaut, gibt es nicht so viele Gründe für menschliche Überheblichkeit.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Anthropozän in diesem Sinn mehr als ein geologischer Begriff, vielleicht sogar so etwas wie ein neuer Denkrahmen für unsere globale Verantwortung?

Zalasiewicz: Die Öffentlichkeit findet diesen wissenschaftlichen Begriff wohl genau deswegen so attraktiv. Das Wort Anthropozän bringt viele Phänomene zusammen, über die bisher eher getrennt nachgedacht wurde. Er vermittelt uns auch ein Gefühl für die Dimension und Bedeutung des globalen Wandels, den der Mensch auslöst. Zudem erlaubt die Idee vom Anthropozän es uns, die heutigen Veränderungen im Kontext der gesamten Erdgeschichte zu betrachten.

Das Interview führte Christian Schwägerl
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