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Maßgeschneidertes Leben: Bakterium erschaffen

Foto: J. Craig Venter Institute/ dpa

Erster künstlicher Organismus "Sie sollen tun, was wir wollen"

Die Menschheit kann jetzt Leben schaffen. Wissenschaftler um Craig Venter haben einen künstlichen Organismus erzeugt: am Computer konstruiert, im Labor erweckt. Der legendäre Forscher erhofft sich von neuen Wesen revolutionäre Eigenschaften - tatsächlich ist er seiner Vision näher denn je.
Von Cinthia Briseño

Craig Venter

Und am achten Tag erschuf künstliches Leben.

Ist der Mann ein Konkurrent Gottes? Ein neuer Frankenstein? Die Frage wird gestellt, seit Venter erstmals seine Visionen für die Genforschung formuliert hat - er selbst antwortet dann, er spiele nicht Gott. Er schaffe ja nicht das Leben von Grund auf neu. Er nutze nur, was die Natur ihm bietet. Das Material des Lebens. Die Bausteine der DNA. Er nehme sie und setze sie nur neu zusammen.

Jetzt hat er es wieder getan. Seinen Wissenschaftlern ist es gelungen, erstmals ein Bakterium mit künstlichem Erbgut zu schaffen - also künstliches Leben.

Ein lebensfähiges Bakterium mit einem vollständig künstlichen Genom hätten sie hergestellt, berichten die Forscher vom Craig Venter Institute in Rockville aus den USA im Wissenschaftsmagazin "Science" . Die Forscher beschrieben, wie sie Gene eines Bakteriums aus einzelnen Erbgutstückchen nachbauten und das so entstandene Kunstgenom in eine andere Bakterienart einsetzten. Die Folge: Das Originalerbgut der Zelle wurde abgestoßen. Stattdessen produzierte die gekaperte Zelle nur noch Stoffe, die auf dem künstlichen Erbgut gespeichert waren. So entstand eine Zelle, die von dem fremden Genom kontrolliert wurde - die Forscher sprechen von einer "synthetischen Zelle".

Entstehung des Lebens

Synthetischen Biologie

Was bedeutet Craig Venters neuestes Schaffenswerk? Es ist nicht das Ursuppen-Experiment, von dem viele träumen: jener Versuch der Rekonstruktion der Ereignisse vor Abermillionen von Jahren, die zur führten. Aber es geht doch um einen Meilenstein in der Geschichte der sogenannten .

Genauer: Es geht um ein wegweisendes Experiment mit den Bausteinen unserer DNA namens A, T, G, C. Die Kürzel stehen für die die Moleküle Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin, die Basen der DNA. Venters erster künstlicher Organismus ist aus einer Abfolge von rund einer Million AT- und GC-Paaren am PC entstanden. Eine Maschine hat aus diesem Bauplan das künstliche DNA-Molekül erschaffen. Die am Ende entstandene bakterielle Zelle ist zwar noch weit davon entfernt, ein Organismus zu sein, der nach den Wünschen der Forscher arbeitet, und es ist auch kein komplett neues Lebewesen - aber eine lebensfähige synthetische Zelle, die sich sogar selbständig vermehren kann.

"Sie sollen das tun, was wir wollen"

In einem SPIEGEL-Gespräch  sagte Venter einmal, er wolle künstliches Leben "sicher nicht in dem Sinne, dass wir alle Ingredienzen zusammengeschmissen, geschüttelt und mit einem Blitzschlag zum Leben erweckt hätten, das nicht". Soll heißen: Er will nicht Gott spielen. Aber mit A, G, C und T. Venter ist einer der Väter der Synthetischen Biologie. Er hat die Lebensbausteine studiert, im Erbgut zahlreicher Organismen gelesen, sie entschlüsselt, vom ersten Bakterium vor 15 Jahren hin zum Humangenom nur fünf Jahre später. Und nun macht er sich auf, um aus dem Gelernten neue Organismen zu erschaffen.

"Sie sollen das tun, was wir wollen", sagt er über die künstlichen Lebensformen - und gibt damit die Linie für die Synthetische Biologie vor, die längst zu einem riesigen Forschungszweig gewachsen ist, mit kühnen Visionen. Sie will biologische Strukturen und kleinere Organismen wie Bakterien mit neuen, in der Natur unbekannten Eigenschaften schaffen.

Molekularbiologen, Chemiker, Biotechnologen, Informationswissenschaftler, Computerspezialisten und Ingenieure arbeiten in der Disziplin zusammen. Nach und nach soll ein ganz neuer Wirtschaftszweig erwachsen, der in seinen Anfängen schon jetzt floriert. Venter betreibt ein Unternehmen namens Synthetic Genomics, in das üppige Investitionen fließen.

Erwächst aus der Wissenschaft eine gigantische Industrie?

Eines Tages wird man bei dem Unternehmen vielleicht ganze maßgeschneiderte Genome bestellen können. Diese sollen dann nicht weniger als globale Probleme lösen. Das Weltenergieproblem etwa.

Warum nicht Gene erschaffen, mit deren Hilfe ein Organismus Biokraftstoffe herstellt? Dem Ölkonzern Exxon Mobil war diese Idee schon eine Investition von mehreren hundert Millionen Dollar in die Synthetic Genomics wert. Venter finanziert damit ein Projekt mit Algen, die aus Sonnenlicht und Kohlendioxid Brennstoffe herstellen können sollen. So könnte das schädliche Treibhausgas CO2, das wir in Massen in die Erdatmosphäre blasen, plötzlich zur neuen Brennstoffquelle werden.

Bis es soweit ist, werden noch viele Jahre oder Jahrzehnte vergehen. Aber irgendwann wird es eine künstliche Form der Alge geben, die CO2 effizienter verarbeitet als die natürlichen Varianten - das gilt für viele Experten als sicher.

Organismen wie sie werden die globale Ökonomie verändern. Neue Medikamente, sauberes Benzin, Materialien, die sich selbst reparieren, Diagnostika: Es gibt kaum etwas, an das die Genom-Designer noch nicht gedacht hätten.

Spätestens seit der Entschlüsselung des Humangenoms polarisieren Venters Pionierleistungen. Dessen gibt er sich bewusst. Allzu gut kennt er die moralischen Bedenken. Er möchte den Kritikern vorgreifen: Schon in den späten neunziger Jahren hat sich sein Team mit den ethischen Fragestellungen auseinandergesetzt - nach eigenen Angaben noch vor den ersten Schaffensexperimenten.

Seither wird die Arbeit von Venters Team in regelmäßigen Abständen immer wieder ethisch begutachtet. Internationale Regeln, wie man mit einer solchen Hochrisikotechnologie umzugehen hat, gibt es bisher nicht. Die Liste der Untersuchungsberichte ist aber lang. Dass das genügt, um alle Bedenken und Ängste der Kritiker beiseite zu schieben, ist unwahrscheinlich. Aber die Evolution geht weiter.

Und Craig Venter wird mitmischen.

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