Erwärmung Klimabombe aus den Boom-Ländern

Seit Jahren mühen sich die westlichen Industrieländer, die Erderwärmung zu bremsen. Doch jetzt zeigt der neue Klimaschutzindex: Alle Anstrengungen könnten vergeblich sein - denn in Boom-Ländern wie China und Indien steigt der Treibhausgas-Ausstoß dramatisch an.
Von Volker Mrasek

Erinnert sich noch jemand an Frank Loy? Das war der Chef-Unterhändler der USA auf der 6. Weltklimakonferenz 2000 in Den Haag. Der einzige bisher, dem enttäuschte Umweltaktivisten eine Torte ins Gesicht geschleudert haben. Der US-Delegationsführer hatte nicht nur fantasievoll hochgerechnet, wie viel Kohlendioxid die heimischen Wälder speichern können. Knorrig wies er auch alle Ansinnen zurück, die USA - der größte Klimasünder auf dem Globus - möge doch endlich das Kyoto-Protokoll absegnen. Loys nonchalante Begründung: Solange Entwicklungs- und Schwellenländer nicht verpflichtet seien, ihre Treibhausgas-Emissionen zu senken, komme das für die Vereinigten Staaten auch nicht in Frage. Basta.

Die Industriestaaten hatten den Klimakarren in den Dreck gefahren, der Hauptverursacher stahl sich ungeniert aus der Verantwortung und instrumentalisierte auch noch die armen Länder, denen niemand sonst CO2-Minderungen aufbürden wollte. Loys Argumentation war fadenscheinig, aber sie enthielt auch einen wahren Kern, der heute immer stärker zum Vorschein tritt: Der Treibhausgas-Ausstoß von Ländern wie China, Indien und Brasilien geht im Galopp nach oben.

Zwischen 2000 und 2005 sind die globalen Kohlendioxid-Emissionen um 3,2 Prozent gestiegen - und damit viermal so stark wie in den zehn Jahren zuvor. Diese Zahlen veröffentlichte das von Wissenschaftlern getragene Welt-Kohlenstoffprojekt (Global Carbon Project) jetzt in Peking. Eine der treibenden Kräfte hinter dem "sehr besorgniserregenden" Trend: China mit seiner entfesselten Wirtschaft und Energienachfrage.

Chinas fatale Aufholdjagd

Neuen Hochrechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge könnte das bevölkerungsreichste Land der Erde binnen zehn Jahren die USA als größten Treibhausgas-Produzenten überholen. Nach einer Veröffentlichung der angesehenen Pekinger Universität Tsinghua war Chinas CO2-Ausstoß aus der Verbrennung fossiler Energieträger, vor allem der Kohle, schon 2002 mit über 3,5 Milliarden Tonnen so hoch wie die von Russland, Japan und Deutschland zusammen.

Bei der Weltklimakonferenz in Kenias Hauptstadt Nairobi präsentierte Germanwatch am heutigen Montag eine aktualisierte Version seines Klimaschutzindex. Auf der Basis der umfangreichen IEA-Daten bewertet die deutsche Nicht-Regierungsorganisation die Klimapolitik von 56 Staaten der Erde. Auch aus dieser Statistik schält sich China als Problemfall heraus: Es landet auf dem drittletzten Platz, gleich hinter den USA, gefolgt nur noch von Malaysia und Saudi-Arabien.

Den Germanwatch-Zahlen zufolge sind Chinas Treibhausgas-Emissionen im Energiebereich zwischen 1998 und 2004 um 56 Prozent gestiegen. Im Verkehrssektor kletterte der Pro-Kopf-Ausstoß im selben Zeitraum um fast 25 Prozent. "Rasante Emissionssteigerungen" hätten die deutschen Beobachter besonders im letzten Jahr ermittelt. Inzwischen geht mehr als ein Fünftel (21,8%) der weltweiten CO2-Abgase auf das Konto der USA und mehr als ein Sechstel (17,9%) auf das Chinas. Nach Russland auf Rang drei der größten Klimasünder folgt auch schon Indien, das seinen Erdölverbrauch nach Zahlen des Worldwatch Institute in Washington seit 1992 glatt verdoppelt hat - und wie China stark auf klimabelastende Kohle angewiesen ist.

Westliche Länder müssen auf Newcomer zugehen

Inzwischen gilt als gesichert, dass ohne die USA, aber auch ohne drastische Klimaschutzmaßnahmen in Ländern mit aufstrebenden Ökonomien eine katastrophale Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten ist. "Das sind ja eigentlich gar keine Schwellenländer mehr, sondern schon Industriestaaten", sagt Franzjosef Schafhausen, Koordinator des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung, über Länder wie Indien und China. Mit ihnen über eigene CO2-Reduktionsziele zu sprechen, sei zwar weiterhin "eine schwierige Sache", sagte Schafhausen im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Doch hinter den Kulissen der Konferenz in Nairobi wird eifrig an Konzepten gefeilt, die "Gruppe der 77" mit ins Boot zu holen.

In der G77 sind die Entwicklungs- und Schwellenländer bei den Klimakonferenzen organisiert. Für Kenner der Szene zeichnet sich inzwischen ein System ab, das sehr viel differenzierter sein soll als die heutigen Regelungen für Industriestaaten. Da die G77 sehr heterogen sei, könne man sich für sie eine Aufteilung der Lasten wie in der Europäischen Union vorstellen: Finanzkräftigere G77-Mitglieder würden sich zu absoluten CO2-Minderungen verpflichten, ärmere Länder dagegen erst einmal damit beginnen, Strom effizienter zu erzeugen oder den Kraftstoff-Verbrauch im Verkehr zu drosseln.

In der EU ist es so, dass Deutschland und Großbritannien ihre CO2-Emissionen um zweistellige Prozentwerte reduzieren müssen, während Länder wie Portugal, Spanien und Griechenland die ihren noch kräftig steigern dürfen. Unterm Strich soll dennoch ein Minus von acht Prozent bis 2012 herauskommen - was allerdings schwierig werden dürfte.

Positive Signale aus Monterrey

Zugeständnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer gelten tatsächlich nicht mehr als abwegig. Schon "aus Gründen der Energie-Versorgungssicherheit" überdenke China seine Position, sagt ein Beobachter. Auch Indien wolle verstärkt auf regenerative Energieträger wie Windkraft oder Solarenergie setzen, weil es sich teure Importe für seine boomende Wirtschaft nicht mehr leisten könne.

Positive Signale registrierte Sir David King, oberster Wissenschaftsberater des britischen Premierminister Tony Blair, auch im mexikanischen Monterrey. Dort trafen sich kürzlich die Energie- und Umweltminister der G8-Staaten mit ihren Kollegen aus 20 Industrie- und Schwellenländern. Es ging um die Fortsetzung des 2005 im schottischen Gleneagles begonnenen Klima- und Energiedialogs. Mit dabei waren auch China, Indien, Südkorea, Brasilien, Mexiko und Südafrika - allesamt Staaten, für die noch keine verbindlichen CO2-Reduktionsziele nach dem Kyoto-Protokoll gelten.

Das Treffen fand zwar hinter verschlossenen Türen statt. Doch soviel verriet King, zurück in Birmingham, dann doch: Es habe "zum erstenmal einen vollständigen Konsens" darüber gegeben, dass man rasch zu wirklichen Emissionsreduktionen kommen müsse.

Wenn das stimmt, wäre das eine echte Überraschung. Denn im Debattierklub von Gleneagles und Monterrey sitzen auch die USA. Sollte die führende Wirtschaftsmacht tatsächlich stärkere Anstrengungen im Klimaschutz unternehmen, könnte das Länder wie China und Indien am ehesten dazu bringen, ihren Widerstand gegen eigene CO2-Reduktionen aufzugeben.

Regierungsexperte Schafhausen will sich gar keine andere Entwicklung ausmalen: "Diese Welt kann es sich nicht leisten, kein internationales Klimaschutzregime zu haben."

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