Eskalation in Kopenhagen Klimakonferenz steht vor dem Scheitern

Die Klimakonferenz von Kopenhagen wird zum Fiasko. Der dänische Premierminister Rasmussen stellte am Morgen fest, dass ein Textentwurf von rund 30 Staaten "nicht beschlussfähig" sei. Das Papier war am späten Freitagabend unter anderem von US-Präsident Obama vorgestellt worden. Damit steht der Gipfel unmittelbar vor dem Scheitern.
Von Christian Schwägerl
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Fiasko in Kopenhagen: Drama bis zum Gipfel-Schluss

Foto: CHRISTIAN CHARISIUS/ REUTERS

Tuvalu

Es ist 3.15 Uhr morgens, als Ian Fry aus im großen Plenarsaal mit zitternder Stimme das Wort erhebt. Der Vertreter eines 26 Quadratkilometer großen Landes mit 12.100 Einwohnen lehnt sich gegen die USA auf, gegen China, Indien, Brasilien - gegen all jene Staatschefs, die am Abend angeführt von US-Präsident Barack Obama einen "Deal" abgeschlossen haben wollen. Und abreisten, bevor sich das Plenum der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen überhaupt mit ihren Vorschlägen befassen konnte.

"Wir führen unsere Verhandlungen nicht über die Medien, sondern hier im Plenum", sagt Ian Fry. Und dann beschreibt er, was der Konsens von rund 30 Staaten, an dem auch Entwicklungsländer beteiligt waren, für seine Nation bedeuten würde: "den Tod".

Tuvalu fürchtet unterzugehen, wenn die Erderwärmung zwei Grad erreicht, wie es im Mini-Kompromissentwurf der 30 als Obergrenze steht. "1,5 Grad Celsius sind das Maximale", sagt Fry. Dann weist er das Geld zurück, das die Industrieländer für den Klimaschutz in ärmeren Ländern angeboten haben - 30 Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 und immerhin 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020.

"Es sieht so aus, als würden uns 30 Silberlinge angeboten, um unser Volk und unsere Zukunft zu verraten", sagt Fry. "Doch unsere Zukunft steht nicht zum Verkauf." Er bedaure, aber Tuvalu könne den Kompromissentwurf nicht akzeptieren. Beifall brandet auf.

Klimawandel

Mit diesem Eklat beginnt die Abschlusssitzung der Konferenz zum . Und plötzlich steht selbst der dürftige Minimalkompromiss vom Abend zur Disposition. Weil es auf Klimakonferenzen üblich ist, dass Beschlüsse einvernehmlich gefällt werden, droht dem Gastgeber Dänemarkt nun das absolute Fiasko - das komplette Scheitern des Gipfeltreffens ohne jede Abschlusserklärung.

Nach Tuvalu begehren auch noch Bolivien und Venezuela auf und attackieren die Absicht des dänischen Premierministers Lars Løkke Rasmussen, über den Vorschlag der Großmächte nur 60 Minuten nachdenken zu lassen. "Wir wollen unsere Stimmen erheben, müssen wir uns dafür erst die Hände abschneiden?", sagt die Vertreterin Venezuelas. Ein "Staatsstreich gegen die Charta der Vereinten Nationen" drohe. Costa Rica protestiert dagegen, ständig neue Dokumente aus heiterem Himmel zu bekommen. Es sei bezeichnend, dass im letzten Klimakompromiss-Entwurf überhaupt nichts mehr zu lesen sei von dem Ziel, 2010 einen rechtlich verbindlichen Klimavertrag auszuarbeiten.

Jetzt rächt sich die Strategie der Dänen, die in zwei Wochen festgefahrenen Verhandlungen wieder in Bewegung bringen zu wollen, indem eine kleine Staatengruppe mit den USA und China an der Spitze ein Ergebnis aushandelt. Dieser Plan trifft auf erbitterten Widerspruch.

Als Jonathan Pershing, der stellvertretende Delegationsleiter der USA, das Wort ergreifen will, wird er von einigen Delegierten zurechtgewiesen, er sei noch nicht an der Reihe. Pershing gibt nach, obwohl er dem Konferenzleiter zufolge an der Reihe gewesen wäre - und macht ausgerechnet dem Vertreter Nicaraguas Platz.

Dieser erhebt den Vorwurf, es gebe einen "Übernahmeversuch" einer G22, also der Gruppe der führenden Staaten bei dem Kompromissentwurf, gegen die G192, also die Vereinten Nationen. Dann fordert er im Namen von acht Staaten, darunter Kuba und Ecuador, einen vorläufigen Abbruch der Konferenz. "Wir beantragen, dass die COP15 unterbrochen wird und spätestens im Juni 2010 wieder zusammentritt, damit keine Lücke bei der Erfüllung der Kyoto-Reduktionsziele entsteht."

Barack Obama

Rasmussen muss in diesem Moment wahrscheinlich an den Satz denken, den US-Präsident gesagt hat, nachdem er in kleiner Runde seinen Deal ausgehandelt hatte und sich vorzeitig auf den Weg zurück nach Washington machte - angeblich wegen des schlechten Wetters dort. "Ich weiß nicht, wie die protokollarischen Bestimmungen hier sind", hatte Obama auf die Frage gesagt, wie es nach seinem Vorschlag nun weitergehe. "Aber unsere Unterhändler haben die Vollmacht, das hier zu Ende zu bringen."

Nach einem Ende sah es in den frühen Morgenstunden aus. Aber nicht so, wie es sich Obama vorgestellt hatte.

Nach langen Beratungen beruft Rasmussen die Konferenz um 5 Uhr morgens wieder ein - nur um ein neues Fiasko zu erleben. Die Forderung der Nicaragua-Gruppe, das Papier von Obama, Wen Jiabao und den anderen Großmächten von einer Beschlussvorlage zu einem Informationspapier herabzustufen, ruft den Protest Indiens hervor.

Sudan schockiert mit Holocaust-Vergleich

Dann setzt Sudan zu einem Frontalangriff an: Der Westen riskiere mit einer Erderwärmung von zwei Grad die "Auslöschung von Afrika", ja betreibe gegenüber dem Kontinent mit dem Klimawandel etwas ähnliches wie das, "was einmal 6 Millionen Menschen" in Europa den Tod gebracht habe. Das Land hatte während der zweiwöchigen Konferenz den Vorsitz der Gruppe der Entwicklungsländer inne ¬ und unternimmt nun mit einem Holocaust-Vergleich einen aggressiven Alleingang. Ein persönlicher Affront gegen Rasmussen schließt das Statement des Sudans ab: "einseitig, undurchsichtig und gegen die Verfahrenregeln" habe der Konferenzpräsident sich verhalten.

Der unfassbare Holocaust-Vergleich löst eine Gegenwelle aus. Mohamed Nasheed, der Premierminister der Malediven, schildert zuerst, wie das Verschwinden eines möglichen 1,5-Grad-Zieles aus dem Abschlussdokument sein Land gefährdet und wie die großen CO2-Verursacher die Gefahr für die Malediven ignoriert hätten. Doch dann sagt Nasheed, dass das Deal-Dokument der einzige Weg sei, überhaupt etwas gegen den Klimawandel zu übernehmen. Die Klimaverhandlungen dürften nicht ergebnislos enden wie so viele Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO.

Diese Wendung greifen andere Länder auf: Australien, Ägypten, Äthiopien, Spanien, Kanada, Frankreich, Großbritannien. Alle äußern sich aufs Höchste empört über den Auftritt und den Holocaust-Vergleich des sudanesischen Botschafters. Sie versuchen, das Deal-Dokument doch noch beschlossen zu bekommen. Dann stellt sich sogar die Vertreterin der kleinen Inselstaaten (Aosis) dahinter. Sie hätten mit am Tisch gesessen, als das Dokument entstanden sei, zusammen mit den USA, China, Indien, Deutschland, Äthiopien. "Für uns ist dabei nicht viel herausgekommen, aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass es sich um ein nicht legitimiertes Procedere handeln könnte", sagt die Frau aus Grenada.

Noch verstärkt wurde die Wendung ausgerechnet durch Kevin Conrad, den Klimabotschafter von Papua-Neuguinea, der auf dem Klimagipfel von Bali die USA vorgeführt und schließlich zum Einlenken bewegt hatte. Diesmal stellte sich Conrad auf die Seite der USA. Auch Entwicklungsländer hätten bei den Verhandlungen schärfere Reduktionsziele verhindert. Nun bleibe nur die Option, mit dem unvollkommenen Ergebnis weiterzumachen "Wir können diesen Ort nicht ohne etwas Vorzeigbares zu verlassen", sagt Conrad.

Erst um 6.20 Uhr, drei Stunden nach Ausbruch der Krise im Plenum, kommen die Vereinigten Staaten zu Wort. Obamas Klimabotschafter Todd Stern verteidigt das Vorgehen, in einer Runde von 25 Staaten eine Einigung auszuarbeiten, und zählt die Fortschritte auf, die das Ergebnis aus Sicht der USA bringt: das Versprechen von Reduktionen, Finanzierung und Technologietransfers. In seine Warnung packt Stern eine harte Drohung: Die Entwicklung sei "extrem störend für den Planeten und für die Gesundheit und die Existenz dieser Institution". Damit meinte er die Klimaverhandlungen selbst: Stern deutete damit sehr klar an, dass die Blamage für die USA im Fall eines Scheiterns so groß sein könnte, dass sie sich ganz aus dem Uno-Prozess zurückziehen oder dessen Legitimation bestreiten.

Die Debatte im Plenum der Weltklimakonferenz, die viele Staatenvertreter als "beispiellos" in der Geschichte der Vereinten Nationen bezeichnen, kehrt um 7.06 Uhr zu Ian Fry zurück, dem Mann aus Tuvalu. Alle seien müde und emotional, es fielen Worte, die unter anderen Umständen nicht fallen würden. Die Klimakonferenz sei von innenpolitischen Schwierigkeiten eines Landes gefesselt gewesen, deshalb sei es angebracht, die Schwächen des Textes der Gruppe um die USA anzuerkennen. Er dürfe nicht beschlossen werden, vielmehr solle man versuchen, die Verhandlungen später fortzusetzen "und etwas zu erreichen, auf das wir stolz sein können".

Die Blockade löst Verzweiflung aus. "Das ist das fürchterlichste Klimagipfelplenum, das ich je erlebt habe", sagt der Unterhändler Saudi-Arabiens, "nichts ist richtig gelaufen." Es ist ein weiteres Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden, den dänischen Ministerpräsidenten. "Mister Präsident, Sie haben hier keinen Konsens, und wir brauchen Konsens, um zu entscheiden", sagt der Saudi. Das Deal-Dokument könne deshalb "nicht beschlossen werden, jedenfalls nicht hier". Sein Handy-Wecker gehe gerade zum zweiten Mal los, er sei seit 48 Stunden wach und wolle jetzt nach Hause.

Hinter all den Verfahrensvorschlägen verstärken sich knallharte Positionen: Die Länder, die das von Barack Obama ausgehandelte Papier zum Info-Dokument herabstufen wollen, trachten danach, sich nicht von einem Club der Mächtigen bevormunden zu lassen. Inselstaaten wie Tuvalu fürchten um ihre Existenz. Länder wie Großbritannien, die sich hinter das Papier stellen, möchten ihre politische Solidarität mit den USA demonstrieren und ein vollständiges Debakel für den Westen verhindern, der sich nicht auf eine klare Linie beim Klimaschutz einigen konnte, und wenigstens den Minimalkompromiss retten.

Um 8 Uhr platzt die Bombe. Nach Beratung mit Rechtsexperten der Vereinten Nationen sagt Rasmussen: "Wir können dieses Papier heute nicht beschließen." Man könne nur ein Register anlegen, in dem die Staaten in den kommenden Monaten ihre Unterstützung für das Papier hinterlegen könnten. Entsetzt beantragt der britische Unterhändler eine Unterbrechung.

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