Evolution des Kiefers Auch im Urzeit-Meer wurde schon kraftvoll zugebissen

An Land bekommt nur etwas zu Beißen, wer auch beißen kann. Forscher fanden nun heraus, dass sich diese Fähigkeit bereits unter Wasser entwickelt hat - und damit eine wichtige Voraussetzung für spätere Landlebewesen entstand. Denn als Nahrungsansauger hätten diese wohl nicht überlebt.

Wer schon einmal Fische in einem Aquarium beobachtet hat, die mit wulstigen Lippen frontal an der Glaswand ihres Habitats vorbeischlabbern, für dessen Fantasie wird es eine Leichtigkeit sein, sich die Jagdtechnik urzeitlicher Fische vorzustellen: Sie saugten ihre Opfer ein.

Wohl einer der ersten, der herzhaft zubiss, war das Ur-Amphibium Acanthostega. Obwohl er im Wasser lebte, erlegte er seine Beute durch Zubeißen und verzehrte sie dann. Das haben die Forscher Molly Markey und Charles Marshall von der Cambridge University herausgefunden. Diese Form des Fressens, so berichten sie im Wissenschaftsmagazin "Proceedings to the National Academy of Sciences" (Bd. 104, S. 7134), hat in den Schädeln der Tiere seine Spuren hinterlassen.

Das Forscherduo untersuchte, welche Kräfte bei den Fresstechniken auf den Schädel wirken und verglich dann, wie sich die Schädel urzeitlicher Fische und Amphibien beim Fressen deformierten. Und anhand von Acanthostega konnten sie zeigen: Noch bevor Wasserwesen vor über 350 Millionen Jahren das Land eroberten, entwickelten einige von ihnen die für Landbewohner typischen Beiß- und Fresstechniken.

Drei Fossilienstufen im Computer-Vergleich

Aus Schnittproben der Fossilien und mit Bildern eines Computertomografen rekonstruierten die Forscher die Schädelstruktur. Daraus konnten sie ableiten, welche Schädelpartien sich beim Saugen oder Beißen strecken oder deformieren. Dieses Vorgehen sei sinnvoller als ein direkter Vergleich der Kiefer von Acanthostega mit denen von Fischen und Landwirbeltieren, schreiben die Wissenschaftler: Allein die heute lebenden Fische wiesen eine derartig große Vielfalt an Kiefer- und Zahnvarianten auf, dass daraus keine eindeutigen Schlüsse gezogen werden könnten.

Die Forscher betrachteten stattdessen die Schädeldecken von drei verschiedenen prähistorischen Tieren, die den Landgang vom Fischstadium über den Zwischenschritt mit dem Ur-Amphibium Acanthostega bis zu einem eindeutigen Landwirbeltier abdecken.

Aus der Tatsache, dass Acanthostegas sich bereits als im Wasser lebendes Tier an Land unverzichtbare Fähigkeiten angeeignet hat, schließen die Wissenschaftler: Das vierbeinige Ur-Amphibium muss sich seine Beute wohl Nahe des Ufers geschnappt haben - da machte auch im Wasser das Beißen schon Sinn. Acanthostegas gilt als Bindeglied zwischen Fischen und Landwirbeltieren während des Landgangs vor rund 365 Millionen Jahren.

Dass sich bis heute wenige Exoten die Schlürftechnik auch in luftigen Jagdgründen zunutze machen, zeigten Forscher im Experiment mit einem Aalwels. Diese Technik hätte das Leben aber wohl nie weit von den Küsten wegführen können.

stx/ddp

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