Evolution Forscher finden Fisch-Fossil mit Beinen

Es könnte das lange gesuchte fehlende Bindeglied zwischen Land- und Meerestieren sein: Forscher haben ein extrem gut erhaltenes Fossil eines Wesens entdeckt, das wie eine Mischung aus Fisch und Vierbeiner aussieht.

Aus dem Schlick eines längst eingetrockneten Flussbetts rund 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt haben Wissenschaftler fossile Überreste eines Ur-Fisches mit Schulterknochen, Ellenbogen und Handgelenk-Ansätzen geborgen. Das krokodilähnliche Tier aus der heutigen Arktis könnte das "fehlende Bindeglied" in der Entwicklung von den Fischen zu den Landwirbeltieren sein, berichten US-Paläontologen im britischen Fachblatt "Nature".

Tiktaalik roseae, so sein wissenschaftlicher Name, lebte vor etwa 383 bis 375 Millionen Jahren in den flachen Ufergewässern von Flüssen. Das Tier besaß sowohl Kennzeichen eines Fisches als auch Charakteristika eines vierbeinigen Landwirbeltiers, schreiben Edward Daeschler von der Academy of Natural Sciences in Philadelphia und seine Kollegen.

Schädel, Hals, Rippen und vordere Gliedmaßen ähneln demnach bereits stark denen von Landtieren - während das Tier gleichzeitig Flossen, Schuppen und die primitiven Kiefer eines Fisches aufweist. Damit schließt Tiktaalik nach Meinung der Forscher zumindest teilweise die Lücke, die in der Reihe der bislang entdeckten Fossilien von Übergangstieren klaffte.

"Ikone der Evolution"

Die Entstehung der Landwirbeltiere ist einer der bedeutendsten Entwicklungsschritte in der Evolution. Sie vollzog sich über mehrere Millionen Jahre, und es waren zahlreiche "Umbauten" notwendig, bevor die ersten Wirbeltiere an Land überleben konnten. Fossilienfunde aus der Zeit dieses Übergangs sind rar, so dass die Wissenschaftler nur eine lückenhafte Vorstellung davon haben, wie genau die Umwandlung erfolgte.

Andere Wissenschaftler zeigten sich von dem neuen Fund begeistert. Tiktaalik könnte eine "Ikone der Evolution" werden, schreiben Per Erik Ahlberg von der Universität Uppsala in Schweden und Jennifer Clack von der englischen University of Cambridge in einem Kommentar, der ebenfalls in der aktuellen "Nature"-Ausgabe erscheint. Ähnlich wie der berühmte Archaeopteryx, eine Übergangsform zwischen Reptil und Vogel, habe der Tiktaalik roseae das Bild vom Übergang der Fische zu den Landwirbeltieren "auf einen Schlag stark erweitert".

Die extrem gut erhaltenen Fossilien stammen von der Ellesmere-Insel im kanadischen Nunavut-Territorium. Ihr wissenschaftlicher Name "Tiktaalik" ist der Sprache der Inuit-Bewohner der Insel entlehnt und bedeutet "großer Flachwasserfisch". Das Raubtier besaß scharfe Zähne, einen krokodilähnlichen Kopf und einen flachen Körper, der bei den bislang entdeckten Fossilien 1,20 bis 2,70 Meter lang war. Zu der Zeit, als Tiktaalik lebte, war die heute arktische Insel von subtropischem Klima geprägt und von flachen Flussläufen durchzogen.

Schulter, Ellenbogen und Handgelenk

Sein Körperbau legt nach Ansicht der Wissenschaftler nahe, dass das Tier auf dem Grund dieser flachen Gewässer gelebt hat. Hin und wieder könnte es das Wasser sogar verlassen und kurze Zeit an Land verbracht haben, glauben die Forscher. Ihren Berechnungen zufolge war das Skelett des Tieres nämlich stark genug, um dessen Gewicht auch ohne den Auftrieb des Wassers zu tragen.

Bemerkenswert seien besonders die Brustflossen: Obwohl sie noch keine Finger aufweisen, enthalten sie bereits alle Knochen, die auch in den Vordergliedmaßen von Vierfüßern zu finden sind - Oberarmknochen, Unterarmknochen und sogar Teile der späteren Handknochen. "Die Schulter, Ellenbogen und Teile des Handgelenks sind schon da und funktionieren ähnlich wie bei den frühesten auf dem Land lebenden Tieren", erklärte Biologie-Professor Neil Shubin von der University of Chicago.

Damit sei Tiktaalik eindeutig eine Übergangsform, die zwischen dem noch deutlich fischartigeren Panderichthys und dem bereits auf dem Land lebenden Ichtyostega einzuordnen sei. "Wir wussten, dass die Felsen auf der Ellesmere-Insel einen Blick in die richtige zeitliche Periode erlauben würden", sagt Studienleiter Daeschler. "Sie entstanden in der richtigen Umgebung, um Fossilien zu enthalten, die diesen wichtigen evolutionären Übergang dokumentieren."

mbe/AFP/ddp/dpa

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