Fledermäuse in der Coronapandemie Batman in Not

Eine einzige Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus) frisst pro Nacht Tausende Stechmücken
Foto: Steffen Schellhorn / imago imagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Im sächsischen Landkreis Bautzen diskutierte man während der Coronapandemie über winzige Untermieter einer Schule, die gerade mal ein paar Gramm wiegen: Fledermäuse. Für die Nistkästen der Tiere wurde an dem Neubau viel Geld ausgegeben. Aber nun kamen manchen offenbar Zweifel, ob der Naturschutz hier richtig ist. Könnten die Tiere an der Schule nicht eine Gefahr für die Kinder darstellen? Schließlich soll das Coronavirus Sars-CoV-2 auch in Fledermäusen erst zur menschlichen Bedrohung geworden sein.
Bei Bonn gingen Unbekannte noch einen Schritt weiter, als nur zu diskutieren. Dort wurde ein Fledermausquartier mutwillig demoliert. Ein Schacht, durch den die Tiere in einen Keller fliegen, in dem sie überwintern, wurde beschädigt.
Ob die Attacke den Tieren galt, ist zwar unklar. Aber seit dem Ausbruch der Pandemie berichten Forscher und Naturfreunde immer häufiger von Problemen beim Fledermausschutz. Schon im vergangenen Jahr hatte es Übergriffe gegeben, als in China, wo Fledermäuse eigentlich als Glücksbringer gelten, manche Menschen die Tiere nicht mehr an ihren Häusern dulden wollten und Stimmen auch aus der Politik laut wurden, die Tiere zu töten. In Peru wurden sogar Hunderte Tiere verbrannt, weil man Angst hatte, dass sie das Virus übertragen könnten.
Dabei sind die über zwei Dutzend Fledermausarten in Deutschland, die unter Naturschutz stehen, derzeit besonders schutzbedürftig. Viele Tiere sind erst seit wenigen Wochen aus dem Winterschlaf erwacht und suchen ihre Sommerquartiere auf. Den ganzen Winter über haben sie von ihren Fettreserven gelebt. Manche Tiere sind abgemagert und müssen sich erst wieder Reserven anfressen.
Dass das Image der Tiere schon immer nicht zum Besten stand, macht die Arbeit von Naturschützern und Forschern nicht leichter. Viele Menschen betrachten Fledermäuse mit Argwohn und Ekel. Ihnen haftete das Image des dunklen Blutsaugers an, der sich als unheilvolles Geschöpf der Nacht an seine Opfer anpirscht. Dabei sind nur wenige der global etwa 1400 Arten Vampire. Keine davon kommt in Deutschland vor.
Nun sind Fledermäuse auch noch als Virenschleudern verschrien, berichtet der Biologe Simon Ripperger vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin. Er verweist auf eine Untersuchung, nach der die generelle Wertschätzung von Fledermäusen in der Bevölkerung seit der Pandemie gesunken ist. Das deckt sich mit seinen Erfahrungen. In einer chinesischen Studie zeigte sich, dass auch gebildetere Menschen, darunter sogar Experten für Fledermäuse, den Zusammenhang zwischen Corona und Fledermäusen teils missverstanden hatten. Dafür seien verkürzte Darstellungen in den Medien, aber auch in wissenschaftlichen Arbeiten zumindest mitverantwortlich, schreiben die Forscher. Eine noch nicht veröffentlichte Arbeit der Berliner Stadtökologin Tanja Straka und ihres Kollegen Christian Voigt, für die viele Fledermausforscherinnen und -forscher befragt wurden, kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Auch in Deutschland hat die Akzeptanz der Tiere abgenommen. Einige berichteten sogar davon, dass sie gefragt wurden, ob man die Tiere nicht töten müsse.
Wenn Ripperger in Berlin mit Kolleginnen und Kollegen unterwegs ist, um Fledermäuse zu fangen, wird er oft von neugierigen Passanten angesprochen. Die Sprache kommt dann fast zwangsläufig auf Sars-CoV-2. »Bei mindestens der Hälfte der Menschen kommt ein Kommentar zu Corona«, sagt der Biologe dem SPIEGEL. Er hat Sorge, dass sich der Ruf der Tiere als Treiber von Pandemien manifestiert.
Zwar hatte Christian Drosten schon vor Jahren etliche Coronaviren bei Fledermäusen gefunden. Aber der für die Pandemie verantwortliche Stamm Sars-CoV-2 ist bei deutschen Fledermäusen nicht nachgewiesen. Von den Tieren geht keine Gefahr aus, betont auch Ripperger immer wieder.
Und auch die Untersuchungen der WHO in China zum Ursprung der Pandemie geben keinen aktuellen Anlass zur Sorge. Zwar hat sich die Variante des Coronavirus irgendwann einmal in Fledermäusen entwickelt. Aber für die Übertragung auf den Menschen war »wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich« ein anderes Tier verantwortlich, heißt es im letzten Bericht. Zwischen den Genomen des Pandemiestamms und dem aus Fledermäusen lägen Veränderungen, die mehrere Jahrzehnte Evolution in Anspruch genommen haben müssten. Dass Viren heute direkt von Fledermäusen auf den Menschen übergehen, gilt als unwahrscheinlich.
Schlüsselposition im Ökosystem
Deutsche Fledermäuse haben es ohnehin nicht leicht. Von den rund zwei Dutzend Arten, die hierzulande leben, sind nur zwei nicht gefährdet. Viele fühlen sich in Höhlen, Bäumen und Verschlägen wohl. Und manche Arten wie beispielsweise das Braune Langohr oder die Breitflügelfledermaus suchen gern Hohlräume in Gebäuden auf und leben damit nahe dem Menschen. Doch solche Unterkünfte sind auch durch Gebäudesanierungen weniger geworden. Dazu machen Windkraftanlagen und die Folgen der intensiven Landwirtschaft den einzigen Säugetieren, die jemals das Fliegen erlernt haben, zu schaffen. Durch den Insektenschwund ist ihre Nahrungsgrundlage gefährdet.
Dabei nehmen die Tiere eine Schlüsselposition im Ökosystem ein, wie viele Forscher betonen. Sie dienen als Bestäuber von Pflanzen und verteilen Samen. Außerdem vertilgen sie nervige Stechtierchen in einem erstaunlichen Ausmaß. Eine einzige Mückenfledermaus, eine der kleinsten Arten in Deutschland, frisst in nur einer Nacht Tausende Stechmücken. Und selbst der Kot der Tiere hilft der Natur beim Wachsen. Er liefert wichtige Nährstoffe nicht nur für Bäume, sondern auch für manche Tierarten. So ist bekannt, dass sich einige Salamander in Höhlen von Fledermausexkrementen ernähren. Auch die Landwirtschaft profitiert von dem Mittel. Der Kot wurde als wertvoller Rohstoff für Dünger gehandelt.
Fledermausschutz lohnt sich – sogar aus ökonomischen Gründen
Zudem lassen sich die nächtlichen Fressaktivitäten der Tiere direkt in finanzielle Vorteile für die Bauern umrechnen. Denn die Tiere fressen auch so manche Schädlinge von Nutzpflanzen. Dank ihres feinen Ortungssystems fangen sie auf ihren nächtlichen Beutezügen tonnenweise Insekten. Forscher haben in einer Studie einmal ausgerechnet, welche Mengen an Pflanzenschutzmitteln Farmer in den USA durch Fledermäuse sparen. Insgesamt sollen es Milliarden US-Dollar sein, beziffert eine »Science«-Studie den Betrag. Auch Freilandversuche, bei denen den Fledermäusen der Zugang zu insektenreichen Maisfeldern verwehrt wurde, bestätigten die rasche Zunahme von Schädlingen, als die Säuger die Felder nicht mehr anfliegen konnten. Durch die Fressschäden nahmen auch Pilzerkrankungen bei den Pflanzen zu.
Es gibt also selbst aus ökonomischer Sicht womöglich gute Gründe, in den Schutz von Fledermäusen zu investieren. Doch wie gelingt es, das Image der Tiere zu verbessern? Darüber diskutieren Forscherinnen und Fledermausschützer seit der Pandemie besonders intensiv. Auf der einen Seite muss die wissenschaftliche Gemeinde über die Risiken von Krankheiten, die aus dem Tierreich stammen, aufklären. Aber auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass damit der Ruf ganzer Taxa leiden kann.
»Ich verkünde derzeit immer wieder, dass wir unsere Fledertiere brauchen. Wir können ganz vieles, was wir jetzt und zukünftig brauchen, von ihnen lernen«, sagte Johannes Mohr, Biologe beim Landratsamt in Forchheim in Oberfranken.
Was Mohr mit seiner Äußerung meint: Fledermäuse sind für die medizinische Forschung nützlich. Denn einerseits beherbergen die Tiere zwar viele Viren. Aber andererseits sind sie offenbar sehr gut gegen Krankheiten geschützt. Selbst in großen Kolonien kommt es kaum zu heftigen Erkrankungswellen. Möglicherweise sind für die gute Immunabwehr der Tiere Interferone verantwortlich – Proteine, die eine antivirale Wirkung entfalten können. Käme man dem Geheimnis des guten Fledermaus-Immunsystems auf die Spur, können sich daraus womöglich Erkenntnisse ableiten lassen, die auch den Menschen schützen, so die Hoffnung. Die Erforschung des Fledermausorganismus sei schon einmal von Erfolg gekrönt gewesen, erzählt Mohr. Ein Impfstoff gegen Tollwut konnte aus Fledermäusen gewonnen werden. Die Tiere gelten bei dieser Krankheit allerdings immer noch als Überträger, wenn auch äußerst selten.
Mythos von der bösen Fledermaus aus den Köpfen kriegen
Mohr kümmert sich um die ökologische Entwicklung in Forchheim und ist an einem Fledermausprojekt beteiligt, das Leuchtturmcharakter besitzt, wie es Kollege Ripperger beschreibt. Die Fränkische Alb bietet Fledermäusen für deutsche Verhältnisse sehr gute Lebensbedingungen. Dort stört wenig Landwirtschaft die Natur, zudem bietet das Karstgestein Höhlen, die Fledermäuse gern als Unterschlupf nutzen. Fast alle der in Deutschland lebenden Arten wurden schon in der Region nachgewiesen. Deshalb treiben sich auch häufiger Fledermausforscher dort herum. Um die Bewegungen der Tiere zu dokumentieren, hatten sie ein Trackingsystem eingerichtet und dafür einen alten Hochseecontainer zum Feldlabor ausgebaut. Der Metallkasten am Waldrand zog schnell neugierige Familien aus der Umgebung an.
Daraus entstand zunächst ein Kunstprojekt mit lokalen Schulen. Die Kinder haben den Container mit selbst gebastelten Fledermausmotiven beklebt und so nebenbei eine Menge über die Tiere gelernt. »Nur so kriegen wir den Mythos von der bösen Fledermaus aus den Köpfen«, sagt Mohr. Eine weitere Idee, mit der der Forscher Öffentlichkeitsarbeit betreibt, ist der Artenkennerpass, eine Art Panini-Album der lokalen Tierwelt. Dabei können sich die Kinder über Workshops und Exkursionen Wissen zu Fledermäusen, aber auch zu anderen Arten mit schlechtem Image wie Schlangen oder Amphibien aneignen. Die beste Strategie zum Naturschutz sei die Wissensvermittlung, das sei inzwischen durch Studien belegt, sagt Ripperger. »Solche Projekte räumen Vorurteile aus und schaffen Begeisterung für die Natur.«
An einem dieser Vorurteile, die sich immer wieder finden, scheint allerdings etwas dran zu sein: Fledermäuse bieten Viren, die dem Menschen gefährlich werden können, tatsächlich ein Reservoir. Das Risiko für solche sogenannten zoonotischen Infektionen scheint erhöht. Aber wie Forscher in einer Arbeit schreiben, sei es bei genauerem Hinsehen bei anderen Tiergruppen wie beispielsweise Nagetieren ähnlich hoch. Möglicherweise habe man bei Fledermäusen einfach sehr genau hingeschaut und sie ausführlicher untersucht, meint etwa der renommierte Fledermausforscher Merlin Tuttle.
Und am Ende ist es der Mensch, der dieses Risiko durch sein Handeln noch verstärkt. Die Zerstörung von Lebensraum, die Jagd oder beispielsweise der Wildtierhandel tragen erheblich dazu bei, überhaupt erst Potenzial für die Übertragungen zu schaffen. Besser wäre es, die Tiere einfach in ihren natürlichen Lebensräumen zu lassen.
In Forchheim freut sich Biologe Mohr derweil darüber, dass seine Strategie, Kinder als Botschafter der Fledertiere einzusetzen, aufzugehen scheint. In dem Waldstück stießen die Forscher bei der Analyse der Ultraschallsignale, die die Tiere nachts zur Orientierung ausstoßen, auf den akustischen Fingerabdruck von Nymphenfledermäusen. Die Art ist erst seit einigen Jahren bekannt, noch weiß man wenig über die winzigen Tiere. Die Bürgerinnen und Bürger freuten sich über den möglichen Fund. Im Volksmund werde der Forst seitdem Nymphenwald genannt.