Fledermaus-Treffen Paarungsparty für Nachtjäger
Der Abstieg in den engen Talkessel bei Mayen in der Eifel ist wie der Übergang in eine andere Welt. Metergroße Basaltquader mit glatten Flächen ergießen sich einen Hang hinab, als ob ein Zyklop seine sorgfältig geformten Geschosse mit Riesenfäusten an den Fels geschmettert hätte. Die Eingänge zu den domartigen Höhlen im Basaltgestein sehen aus wie zu Schreien schräg aufgerissene Mäuler mit abgesplitterten Zähnen. Fledermäuse verstehen es, stilecht zu wohnen.
Dreidimensionales Schallbild
Die Nachtjäger huschen wie Phantome durch die Luft. Die Schreie, mit denen sie ihre Opfer orten, liegen weit über 25 Kilohertz - wahrnehmbar allenfalls von jungen Menschen mit vorzüglichem Gehör. Wird ein Insekt von den Schallwellen getroffen, hat es meist nur noch Sekunden zu leben. Die durch die Luft zuckenden Klänge schaffen im Hirn der Fledermaus ein dreidimensionales Bild. Wie ein Zerstörer, der per Echolot ein U-Boot jagt, ortet das fliegende Nachtjäger seine Beute mit Schallreflexion - nur viel schneller und präziser als alle militärischen Ortungssysteme, die je vom Menschen konstruiert wurden.
Wie grobschlächtig wirken dagegen die Fangapparaturen, mit denen die Forscher der Universitäten Bonn, Erlangen und Mainz die eleganten Jäger einfangen wollen. Mit Kopflampen, schweren Schuhen und Messgeräten klettern sie in den düsteren Höhlen umher. Um herauszufinden, wie viele Fledermäuse im Mayener Grubenfeld leben, sind die Wissenschaftler zu der nach eigenen Angaben größten Fangaktion angerückt, die sich jemals in Deutschland abgespielt hat.
Mit der "Harfe" auf Flugsäuger-Jagd
An die Ausgänge mehrerer Stollen haben sie - in der Düsternis erst auf den zweiten Blick zu erkennen - Fallen aufgestellt: Zwei Netze in einer, eine so genannte "Harfe" in einer anderen Höhle. Die "Harfe" ist eine Erfindung von Ornithologen, die für den Fledermausfang umfunktioniert wurde: Die Flattertiere werden von weichen Saiten ausgebremst und fallen in eine gepolsterte Schublade. Die Forscher müssen die verblüfften Tiere nur noch herausklauben.
Die Kollegen von nebenan haben es mit ihren Netzen weniger leicht. Sie müssen die hoffnungslos verhedderten Fledermäuse mühsam herausfummeln - eine nervenaufreibende Arbeit, die mit wachsender Zahl unvorsichtiger Flugsäuger an Schwierigkeit gewinnt. Gegen ein Uhr morgens haben die Fledermäuse ihr Aktivitätsmaximum erreicht, flattern zu Dutzenden durch die Höhle und landen im Sekundentakt in den Netzen. Sie sind durch ihr Balzritual derart abgelenkt, dass sie die Fallen schlicht übersehen, oder besser: überhören.
Wühlen nach dem Penis
Einmal verheddert, verwandeln sich lautlose Jäger in lautstarke Querulanten. Als ob sie wüssten, in welchen Niederungen des Frequenzbands die Menschen hören, kommentieren die Fledermäuse ihre Gefangennahme mit krächzendem Meckern, das entfernt an den Klang eines verärgerten Wellensittichs erinnert. Still sind sie nur, wenn sie einen Forscherfinger zwischen die Kiefer kriegen und herzhaft zubeißen.
Was dann kommt, mögen die Insektenfresser noch weniger: Dicke Finger wühlen in ihrem Fell nach Penis und Zitzen, um die Geschlechtsreife zu erkunden. Anschließend werden die Gliedmaßen vermessen und die kleinen Krallen mit Nagellack bepinselt - mal knallrot, mal zartrosa. "Wenn wir die Tiere erneut fangen, können wir mit einem mathematischen Verfahren ihre Gesamtzahl schätzen", erklärt Andreas Kiefer, Biologe an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.
Tausende von Fledermäusen paaren sich
Nach fünfstündiger Arbeit haben die Forscher 680 Fledermäuse gefangen, vermessen und katalogisiert. Exemplare von insgesamt zehn Arten sind dabei, von der häufig vorkommenden Zwergfledermaus über das Große Mausohr bis hin zur seltenen, an den langen Löffeln leicht zu erkennenden Bechsteinfledermaus.
5000 bis 7000 der fliegenden Säuger, so schätzen die Wissenschaftler, tummeln sich allein in dieser Nacht in den Mayener Stollen. Erfahrungen aus früheren Zählungen hätten ergeben, dass kaum ein Tier ein zweites Mal angetroffen wird. "Bei einem einmonatigen Schwarmverhalten kommt man auf zehntausende Tiere, selbst wenn man nur von 1000 Neuzugängen pro Nacht ausgeht", sagt Kiefer.
Hunderte Fledermäuse gehen in dieser Nacht ins Netz. Doch es könnte das letzte Mal sein, dass sich den Forschern diese Gelegenheit bietet: Das Winterquartier der Nachtjäger wird vielleicht schon bald zerstört - zur Gewinnung von Basalt. Weiter...
Das Mayener Grubenfeld: Einst spie hier ein Vulkan seinen feurigen Odem übers Land. Ein Lavastrom wälzte sich den Berg hinab - drei Kilometer lang, einen Kilometer breit und bis zu 25 Meter hoch. Als die flüssige Masse zu festem Stein gefror, entdeckten die Menschen in ihm einen hervorragenden Rohstoff. Schon vor 2500 Jahren sollen die Kelten hier Basalt abgebaut haben, nach ihnen kamen die Römer und die Franken.
Der Basalt-Abbau ließ gewaltige Höhlen zurück, kuppelähnliche Gebilde, deren Decken sich auf mächtige Säulen stützen. Hier ist es im Sommer kühl und im Winter frostsicher, es herrscht eine konstante Luftfeuchtigkeit und es gibt Ritzen und Nischen im Überfluss - das ideale Quartier für Fledermäuse. Das Grubenfeld bei der 20.000-Einwohner-Stadt Mayen ist nach Meinung von Experten das Zentrum der mitteleuropäischen Fledermaus-Population: Mindestens 30.000 bis 50.000 Tiere treffen sich Schätzungen zufolge in den Stollen zur Paarung und Aufzucht von Jungen.
Fledermäuse folgen alter Tradition
Genetische Untersuchungen haben laut Kiefer ergeben, dass sich die Tiere in so großer Zahl zur Paarung treffen, um Inzucht zu vermeiden - und dass sie mit ihrem Zug in die Eifel einer Jahrhunderte alten Tradition folgen. Genügend Gelegenheit zur Weitergabe ihres Wissens haben Fledermäuse: Das Große Mausohr etwa, die größte in Deutschland vorkommende Art, kann ein Alter von bis zu 25 Jahren erreichen. "Viele Fledermäuse wandern hunderte von Kilometern weit, um hierhin zu gelangen", sagt Kiefer. "Ohne ihre Ortskenntnis würden sie wahrscheinlich noch nicht einmal den Weg finden."
Die Flattertier-Idylle könnte allerdings ein jähes Ende nehmen: Eine ortsansässige Firma, die das Grubenfeld besitzt, hatte bereits die Genehmigung des zuständigen Bergamts zum Basalt-Abbau und der damit verbundenen Zerstörung der Höhlen. Erst als Tierschützer massiven Druck ausübten und mit juristischen Schritten drohten, machte die Behörde einen Rückzieher und kassierte die Erlaubnis vorerst wieder.
"Wenn man weiß, dass man durch die Zerstörung der Höhlen 30.000 Tiere tötet, ist das ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz", sagt Siegfried Schuch, Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) Rheinland-Pfalz. Zunächst sei der Abbau sogar für den Winter geplant gewesen. "Wenn die Fledermäuse sich im Winterschlaf befinden, brauchen sie mehrere Stunden, ehe sie überhaupt bewegungsfähig sind. Sie hätten keine Chance zu entkommen."
Flugsäuger sind noch immer geheimnisvoll
Bis Dezember wollen die Parteien ihre juristischen Möglichkeiten sondieren. Die Tierschützer hoffen mit einigem Recht, dass die Höhlen erhalten bleiben: Derzeit sieht es so aus, als wäre das Unternehmen bei entsprechender Entschädigung bereit, die Stollen im jetzigen Zustand zu belassen. Alles andere wäre nach Meinung der Wissenschaftler schlicht eine "Katastrophe" für die mitteleuropäischen Fledermäuse.
Vieles über die lautlosen Jäger liegt noch immer im Dunkeln. Allein Kiefer gelang in den vergangenen Jahren die Entdeckung zweier neuer Arten, dem Alpenlangohr und dem Sardischen Langohr. Auch in den Mayener Höhlen gibt es nach Meinung der Wissenschaftler noch viel zu entdecken. "Wir erforschen dieses Grubenfeld schon seit zehn Jahren", betont Kiefer. "Aber wir sind noch weit davon entfernt, alles zu wissen."