
Listiges Gewächs Wie Ameisen der fleischfressenden Pflanze auf den Leim gehen
Sie mögen harmlos wirken - aber Kannenpflanzen unterscheiden sich von Rosen und Gänseblümchen nicht nur durch ihr Aussehen. Sie sind Fleischfresser. Und in der Auswahl ihrer Speisen nicht gerade zimperlich: Bienen, Fliegen, Ameisen - alles, was in die namensgebende Kanne rutscht, wird gefressen. Einzelne Arten sind sogar in der Lage, Frösche zu fangen, und sie im Verdauungssaft ihrer Kannen aufzulösen.
Allerdings fragten sich Biologen seit einiger Zeit, wieso eine gewisse Art scheinbar äußerst ineffizient ihre Beute fängt. Nepenthes rafflesiana lässt sich nämlich eine Menge Leckerbissen im tropischen Urwald entgehen. Das Fallenblatt am oberen Ende der Kanne ist nach einigen Stunden ohne Regen bereits so trocken, dass Beute nicht in die Kanne rutscht. Verwunderlich ist das, weil im Inneren der Kanne eine Wachsschicht vorhanden ist. Diese sorgt dafür, dass die Innenfläche die ganze Zeit feucht ist.
"Eigentlich denkt man, dass durch die Evolution früher oder später eine Pflanze entsteht, bei der auch das Fallenblatt mit Wachs überzogen ist ", sagt der Biologe Walter Federle von der University of Cambridge. Dadurch wäre das Fallenblatt immer rutschig und die Pflanze permanent in der Lage, Beute zu fangen.
Ein Forscherteam um Ulrike Bauer von der University of Bristol hat nun herausgefunden, dass diese zeitweilige Ineffizienz scheinbar gewollt ist. Wie die Biologen im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society B" schreiben, kann die Kannenpflanze dadurch mehr als zweieinhalb Mal so viel Beute fangen, als wenn ihr Fallenmechanismus immer aktiv wäre.
Die Hauptnahrungsquelle von Kannenpflanzen sind Ameisen. Sie riechen den süßen Nektar auf dem Fallenblatt der Pflanze und werden dadurch angelockt. Doch so betörend der Duft ist, Ameisen haben ein ausgeklügeltes Sozialverhalten. Anstatt dass alle Tiere auf einmal zur Pflanze rennen, ziehen zunächst Späherameisen los. Sie schauen, ob der Weg zum Nektar ohne Gefahren ist. Erst wenn diese Ameisen mit eigenen Duftstoffen den Weg als sicher markieren, zieht der Rest des Ameisenvolkes los.
Erst anlocken, dann zuschlagen
Die Forscher vermuten nun, dass Nepenthes rafflesiana sich auf dieses Verhalten der Ameisen eingestellt hat. Indem sie die Späherameisen zunächst ungeschoren davon kommen lässt, dürften ganze Völkerwanderungen an Ameisen entstehen, die zum Nektar pilgern. Regnet es dann kurz im tropischen Urwald, wird aus dem sicheren Weg über die Pflanze auf einmal eine Rutschbahn. Ganze Heerscharen von Tieren sollten dann in die Kanne fallen.
Um diesen Zusammenhang zweifelsfrei nachzuweisen, griffen die Forscher auf einen ausgeklügelten Versuchsaufbau zurück. Sie suchten sich 30 einzelne Pflanzen im Urwald von Borneo aus, und schnitten die Kannen von der restlichen Pflanze ab. Anschließend banden sie die einzelnen Kannen an Schnüren wieder in die Vegetation des Waldes. Allerdings befestigten sie an die eine Hälfte der Kannen ein Infusionssystem, welches das Fallenblatt beträufelte. Dadurch war das Blatt zu jeder Zeit rutschig, die Falle permanent aktiv. Die andere Hälfte der Kannenpflanzen setzten sie einfach den Bedingungen des Urwalds aus. 16 Tage lang schauten sie nun jeden Tag nach, wie viele Ameisen in die Kannen fielen.
Das Ergebnis spricht für sich: "Mitunter haben wir aus einzelnen Kannen 70 bis 80 Ameisen herausgefischt", sagt Federle, der massgeblich an der Studie beteiligt war. Selbst wenn es bei nur einem Bruchteil der Fangversuche den Pflanzen gelinge, Heerscharen von mehr als 20 Tieren zu fangen, zahle sich das aus. Die zeitweilig inaktiven Kannenpflanzen fingen mehr als doppelt so viele Ameisen wie die Pflanzen deren Fangblätter permanent feucht waren.
Der Biologe Ingo Scholz, der nicht zu der Forschergruppe gehörte, findet die Studie spannend. Scholz hat selbst an der RWTH Aachen zu Kannenpflanzen geforscht und bewundert, dass die Kollegen bereit waren, sich weiter mit diesen Pflanzen zu beschäftigen. "Eigentlich dachte man, dass man mit dem Rutschmechanismus und dem Verdauungssaft in der Kanne schon die wichtigsten Dinge über die Kannenpflanze verstanden hat", sagt Scholz. Dass die Kannenpflanze jedoch eine Strategie entwickelt hat, um Ameisen zu täuschen und ganze Heerscharen von ihnen zu fangen, das habe man bisher nicht vermutet.
Es gibt jedoch auch Ameisen, die sich mit dem gefräßigen Grünzeugs längst arrangiert haben. Die Ameise Camponotus schmitzii lebt ebenfalls auf Borneo und wohnt in der Kannenpflanze Nepenthes bicalcarata - weil sie im Verdauungssaft der Kanne schwimmen kann. Das hat für die Insekten nicht nur den Vorteil, dass sie selbst nicht von der Pflanze verdaut werden. Andere Ameisen, die in die Kanne fallen, sind nicht nur für die Pflanze ein opulentes Mahl. Auch Camponotus schmitzii hat dadurch eine sichere Nahrungsquelle.