Flussdelfin Baiji Heißer Kandidat für die erste ausgestorbene Walart
"Wir haben den Wettlauf mit der Zeit verloren", klagt der Chef der Umweltorganisation Baiji Foundation, August Pfluger. 39 Tage lang hatte er mit rund 30 Forschern aus sechs Ländern den Jangtse nach den nur dort lebenden Chinesischen Flussdelfinen abgesucht - von zwei Schiffen aus, mit Ferngläsern und Unterwassermikrofonen. Doch bis zum Ende der Expedition am heutigen Mittwoch konnten die Forscher keinen einzigen Baiji sichten. Er sei "mit aller Wahrscheinlichkeit" ausgestorben, sagte Pfluger heute in Wuhan, wo die Expedition auch begonnen hatte.
Noch vorletzte Woche hatten sich der Schweizer und seine Expeditionskollegen Hoffnungen gemacht: "Wir haben die ganze Wahrheit erst am Ende des Trips. Es ist möglich, dass wir auf dem Rückweg noch Baijis sehen", sagte Pfluger damals. Es tauchte aber kein einziger Chinesischer Flussdelfin (Lipotes vexillifer) auf. Trotzdem kann man die Art nicht so einfach auf die Friedhofsliste setzen.
Nur Weltnaturschutzunion vergibt Prädikat "ausgestorben"
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) definiert in einer Expertenkonvention ganz genau: "Ein Taxon (eine Einheit von Lebewesen, etwa eine Art oder eine Gattung, Anm. d. Red.) ist ausgestorben, wenn es keinen berechtigen Zweifel daran gibt, dass das letzte Individuum gestorben ist."
Weiter heißt es: "Dass ein Taxon ausgestorben ist, wird vermutet, wenn es bei gründlichen Bestandsaufnahmen im bekannten und/oder vermuteten Lebensraum zu geeigneten Zeiten (täglich, saisonabhängig, jährlich) überall in seinem historischen Verbreitungsgebiet misslingt, ein Individuum zu erfassen." Wie lange diese aufwändigen Bestandsaufnahmen dauern müssten, hänge vom Lebenszyklus und von der Lebensform der einzelnen Lebewesen ab.
Ob die Baiji-Expedition also diesen Kriterien entspricht, ob die IUCN die Null-Zählung anerkennt und den Chinesischen Flussdelfin daraufhin wirklich als ausgestorbene Tierart deklariert, ist unklar. "Mir selbst fällt es schwer, von meinem Schreibtisch in Frankfurt aus zu sagen, ob die Experten vor Ort die richtigen waren", sagte Volker Homes, Artenschutz- und Walexperte beim WWF Deutschland zu SPIEGEL ONLINE. Einen weiteren Kritikpunkt nämlich dass das Wetter schlecht war und dadurch eventuell Baijis übersehen wurden hatten die Expeditionsteilnehmer bereits selbst eingeräumt. Immerhin seien die Baiji-Sucher richtig ausgerüstet gewesen, sagte Homes.
Trotzdem hält WWF-Tierschutzexperte Homes es für fraglich, ob die IUCN das Ergebnis der Baiji-Expedition annimmt. Denn die Baijis wären dann laut Homes die erste ausgestorbene Walart (Flussdelfine gehören zu den Zahnwalen). "Es wäre also peinlich, wenn der Verband in drei Jahren seine Entscheidung zurücknehmen müsste, weil doch noch ein Baiji gesichtet wurde", sagte der WWF-Experte. Selbst August Pfluger meint, dass es im östlichen Verlauf des Jangtse noch noch ein paar Exemplare geben könnte.
Die Identifizierung war seit jeher problematisch: Entweder werden die Chinesischen Flussdelfine für Angehörige einer anderen Art gehalten, oder ein Tier wird umgekehrt als Baiji erkannt, obwohl es gar keiner ist. Zuletzt wollte ein Fischer im vergangenen Jahr einen Baiji beobachtet haben; die letzte belegte Sichtung stammt laut Pfluger aus dem September 2004.
Schmutziges Flusswasser und moderne Geräte sind Schuld
Bei einer Bestandsaufnahme im Jahr 1997 wurden 13 Individuen gezählt. "Das war schon an der Klippe zum Aussterben", meint Walexperte Homes. Pfluger zufolge sind zur Rettung der Population 20 bis 25 Tiere nötig. Der stellvertretende Leiter des hydrobiologischen Instituts an der chinesischen Akademie der Wissenschaften, Wang Ding, schätzt, dass derzeit allenfalls noch 50 Exemplare leben - wegen der Verschmutzung und der intensiven Nutzung des Jangtse, des längsten chinesischen Stromes. Pfluger, der sich seit Jahren für den Schutz der Baijis einsetzt, nannte einen weiteren Grund für das das niederschmetternde Expeditionsergebnis: Das technische Gerät der modernen Schifffahrt störe den Navigationssinn der Delfine. Deswegen wären die Tiere nicht an ihre Nahrungsquellen gelangt.
Der fast blinde Chinesische Flussdelfin lebte fast 20 Millionen Jahre lang im Jangtse und ist eine der ältesten Delfinarten überhaupt - und das seltenste Säugetier der Welt. Experten sehen in seinem faktischen Aussterben ein schlechtes Zeichen für das künftige Schicksal großer Fluss- und Meeressäuger. Baiji-Schützer Pfluger sprach von einer Tragödie nicht nur für China, sondern für die ganze Welt.
fba/AP/dpa