Evolution Vollständiger Stammbaum der Vögel entschlüsselt

Inventur der Lüfte: 9993 Vogelarten umfasst der Stammbaum, den Forscher jetzt vorgelegt haben. Er zeigt die Verwandtschaft der Tiere - und birgt Überraschungen: Warum verläuft die Entwicklung auf der westlichen Erdhalbkugel ganz anders als auf der östlichen?
Kraniche im Flug (über der Uckermark, Oktober 2012): 9992 verwandte Arten

Kraniche im Flug (über der Uckermark, Oktober 2012): 9992 verwandte Arten

Foto: Patrick Pleul/ dpa

London - Forscher haben die Familiengeschichte der Vögel rekonstruiert - und einen Stammbaum aller knapp 10.000 heute lebenden Vogelarten entworfen. In ihm sind nicht nur Zeiträume, sondern auch geografische Daten vermerkt. Damit können sie nachvollziehen, wann, wo und wie es zur heutigen Artenvielfalt gekommen ist.

Die Ergebnisse halten einige Überraschungen bereit: So leben heute in den Tropen zwar ungewöhnlich viele Vogelarten. Die Geschwindigkeit, mit der dort neue Arten entstehen, war in der Vergangenheit jedoch entgegen der bisherigen Annahme vergleichsweise gering. Außerdem scheinen sich vorhandene Arten in der westlichen Hemisphäre schneller und stärker in neue Arten aufzufächern als in der östlichen - warum, können die Forscher noch nicht sagen.

Für ihr ambitioniertes Projekt fassten die Forscher vorhandene Informationen zu den Familienverhältnissen der Vögel zusammen und kombinierten sie mit genetischen, geografischen und zeitlichen Informationen. So entstand ein Stammbaum, der umfangreicher ist als jeder Entwurf zuvor, schreibt das Team um Walter Jetz von der Yale University in New Haven im Fachmagazin "Nature".

Zudem lasse sich aus der Länge der jeweiligen Äste ablesen, wie schnell sich in welcher Abstammungslinie neue Arten entwickelt haben. Mit den geografischen Daten lässt sich angeben, wo solche Entwicklungshotspots lokalisiert waren.

Inselgebiete als Fabriken für neue Arten

Insgesamt habe die Geschwindigkeit, mit der sich neue Vogelarten gebildet haben, während der vergangenen 50 Millionen Jahre immer weiter zugenommen, resümieren die Forscher. Allerdings folgte diese Zunahme entgegen der bisherigen Annahme weder klaren zeitlichen noch geografischen Mustern.

Vielmehr gab es immer wieder Orte oder Zeiträume, die schnell sehr viele neue Arten hervorbrachten. Einen solchen Effekt findet man unter anderem auf Inseln, wo aus einer einzigen, relativ unspezialisierten Art rasch viele neue Arten hervorgehen, die deutlich spezialisierter sind. Beispiele sind etwa die Darwinfinken, die sich nach der Ankunft auf den Galapagos-Inseln in 14 neue Arten auffächerten, oder die Brillenvögel, die heute einen Großteil des südlichen Asiens und Afrikas bevölkern.

Schnelle Auffächerung in Südamerika

Eine ungewöhnlich schnelle Entwicklung gab es laut den Wissenschaftlern immer da, wo plötzlich neue Verhaltensweisen oder neue körperliche Eigenschaften unter den Vögeln auftauchten. Auch plötzlich auftretende ungewöhnliche Umweltbedingungen beschleunigten die Artenbildung, etwa bei Kolibris, Papageien und einigen Singvögeln. Ebenso klimatische Veränderungen.

So gibt es eine ganze Reihe von Abstammungslinien mit einer turbulenten Vergangenheit in den höheren Breiten Nordamerikas, Teilen Nordasiens und dem Südwesten Südamerikas - Gebieten, in denen sich die klimatischen Gegebenheiten immer wieder verschoben hätten, erläutern die Forscher.

Ein gutes Beispiel seien hier die Singvögel Südamerikas: Sie konnten in den vergangenen zehn bis 20 Millionen Jahren neue Lebensräume erobern, weil sich dort Gletscher zurückzogen, höhere Temperaturen eine Besiedelung von höher gelegenen Gebieten ermöglichten und sich allgemein die gemäßigten Zonen ausbreiteten.

In Afrika und Madagaskar dagegen verlief die Entwicklung der Vögel extrem langsam. Die Forscher vermuten, dass die Vögel dort sehr früh alle ökologischen Nischen besetzt hatten und es keine Notwendigkeit gab, neue Arten zu bilden.

Auch in den Tropen ging die Auffächerung eher langsam vonstatten. Bisher waren Forscher davon ausgegangen, dass dort schneller neue Arten entstehen als in den gemäßigten Breiten. Die heutige Artenvielfalt der Tropen schreiben die Forscher ihrem hohen Alter zu: Tropische Gebiete habe es seit der Entstehung der Vögel praktisch immer gegeben, so dass sich dort mit der Zeit mehr Arten angesammelt hätten.

twn/dapd

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