
Ipso-Bericht: Weltmeere vor dem Kollaps
Forscherbericht Weltmeeren droht ein Massensterben
Hamburg - Den Ozeanen könnte ein Massensterben bevorstehen - so schlimm, wie es sich zuletzt vor rund 55 Millionen Jahren ereignete, als ein bedeutender Teil der im Meer lebenden Arten verschwand. Zu diesem Schluss kommen 27 Forscher aus sechs Ländern in einem jetzt veröffentlichten Bericht. Überfischung, Überdüngung, Klimawandel und vieles mehr - die Experten haben untersucht, welche vom Menschen ausgelösten Probleme das Leben in den Meeren bedroht. Zudem schätzen sie in ihrem Bericht ab, wie sich diese negativen Faktoren gegenseitig beeinflussen und verstärken und bis zum Jahr 2050 auswirken. Getroffen hatten sich die Wissenschaftler bereits im April an der University of Oxford in Großbritannien unter der Leitung des Internationalen Ozean-Programms (Ipso) und der Weltnaturschutzorganisation (IUCN), nun haben sie ihren Bericht vorgelegt.
Hiobsbotschaften über den Zustand der Meere sind leider an der Tagesordnung. Doch nun sagen die Forscher: Die Risiken für die Meere wurden bisher sogar unterschätzt. "Die Ergebnisse sind schockierend", sagt Alex Rogers, der wissenschaftliche Ipso-Direktor. "Das ist eine sehr ernste Situation, die klare Maßnahmen auf jeder Ebene erfordert." Schon in dieser Generation seien Konsequenzen für die Menschheit zu erwarten - und sie könnten auch die folgenden Generationen treffen. In vielen Regionen hängt die Ernährung der Menschen von Fisch und anderen Meerestieren ab. Plankton produziert einen wichtigen Anteil des Sauerstoffs, und bislang puffert das Meer, weil es Kohlendioxid aufnimmt, den Klimawandel ab.
"Ich glaube, dass die Menschen viele Ökosysteme im Meer bereits an ihre Grenze gebracht haben", sagt Jelle Bijma vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (Awi) in Bremerhaven, der an der Tagung im April teilgenommen hat.
Die Forscher listen folgende Probleme auf:
- Durch den Einfluss des Menschen erwärmen sich die Ozeane - und sie versauern, weil sie Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen. Als Folge schwindet jetzt der Sauerstoffgehalt in manchen Meeresregionen. "Die Pufferkapazität des Meeres sinkt. Das führt dazu, dass die Ozeane noch schneller versauern und dass sie weniger CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können, was wiederum den Klimawandel beschleunigt", erklärt Jelle Bijma.
- Erwärmung, Versauerung, fehlender Sauerstoff: Das sind drei Symptome für Störungen im Kohlenstoffkreislauf, der auch bei den bekannten, globalen Massenaussterben in den vergangenen 600 Millionen Jahren aus dem Lot geraten war.
- Die Lage des Meeres verschlechtere sich extrem schnell - zum Teil so, wie es in Worst-Case-Szenarien prognostiziert werde, teilweise sogar noch schneller. Das gelte für die Eisschmelze in der Arktis, auf Grönland und in der Antarktis, für den Anstieg des Meeresspiegels sowie die Freisetzung von Methan am Meeresgrund.
- Andere Veränderungen vollziehen sich dem Bericht zufolge nicht ganz so rasant, dazu zählten das Verschwinden von Fischarten und das Auftreten gefährlicher Algenblüten. Allerdings seien die Bestände einiger kommerziell wichtiger Fischarten um mehr als 90 Prozent reduziert worden.
- Der kumulative Effekt der schädlichen Einflüsse sei größer als bisher angenommen - und größer als die Summe der einzelnen Effekte. So würden etwa gleichzeitige Überfischung, Überdüngung, klimatische Veränderung und das Einführen nicht-heimischer Arten dazu führen, dass sich diese fremden Arten ausbreiten, was sich etwa durch Algenblüten bemerkbar mache. Steigende Temperaturen und Versauerung zerstören gemeinsam tropische Korallenriffe. "Die tropischen Korallenriffe sind in 30 Jahren wahrscheinlich verschwunden, wenn weiter so viel CO2 ausgestoßen wird", sagt Jelle Bijma vom Awi. Ein weiteres Beispiel: Schadstoffe können sich an kleinste Plastikteilchen heften, so dass sie sich noch besser verbreiten oder von Lebewesen aufgenommen werden.
- Überfischung und Umweltverschmutzung schädigten das Meer, wodurch es unwahrscheinlicher wird, dass sich bereits angeschlagene Arten dem veränderten Klima anpassen können. Heute seien Überfischung sowie der Verlust ihres Lebensraums für den größten Teil des Artensterbens im Meer verantwortlich, künftig werde Klimawandel zunehmend eine Rolle spielen.
Die Forscher haben sich nicht nur mit der desolaten Lage der Meere beschäftigt, sie nennen auch Maßnahmen, wie sich die Situation verbessern lässt:
- Nur noch langfristig nachhaltiger Fischfang,
- Schadstoffe sollten möglichst gar nicht mehr ins Wasser geleitet werden,
- auf Rohstoffgewinnung im Meer sollte bestenfalls ganz verzichtet werden - oder sie muss zumindest streng reguliert sein.
Mit diesen maßnahmen könnte man die Ökosysteme im Meer stabilisieren und das drohende Massensterben verhindern.
Ob diese Forderungen allerdings umgesetzt werden, ist mehr als fraglich. Über den ersten Punkt auf der Liste - die Kohlendioxid-Emissionen zu senken -, diskutierten Tausende Delegierte Jahr für Jahr auf den verschiedenen Weltklimagipfeln. Doch schon jetzt mehren sich die Stimmen, dass auch die nächste Konferenz, die im November im südafrikanischen Durban beginnt, scheitern wird. "Wenn ich die Politik betrachte, halte ich es leider für unwahrscheinlich, dass etwas unternommen wird", sagt Meeresforscher Bijma.