
Digitales Skelett: Spinosaurus war guter Schwimmer
Neue Fossilfunde Gigantischer Raubsaurier lebte im Wasser
"Heute lassen wir einen Giganten aus längst vergangenen Zeiten wiederaufleben" - mit diesen Worten präsentierte Nizar Ibrahim seine spektakulären Ergebnisse auf einer Pressekonferenz. Und er übertreibt damit nicht: Den Forschern um den deutsch-marokkanischen Paläontologen von der University Chicago ist es gelungen, ein digitales Modell des größten bekannten Raubsauriers zu erstellen. Und nicht nur das: Die jetzt im Fachmagazin "Science" veröffentlichten Ergebnisse bringen das Verständnis von der Lebensweise und Ernährung der Urzeitgiganten ins Wanken.
Gingen Paläontologen bisher davon aus, dass Dinosaurier reine Landlebewesen waren, die nur gelegentlich im Wasser wateten, müssen sie jetzt umdenken. Die neuen Funde belegen: Die gigantischen Dinosaurier der Art Spinosaurus aegyptiacus waren offenbar gute Schwimmer. Die Fachwelt ist beeindruckt: "Bisher war noch kein Spinosaurierfund so vollständig", sagt Bernd Herkner, Museumsleiter am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main. "Insbesondere über die Extremitäten gibt der Fund Auskünfte, die man vorher nicht hatte."
Der außergewöhnliche Körperbau des Spinosaurus hatte Forschern lange Zeit Rätsel aufgegeben. Obwohl ein deutscher Paläontologe erste Fossilien des Giganten schon vor über 100 Jahren in Ägypten entdeckte. Ernst Stromer von Reichenbach brachte sie damals nach München in die Bayerische Staatssammlung und beschrieb als erster diesen Dinosaurier, der vor etwa 97 Millionen Jahren lebte. Das Tragische: Fast alle Fossilien überstanden im Zweiten Weltkrieg den Angriff der Royal Air Force nicht, die die Staatssammlung zerbombte und die Funde für immer zerstörte. Nur ein paar wenige Knochen blieben übrig und die Zeichnungen des Paläontologen.
Vieles blieb daher Spekulation, weitere Funde waren rar. Bis jetzt ein internationales Forscherteam um Ibrahim in der Kem-Kem-Region im Süden von Marokko auf eine unglaubliche Fülle vollständig erhaltener Fossilien stieß - darunter Teile des Schädels, der Wirbelsäule, des Beckens und der Extremitäten.
Damit begann für Ibrahim und sein Team die Fleißarbeit - oder besser Puzzlearbeit. Sie kombinierten die neuen Fossilfunde mit Daten früherer Funde, Stromers übriggebliebenen Knochen und Zeichnungen sowie Knochen nahe verwandter Arten. Mit ehrgeizigem Ziel: "Wir wollten ein digitales Skelett des Spinosaurus erstellen, das so genau und detailgetreu wir irgendmöglich ist", sagt Ibrahim.
Das Ergebnis ist beeindruckend: Das rekonstruierte Modell zeigt, dass der gefundene Spinosaurus von der Schnauze bis zum Schwanz bis zu 15 Meter maß. In seinem krokodilähnlichen Maul steckten lange Zähne, und auch sein Rückenkamm beeindruckt. Der Spinosaurier hätte sogar den berühmten Tyrannosaurus rex überragt - wenn beide Arten zur gleichen Zeit gelebt hätten.
Die Körperanatomie verriet den Forschern dann auch, dass der Dinosaurier viel im Wasser gelebt haben muss. "Hüft- und Beinknochen waren verkürzt - etwas, das wir von Tieren kennen, die einst zurück ins Wasser gingen - wie die Vorfahren der heutigen Wale", so Ibrahim. Außerdem vermuten die Forscher, dass der Körperschwerpunkt sehr weit hinten lag - was das Schwimmen erleichtert. Der Schwanz war ähnlich aufgebaut wie der eines Krokodils und taugte damit als Antriebsorgan. "Auch die krokodilähnliche Kopf- und Schnauzenform sowie die Lage der Nasenöffnungen spricht für eine Ernährung unter Wasser", sagt Paläontologe Herkner.
Dass Spinosaurier Fische gefressen haben, ist schon länger bekannt. Bisher gingen die Paläontologen aber davon aus, dass die Spinosaurier die Fische im flachen Wasser - also watend - jagten. "Offenbar handelt es sich um ein Tier, das sich häufig im Wasser aufgehalten hat und besser schwimmen konnte als jeder andere Dinosauriertyp", sagt Herkner. Und stimmt den Autoren der Studie zu: "Die Hinweise auf eine voll aquatische Jagdweise sind in der Tat überraschend."