
Bienen und Käfer: Bestäuber im Einsatz
Gefahr für die Welternährung Von Blüten und Bienentod
Von diesen makellosen Gewächsen erntet die Firma Eurofresh jedes Jahr rund 60.000 Tonnen Tomaten. Ihre Stengel wachsen aus Kokosfaserblöcken einem verglasten Himmel entgegen. In dieser hochtechnisierten Umwelt ist - beinahe unwirklich - ein anhaltendes Summen zu hören: an die tausend Hummeln bei der Arbeit.
Die meisten Blütenpflanzen sind für ihre Fortpflanzung auf Boten angewiesen, die den Pollen zwischen männlichen und weiblichen Blütenteilen übertragen. Manche brauchen noch zusätzliche Anreize, bevor sie ihren Goldstaub abgeben. Die Tomatenblüte zum Beispiel muss kräftig geschüttelt werden.
Die Züchter haben es mit Rütteltischen probiert, mit Gebläsen und Knallgeräuschen, sogar mit Vibratoren, die an jede einzelne Blütentraube gehalten wurden. Und was hat sich durchgesetzt? Die Hummel. Beim Fressen an einer Tomatenblüte zittert sie so heftig, dass eine Wolke Pollenkörner freigesetzt wird. Der Pollen trifft auf die Narbe (den Empfängnispunkt des weiblichen Blütenorgans), und mancher bleibt dabei am behaarten Körper der Hummel hängen. Anschließend trägt das Insekt den Staub zur nächsten Blüte. Dass die Natur diese Aufgabe immer noch am besten erledigt, ist eigentlich kein Wunder. Weniger bekannt ist, wie viele verschiedene Tiere den Pflanzen als Befruchtungshelfer dienen: Es sind mehr als 200.000 Arten.
Die ersten Bestäuber waren Fliegen und Käfer. Sie erfüllten die Aufgabe schon, als sich die Blütenpflanzen vor 130 Millionen Jahren aus einfach gebauten Gewächsen entwickelten. Dann kamen die Bienen und Hummeln - etwa 20.000 Arten kennen die Experten heute. Andere bestäubende sind Schmetterlinge, Wespen, Ameisen und Mücken. Aber auch Vögel wie die Kolibris sind Pollenträger.
Die der Blütenpflanzen ist von der ihrer Bestäuber nicht zu trennen. So wie die Pflanzenorgane, so sind auch die Transportsysteme der Tiere, die den Pollen aufnehmen, von großartiger Vielfalt: das Spektrum reicht von Röhren und Rinnen bis zu Lappen, Bürsten und Stacheln. Für Monokulturen und die auf Mega-Erträge programmierte moderne ist diese Vielfalt allerdings wenig geeignet.
Honigbienen fliegen nahezu alle Nutzpflanzen an
"Früher, als die landwirtschaftlichen Betriebe nicht so groß waren, brauchten wir uns um die Bestäubung nicht extra zu kümmern", erklärt die Biologin Claire Kremen von der Universität Berkeley in Kalifornien. "In der vielgestaltigen Landschaft gab es überall geeignete Bestäuber. Heute, in einer Zeit der Monokulturen, muss man Heerscharen von Insekten eigens heranschaffen, damit die Sache klappt." Mindestens hundert kommerziell angebaute Nutzpflanzen werden heute fast ausschließlich von gemieteten Völkern der Europäischen Apis mellifera bestäubt. Andere Bienenarten befruchten bestimmte Feldfrüchte pro Kopf zwar fünf- bis zehnmal effizienter. Die Völker der Honigbienen sind aber größer, sie fliegen weitere Strecken, und sie vertragen Bewirtschaftung und Transport besser als die meisten anderen Insekten. Außerdem sind sie nicht wählerisch: Unsere Honigbienen fliegen nahezu alle Nutzpflanzen an, man kann sie also vielfältig einsetzen.
Die industrielle Landwirtschaft könnte das System überfordern. Seit Honigbienen künstlich gehalten werden, mehren sich bei ihnen Krankheiten und Parasiten. Im Jahr 2006 kam es zu einem Massensterben. In den USA und einigen anderen Ländern verendeten die Bienen während des Winters in riesiger Zahl. Manche Züchter hatten den Verlust von fast 90 Prozent ihrer Bienenvölker zu beklagen. Das rätselhafte Sterben hat inzwischen zwar einen Namen: CCD (Colony Collapse Disorder - "Zusammenbruch der Kolonien"), aber die Ursache liegt nach wie vor im Dunkeln.
Nicht nur den von Züchtern gehaltenen Bienen geht es schlecht. Gleiches gilt für die wilden Bestäuber, deren Tätigkeit allein in den USA auf einen materiellen Wert von drei Milliarden Dollar jährlich geschätzt wird.
Um die Umweltverhältnisse für Biene und Co zu verbessern, sollte die Landwirtschaft weniger Chemie einsetzen, fordert der amerikanische Insektenforscher Stephen Buchmann: Nur gesunde Tiere mit einem starken Immunsystem könnten Krankheitserreger abwehren.
Eine andere Bedrohung ist der Verlust artenreicher Lebensräume für Bestäuber. Die Biologin Claire Kremen aus Berkeley ermuntert die Bauern deshalb, die Pflanzenwelt rund um ihre Nutzflächen zu pflegen. "Den Hof kann man nicht verlegen", sagt sie, "aber man kann entlang der Straßen und Wege für größere Artenvielfalt sorgen." Auch durch die Anlage von Hecken und von Beeten mit Wildblumen, die zu unterschiedlichen Zeiten blühen.
Dieser Artikel ist im National Geographic Deutschland, Ausgabe März 2011 erschienen.