
Erbgut-Elemente: Was Lachs und Wels verbindet
Erbgut-Transfer Fische und Parasiten tauschen Gene aus
Eigentlich ist die Sache klar: Je enger die Verwandtschaft, desto ähnlicher das Erbgut. Das gilt innerhalb einer Art, bei der sich Geschwister in aller Regel genetisch stärker gleichen als etwa Cousins und Cousinen. Und es gilt über Arten hinweg. So gibt es mehr Erbgut-Übereinstimmungen zwischen Mensch und Gorilla als zwischen Mensch und Maus. Beides ist durch klassische Vererbung zu erklären.
Durch Zufall sind Biologen von der Universität Konstanz auf eine frappierende Ausnahme gestoßen: Sie entdeckten sich wiederholende Elemente im Erbgut von atlantischen Lachsen, Katzenwelsen und anderen Fischarten, die einander erstaunlich ähneln - obwohl die Spezies nur entfernt verwandt sind.
Noch etwas verbindet die Arten: Sie werden alle von einem Parasiten befallen, dem Neunauge. Diese fischähnlichen Tiere saugen sich an Fischen fest, beißen sich durch die Haut und ernähren sich vom Blut ihrer Opfer.
Durch klassische Vererbung kaum zu erklären
Bei den Neunaugen waren die Forscher zuerst auf die als Tc1-Element bezeichneten Abschnitte gestoßen. Sie finden sich im Erbgut der urtümlichen Tiere in großer Zahl: Mehr als 6600 Kopien zählten die Wissenschaftler. Damit nehmen die sich wiederholenden Sequenzen fast ein Prozent des Neunaugen-Genoms ein. Zusätzlich entdeckten die Forscher Tc1-Elemente bei einer Fischlaus, die Lachse befällt, und bei Wimpertierchen, die die sogenannte Weißpünktchenkrankheit auslösen.
Es ist nicht so, dass diese spezielle Form von Tc1-Elementen einfach bei allen Arten vorkommt - sie fehlen bei diversen Spezies, deren Genom schon entschlüsselt ist. Weder Kugelfische, Stichlinge oder Zebrabärblinge noch Frösche und Säugetiere haben sie.
Durch klassische Vererbung lässt sich die Verteilung der Tc1-Elemente bei Fischen und Parasiten kaum erklären. Aber wie dann? In einer im Fachmagazin "Genome Biology and Evolution" veröffentlichten Studie vermuten die Wissenschaftler, dass die Fischarten Erbgut ausgetauscht haben. Horizontaler Gentransfer nennt sich dieser Tausch über Artengrenzen hinweg. Bekannt ist das Phänomen von Mikroorganismen - vor allem von Bakterien. Dass es auch bei Fischen auftritt, ist eine Überraschung.
Der Transfer hat wahrscheinlich mehrmals stattgefunden, erklärt der an der Studie beteiligte Evolutionsbiologe Axel Meyer. Wahrscheinlich zuerst von einem Fisch hin zu den Neunaugen und dann später von diesen zu verschiedenen Fischarten. Das lässt sich aus der Beschaffenheit der Tc1-Elemente bei den verschiedenen Spezies ableiten.
Mobilität im Erbgut
Tc1-Elemente gehören zu einer interessanten Kategorie von Erbgut-Schnipseln, den sogenannten Transposons. Genforscher vermuten, dass es sich dabei um Reste von Viren handelt. Transposons können ihre Position im Erbgut verändern, indem sie sich an einer Stelle herausschneiden und an einer anderen wieder einsetzen. Der Bauplan für das nötige Enzym steht in der DNA-Sequenz des Transposons.
Mit der Zeit werden diese Elemente sesshaft, der größte Teil verliert die Fähigkeit zu springen. Vorher aber können sie sich in einem Genom in stattlichem Maß ausbreiten, wie sich nicht nur bei den Neunaugen zeigt. Bei den Arten, deren Genom bereits entschlüsselt ist, machen Transposons meist einen zweistelligen Prozentsatz der DNA aus, beim Menschen sind es 45 Prozent, beim Mais sogar 85.
Durch ihre Beschaffenheit sind diese springenden Gene bei einem Gentransfer jenseits der sexuellen Fortpflanzung sicher im Vorteil: Immerhin können sie sich selbstständig in ein neues Genom integrieren. Aber dazu müssten sie erst unbeschadet in einen Zellkern gelangen. Bedenkt man, dass im Körper spezialisierte Eiweiße DNA außerhalb der Zellkerne vernichten, wird das keine leichte Aufgabe sein.
Sollten Gen-Schnipsel von einem Tier ins andere gelangen, wenn sich ein Neunauge in sein Opfer verbeißt, ist die Fremd-DNA also noch lange nicht am Ziel. Damit die Tc1-Elemente in den verschiedenen Spezies zu finden sind, müssen sie nicht nur ins Erbgut irgendwelcher Zellen gelangt sein, sondern in das der Keimzellen - denn nur so konnten sie weitervererbt werden. "Dazu wären mehrere Schritte notwendig, die alle unwahrscheinlich sind", sagt Meyer. Er präsentiert daher keine genauere Vorstellung, wie der Gentransfer zwischen Neunaugen und Fischen abgelaufen sein könnte.
Um eine Theorie zu entwickeln, könnte man jetzt das Erbgut anderer Parasiten und ihrer Wirte auf Parallelen untersuchen. Oder Fische, die bislang nicht von Neunaugen befallen werden, den Blutsaugern aussetzen und auf einen möglichen Gentransfer testen. So ließe sich möglicherweise ergründen, wie die Transposons nicht nur im Erbgut eines Individuums hin- und herspringen, sondern auch noch über eine Artengrenze hinweg. Meyers Arbeitsgruppe hat das bisher nicht geplant - aber vielleicht nimmt sich jemand anderes dieses Rätsels an.