Gentechnik Forscher züchten Tomate im Extrem-Zeitraffer

Tomaten
Foto: Victoria Bonn-Meuser/ dpaFrüher trugen Tomaten weniger Früchte, die auch noch kleiner und weniger rot waren. In Jahrhunderten haben die Menschen die Wildtomate jedoch zum Hochleistungs-Gemüse gezüchtet. Forscher haben diesen Prozess nun im Zeitraffer wiederholt und dabei eine Pflanze erschaffen, die sogar modernen Tomaten einiges voraushat. Das berichtet ein Forscherteam aus Deutschland, Brasilien und den USA im Fachmagazin "Nature Biotechnology".
Verwendet wurde dafür die vor einigen Jahren entwickelte Gen-Schere Crispr/Cas9. Sie ermöglicht es unter anderem, Erbgut von Pflanzen und anderen Lebewesen präziser, schneller und günstiger zu verändern als bisher. Mit der Gen-Schere haben Forscher Reis widerstandsfähiger gegen bestimmte bakterielle Erreger gemacht, Mais toleranter gegen Wassermangel und Tomaten früher erntebereit.
Alle Vorteile nutzen
"Die neue Methode erlaubt es uns, bei Null anzufangen und einen Domestikationsprozess noch einmal ganz neu zu starten", sagt der Biologe Jörg Kudla von der Universität Münster. Die wertvollen Eigenschaften ließen sich bewahren - und gleichzeitig gewünschte Nutzpflanzen-Merkmale in kürzester Zeit erzeugen.
Heutige Nutzpflanzen brächten dagegen zwar deutlich höhere Erträge ein als die wilden Pflanzen, andere wünschenswerte Eigenschaften wie Toleranz gegenüber bestimmten Krankheiten, Trockenheit und Hitze seien dagegen verlorengegangen.
Als Ausgangspunkt ihrer Versuche nutzte das Team die wilde Tomatenart Solanum pimpinellifolium aus Südamerika, die Vorfahren heutiger Kulturtomaten. Die Art hat vergleichsweise wenige und nur erbsengroße Früchte - schmeckt aber aromatischer als moderne Tomatensorten und enthält größere Mengen des als gesund geltenden Radikalfängers Lycopin.
Lycopin-Gehalt verdoppelt
Mit der Gen-Schere Crispr/Cas9 veränderten die Wissenschaftler sechs Gene der Pflanze, die als besonders relevant für die erwünschten Vorzüge von Kulturtomaten gelten. In der Folge wurden die Früchte etwa so groß wie Cocktailtomaten. Ihre Zahl je Pflanze verzehnfachte sich, ihre Form wurde ovaler. Das hat den Vorteil, dass sie nicht so schnell platzen. Zudem bekamen die Pflanzen einen kompakteren Wuchs, wie die Forscher berichten.
Demnach gelang es auch, den Lycopin-Gehalt zu verdoppeln, der damit fünfmal so hoch liege wie bei herkömmlichen Cocktailtomaten. "Das ist eine ganz entscheidende Neuerung", sagt Kudla. Züchter hätten sich bislang vergebens bemüht, den Gehalt bei Kulturtomaten wieder zu erhöhen. In den Fällen, in denen es gelang, sei das auf Kosten des Gehalts an Beta-Carotin gegangen. Dieses habe ebenfalls eine zellschützende Wirkung und sei daher ein wertvoller Inhaltsstoff.
Das Beispiel zeige, welch enormes Potenzial moderne Genom-Editierung dafür habe, Wildpflanzen neu zu domestizieren und für den Menschen nutzbar zu machen, erklären die Forscher.
Entscheidender Durchbruch
"Diese Arbeit ist tatsächlich ein ganz entscheidender Durchbruch für die Nutzpflanzenzucht", sagt der Karlsruher Forscher Holger Puchta, der nicht an der Studie beteiligt war. "Die Arbeit zeigt grundsätzlich, dass es auf einer ganz neuen Ebene möglich ist, die über Jahrtausende in Interaktion mit der Umwelt gebildeten genetischen Ressourcen der Natur für die Landwirtschaft zu nutzen."
Allerdings sind gentechnisch veränderte Pflanzen ein Reizthema. Das riesige Potenzial für höhere Erträge sehen die Befürworter, unbekannte Risiken und Vorteile für einige wenige Großkonzerne die Gegner.
Anders als etwa in den USA dürften mit Crispr/Cas veränderte Pflanzen hierzulande deshalb in den nächsten Jahren kaum eine Rolle spielen. Auch die neue Tomate wird hierzulande vorerst nicht erhältlich sein. Kaum jemand in Deutschland möchte gentechnisch veränderte Lebensmittel auf dem Teller haben, zeigen Umfragen. Bisher gibt es sie daher nur in seltenen Einzelfällen zu kaufen.
Zudem hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Pflanzen, die gentechnisch so verändert wurden, dass man sie bei Stichproben auf einem Feld nicht von Züchtungen unterscheiden könnte, in der EU streng reguliert und gekennzeichnet werden müssen. Für sie gelten die gleichen Regeln wie für "Gentechnisch veränderte Organismen". Mehr dazu lesen Sie hier.