Wirkungslose Uno-Konferenzen Forscher fordern Ende der Weltklimagipfel

Klimagipfel in Doha, Katar (im November): Hochtrabende Ziele, Mangel an Umsetzung
Foto: ? Fadi Al-Assaad / Reuters/ REUTERSHamburg - Hört noch jemand zu, liest noch jemand mit? Berichte über Klimarettung sind zum ermüdenden Ritual geworden. Seit 20 Jahren ringt die Staaten-Gemeinschaft um einen Klimavertrag. Die Hoffnung auf eine Einigung sinkt stetig, der Ausstoß an Treibhausgasen hingegen steigt rasant. Klimaforscher erwarten deshalb eine deutliche Erwärmung mit ungewissen Folgen.
Soeben ist nun auch der 18. Klimagipfel der Vereinten Nationen (Uno) zu Ende gegangen, ohne dass nennenswerte Maßnahmen beschlossen worden wären. Die Delegierten vertrösten auf den 21. Uno-Klimagipfel in drei Jahren, wenn ein Klimaabkommen erreicht werden soll. Gipfel 19 und 20 seien weitere "Vorbereitungsgipfel".
Ähnliche Pläne wurden auf allen vorigen Treffen verkündet. Doch selbst die Uno-Konferenz von Kopenhagen im Jahr 2009, die zum "alles entscheidenden Klimagipfel" stilisiert worden war, scheiterte - trotz der Beteiligung zahlreicher Staats- und Regierungschefs wie Barack Obama und Angela Merkel.
Top-Politiker meiden die Klimagipfel inzwischen. Wie lange aber wollen die rund 20.000 Uno-Delegierten als Vertreter der Staaten noch von Gipfel zu Gipfel reisen, um die Hoffnung auf einen weltweiten Vertrag zu schüren?
Die Zeit des "geschickten Erwartungsmanagements der Uno" gehe zu Ende, meint Oliver Geden, Klimapolitik-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch andere Fachleute halten die Uno-Klimapolitik für gescheitert.
SPIEGEL ONLINE erläutert die neue Strategie der Experten gegen den Klimawandel in fünf Schritten.
1) Die Diagnose: Das Sterben der Uno-Klimakonferenzen
Zum Ritual der Uno-Klimakonferenzen gehört es, die dürftigen Ergebnisse mit blumigen Worten als Erfolg hinzustellen. Die Doha-Tagung habe "das Tor in die Zukunft des internationalen Klimaschutzes geöffnet", sagt Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU). Die Konferenz sei "schon deshalb ein Erfolg, weil der Kollaps des mühsamen Uno-Prozesses verhindert wurde", meint Hans-Joachim Schellnhuber, langjähriger Klimaberater der Bundesregierung.
Uno-Konferenzen als Selbstzweck also?
Außenstehende Experten kommen zu harschen Urteilen: "Die Hoffnung auf einen 'Global Deal' ist ausgeträumt", meint der Umwelthistoriker Frank Uekötter vom Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft. Klimakonferenzen seien immer deutlicher Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. "Eine Abschaffung würde Raum für Neues öffnen".
"Die Erwartung, steigender Problemdruck würde Ergebnisse erzwingen, hat sich nicht erfüllt - und dürfte sich nicht mehr erfüllen", ergänzt Geden. Die Pläne der Uno-Delegierten seien zwar "von bestechender Eleganz", in der politischen Praxis jedoch nicht umsetzbar.
Die Uno-Klimakonferenzen alter Prägung hätten sich überlebt, meint Geden: Künftig sollte man sich "in kleinerem Kreis treffen": "Ich hab das noch nie verstanden, warum Verhandlungen, die nicht mal unter 20 Staaten funktionieren, im Uno-Kreis von 194 Staaten funktionieren sollen", sagt Geden. "Die USA und China lassen sich doch nicht von Nauru oder Tuvalu sagen, wie viel sie reduzieren sollen." Verhandlungen über Abgas-Reduzierung könnte man besser auf den G-20-Gipfeln der größten Industriestaaten abhalten, meint der Politikexperte.
Andere Fachleute kommen zu ähnlichen Schlüssen: Von "symbolischer Politik" spricht Silke Beck, Klima-Soziologin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ. "Hochtrabenden Zielen" stünde ein "offensichtlicher Mangel" an Umsetzung gegenüber. Das Thema Klimawandel sei "mehrere Nummern zu groß" für den Uno-Prozess.
Statt der Uno-Gipfel plädiert Beck dafür, künftig "Weltausstellungen" abzuhalten: "Ein überegionaler Verhandlungsrahmen bleibt weiterhin wichtig", sagt die Forscherin. Es sollte jedoch eher ein Forum für Staaten, Wirtschaft und Umweltorganisationen sein, dass sich mit regionalen Klimaproblemen beschäftigt.
Eine Abkehr von der bisherigen Praxis fordert auch Maximilian Mayer, Politikforscher an der Universität Bonn: Die Fixierung der Uno-Klimapolitik auf das CO2 drohe in eine "Form von Experten gelenkter Technokratie" zu münden, fürchtet er. "Ich würde für eine deutliche Eindampfung des Uno-Klimaprozesses plädieren", sagt er. Man solle sich auf andere Instrumente konzentrieren.
Dass die Uno ihre Klimakonferenzen von selbst abschaffen wird, glaubt Uekötter jedoch nicht. Zu sehr profitierten die Beteiligten von den Veranstaltungen, sagt er: Politiker könnten auf großer Bühne Energievisionen für die nächsten Jahrzehnte präsentieren - die Frist währt so lang, dass sie sich der Überprüfung nicht mehr stellen müssen. Die langfristige Großplanung sichere zudem große Budgets für zahlreiche Stellen im Verwaltungsapparat.
Und auch Klimaforscher lebten gut vom Uno-Prozess, sie würden als Aufklärer etwa gegen Skeptiker gefragt und erhielten besondere Beachtung: "Keine andere Gruppe", staunt Uekötter, "könnte sich derart umfassende Pläne für die Umgestaltung der Gesellschaft erlauben." Doch wem nützen die Globalvisionen?
2) Die Ursache: Zwei-Grad-Ziel lähmt die Welt
Als Hauptproblem der Uno-Klimapolitik haben Experten deren zentrale Formel ausgemacht: Die Welt müsse die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen, um mögliche Gefahren zu minimieren, lautet die Maxime. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll folglich radikal eingeschränkt werden - darum drehen sich alle Uno-Klimakonferenzen. Ein grundsätzlicher Fehler, meint Uekötter: "Die Diskussion fixiert sich viel zu sehr auf die Treibhausgase."
Aber soll die Welt einfach zusehen, wie die Gase das Klima weiter erwärmen?
Angesichts von 20 Jahren erfolgloser Klimakonferenzen bleibt womöglich nichts anderes übrig, als sich an die wärmere Umwelt anzupassen. Eine deutliche Bremsung des Wandels erscheine jedenfalls utopisch, sagt Geden. Angesichts steigender CO2-Emissionen hält er das Zwei-Grad-Ziel für schiere Illusion. Die Zwei-Grad-Politik lasse jene politischen und gesellschaftlichen Kräfte außer Acht, die das Uno-Ziel erfolgreich blockierten.
Mehr Realismus der Delegierten sei aber kaum zu erwarten: Das Streben nach der als ideal erkannten Lösung sei offensichtlich über jeden Zweifel erhaben - selbst wenn der Ansatz kaum messbare Ergebnisse geliefert habe, sagt Geden. Die Infragestellung des Zwei-Grad-Ziels laufe "automatisch auf eine Infragestellung von Klimapolitik insgesamt hinaus", meint auch Silke Beck. Aus diesem Grund klammerten sich die Staaten an ihre Faustformel.
Schuld an dem Stillstand sei das enge Verhältnis von Politik und Klimaforschung, so Beck: "Wissenschaftler und Politiker haben sich symbiotisch aufeinander eingespielt." Forscher gerierten sich "als Einpeitscher der politischen Debatte", was mit wissenschaftlicher Beratung kaum vereinbar sei, sagt Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum für Küstenschutz, ein renommierter Klimaforscher, der sich seit langem dafür einsetzt, Sozialwissenschaftler und Laien stärker in die Debatte einzubeziehen.
Obgleich der Uno-Klimareport eigentlich diverse Klimaschutzmaßnahmen präsentiere, stellten tonangebende Wissenschaftler die CO2-Vermeidung stets als einzige Möglichkeit zur Lösung des Klimaproblems dar, unterstreicht der Soziologe Sebastian Wiesnet von der Universität Bamberg. Diese Einseitigkeit der Uno dränge andere geeignete Maßnahmen zu Unrecht in den Hintergrund.
Künftige Lösungen müssten auf mehreren Ebenen entwickelt werden, meint Uekötter. Wenn die "Phase der Untätigkeit" der Uno-Klimakonferenzen überwunden sei, dürften zwei andere Klimaschutz-Varianten ihre Chance bekommen, glaubt Geden: Anpassung und Geo-Engineering.
3) Der andere Weg: Klima oder Menschen schützen?
Anpassungsmaßnahmen wie Deichbau oder Hitzeschutz drehen die gegenwärtige Herangehensweise der Uno um: Anstatt das Klima vor dem Menschen zu schützen, wappnet sich der Mensch gegen das Wetter. Der Nachteil einer ausschließlichen Anpassungspolitik wäre freilich, dass der Klimawandel voraussichtlich weiterginge.
Doch längst betreiben Regierungen in aller Welt entsprechende Maßnahmen. Deutschland etwa hat zigmilliardenschwere Küstenschutzprogramme beschlossen. Einzig die Uno-Politik ignoriert das Thema.
"Die Situation ist abstrus", erklärt Wiesnet: Anpassung sei notwendig, doch wer darüber rede, setze sich dem Vorwurf aus, von der CO2-Minderung abzulenken - und damit die gegenwärtige Klimapolitik in Misskredit zu bringen. Mit dem "politökologischen Ethos" der CO2-Vermeidung habe sich die Klimapolitik in die Falle bugsiert, meint der Sozialforscher. In manchen westlichen Ländern wie Deutschland käme "ein Kurswechsel politischem Selbstmord gleich".
"Dem Wähler gegenüber ehrlicher wäre es jedoch, innezuhalten und zu überlegen, wie sich globaler Klimaschutz tatsächlich umsetzen lässt", meint Wiesnet. Der Verzicht auf das Kyoto-Protokoll oder andere Klimaabkommen der Uno bei gleichzeitiger Verstärkung von Anpassungsmaßnahmen hätte zwei entscheidende Vorteile, glaubt Wiesnet: Sie ließen sich schneller durchsetzen und seien billiger als die CO2-Vermeidung.
Das Abweichen von der Uno-Klimapolitik würde für viele Regierungen außerhalb des Westens deshalb zunehmend attraktiv. Hierzulande aber erzeugen die Abweichler Unmut: "Die Rollen von Gut und Böse dürften in Deutschland weiterhin klar verteilt sein", meint Geden: "Auf der einen Seite Deutschland und der Großteil der EU, auf der anderen Seite die 'üblichen Verdächtigen': China, USA, Indien und nun auch Polen."

Geo-Engineering-Projekte (bitte Hochklicken für eine Legende): Unerwünschte Wirkungen
Foto: SPIEGEL ONLINE4) Der globale Weg: Startschuss für die Klimaklempner
Der Mensch heizt das Klima auf - er könnte es auch wieder kühlen. So lautet die Kalkulation des sogenannten Geo-Engineerings. Schwefelwolken in der Luft könnten Wärmestrahlung blockieren, Eisenpartikel im Ozean CO2 binden, Gestein im Untergrund das Treibhausgas einkerkern. Doch sind die Risiken solcher Umweltmanipulationen beherrschbar? Die Bundesregierung hat Bedenken, sie hat deren Förderung auf Eis gelegt.
Weltweit aber treiben Forscher die Entwicklung des Geo-Engineerings voran. Die Zeit der Umweltklempner werde kommen, sofern der Klimawandel weiterhin als hauptsächlich globales Problem wahrgenommen werde, meint Oliver Geden. Der großangelegte Versuch einer technischen Veränderung des Klimas entspräche "dem herrschenden globalen Steuerungsoptimismus": "Sollte das Paradigma dominant bleiben, das im Klimawandel ein großes globales Problem erkennt, liefe dies fast zwangsläufig auf die Option des Geo-Engineering hinaus", meint Geden.
Doch der Widerstand wächst: "Die Maßnahmen wirken oft global, sie haben also mitunter unerwünschte Auswirkungen auf andere Staaten", gibt Silke Beck zu bedenken: Mancherorts wird es wärmer, anderswo kühler, hier fällt mehr Regen, dort weniger. Das Geo-Engineerings berge folglich erhebliches Konfliktpotential. Nicht auszuschließen, dass sich auch hier die Uno berufen fühlt, einzugreifen.
5) Der lokale Weg: Ortspolitiker überstrahlen Weltpolitiker
Die Vorherrschaft der globalen Klimasimulationen am Computer zeitige eine verheerende Folge, sagt Werner Krauss vom Helmholtz Zentrum in Geesthacht: "Die fast vollständige Vernachlässigung der Wirklichkeit." Es werde "eine Welt gerettet, die nur im Modell existiert", meint der Ethnologe. Entscheidend sei jedoch, wie Menschen vor Ort mit dem Wetter umgingen.
Eine Wende von der Simulation globaler Mittelwerte zur Konzentration auf einzelne Regionen sei notwendig, meint auch Silke Beck. Bürger würden dann nicht mehr als "Hindernisse des Klimaschutzes" behandelt, denen Verzicht auferlegt werden müsse. Stattdessen würden sie einbezogen in die Landschaftsplanung ihrer Region. Lokale Werte und Besonderheiten prägten schließlich den Umgang mit der Natur.
Solch ein Vorgehen sei schon deshalb sinnvoll, weil vielerorts neben dem Klimawandel andere Veränderungen der Landschaft bewältigt werden müssten, sagt Maximilian Mayer. "Auf lokaler Ebene sind andere, sich schnell ändernde Bedingungen meist folgenreicher und schwerer kontrollierbar als der Klimawandel". Manche Südseeinseln etwa erleben gefährlichere Fluten, weil Fischer die Korallen vor der Küste zerstört haben. Die Rede ist aber meist nur vom steigenden Meeresspiegel.
Das Klimaproblem in die Lokalpolitik einzubetten, würde Politiker von übertriebenen Erwartungen entlasten, meint der Sozialforscher Reiner Grundmann von der University of Nottingham in Großbritannien. Konkrete Maßnahmen wie die klimaschonende Verkürzung der Arbeitswege wären für Wähler nicht nur aus Umweltgründen attraktiv.
Vor Ort zerfalle das komplexe Klimaproblem in übersichtliche Einzelteile, bestätigt Beate Ratter, Geografin an der Universität Hamburg. In Norddeutschland etwa würde es meist auf Sturmfluten und Deiche reduziert - und damit zu einem großen Thema für Lokalpolitiker. Uno-Delegierte hingegen haben auch dort bislang nicht weitergeholfen.