Gewagtes Projekt Forscher bohren Vulkan-Schlund auf
Anwohner des japanischen Vulkans Unzen hatten die Forscher gewarnt: Es sei gefährlich, den heiligen Berg zu reizen. Dennoch wagten Wissenschaftler das Unternehmen und bohrten ein Loch in den Schlot eines aktiven Vulkans - freilich nicht ohne den Berg, der den Shintoisten heilig ist, vorher von einem Priester segnen zu lassen.
Aus dem Schlot des Unzen hatte glühendes Magma im Mai 1991 eine Gesteinskuppel emporgehoben, die wochenlang drohend aus dem Vulkan ragte. Am 3. Juni 1991 zerbarst die Kuppel schließlich, daraufhin schoss heiße Asche zusammen mit Lava aus dem Schlot und tötete 43 Menschen, unter ihnen die weltberühmten Vulkan-Fotografen Katia und Maurice Krafft. Fünf Jahre lang spuckte der Vulkan im Süden Japans immer wieder Lava und Asche.
1792 brachte eine Eruption des Unzen sogar eine ganze Flanke des Berges in Bewegung. Gestein und Schlamm stürzten mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde zu Tal, begruben Dörfer unter sich und stürzten ins Meer. Dort lösten sie 20 Meter hohe Wellen, sogenannte Tsunamis, aus, die die Küste überspülten und 15.000 Menschen in den Tod rissen.
Lava mit rätselhaftem Gasmangel
Ausgerechnet diesen gefährlichen Berg hat ein internationales Forscherteam nun angebohrt. Besonders unheimlich: Bei den letzten Ausbrüchen in den neunziger Jahren enthielt die Lava kaum Gas - ungewöhnlich für den Unzen, der zur Gruppe der Schichtvulkane gehört, die zumeist gashaltige und daher explosive Lava fördern.

Vulkan Unzen: Bohrung am Heiligen Berg
Die Wissenschaftler vermuteten deshalb Gasblasen im Inneren des Unzen. "Das Gas muss irgendwo im Schlot auf der Strecke geblieben sein", sagt Andreas Tretner, Geochemiker am Geoforschungszentrum Potsdam. Tretner ist zuständig für die Gasanalyse am Bohrloch, von der sich die Forscher die Erklärung für das launische Ausbruchsverhalten des Unzen und anderer Vulkane erhoffen.
Wegen drohender Gasexplosionen und der großen Hitze im Inneren von aktiven Vulkanen schreckten Forscher bisher vor tiefen Bohrungen zurück. Im Schlot des Unzen wurden Temperaturen von 600 Grad Celsius erwartet; das Bohrgestänge drohte zu schmelzen. Eine teure Kühlflüssigkeit sollte das Gerät schützen.
Das Risiko erschien lohnenswert. Denn der Einblick ins Innere des Unzen könnte klären, wann und wie Vulkane ausbrechen. Zwar sind für die Ausbruchsvorhersage viele Vulkane wie auch der Unzen verkabelt wie Intensivpatienten. Gemessen werden dabei etwa Erdbeben, Gasströme, Temperaturen oder Bodenbewegungen. Allerdings ist häufig unklar, was die Signale bedeuten. Der Vorstoß in den Unzen sollte zeigen, was im Inneren eines Vulkans vor sich geht.
Schwierige Bohrung
Zudem sollte erforscht werden, warum Magma bei fast jeder Eruption denselben Weg durch den Schlot nach oben zu nehmen scheint. Eigentlich sollten seitliche Ausbrüche der einfachere Weg sein, denn massives Gestein verstopft den Schlot - es ist erstarrtes Magma des vorangegangenen Ausbruchs. Noch unerreichbar für Bohrungen ist hingegen der in mehreren Kilometern Tiefe schlummernde Magmavorrat von Vulkanen.
Im Februar 2003 wurde in die Nordflanke des Berges ein Loch getrieben. Nahezu horizontal arbeitete sich der Bohrer ins Vulkaninnere vor. Schnell gab es Schwierigkeiten: Immer wieder wurde die Bohrung gestoppt, weil die teure Kühlflüssigkeit im Berg versickerte - das Innere des Vulkans war zerklüfteter als angenommen. Schließlich musste das Projekt vier Monate unterbrochen werden, weil das Geld ausgegangen war.
Doch dann, mehr als ein Jahr später, war es so weit: Nach 1550 Bohrmetern schien der Schlot erreicht, auch wenn es dort mit 150 Grad Celsius weit weniger heiß war als vermutet.
Lehrbücher lagen falsch
Die Untersuchung des steinigen Bohrkerns brachte eine große Überraschung: Der Schlot ist keineswegs jene homogene, dicke Säule, als die er in den Lehrbüchern dargestellt ist. Denn nur meterweise traf das Bohrgerät auf dunkles Magmagestein des letzten Vulkanausbruchs. "Wir haben lediglich einzelne Venen getroffen", erklärt Tretner. Das Magma ist demnach bei der letzten Eruption nicht durch den gesamten Schlot gestiegen, sondern verästelte sich. Das erklärt auch die niedrigen Temperaturen: "Wäre die erstarrte Magmasäule dicker, wäre es dort weitaus heißer", erläutert Tretner.
Die insgesamt zwei Kilometer lange Bohrung förderte beruhigende Informationen zutage: Zwar ergab die Analyse der Gesteine, dass bei früheren Eruptionen explosive, so genannte Dazitlava abgelagert wurde. So sollte der Unzen ähnlich gefährlich sein wie die Vulkane Pinatubo oder Mount St. Helens. Doch vermutlich gibt es im Unzen ein Entlüftungssystem aus Gesteinsspalten, durch das bei einem Ausbruch explosive Gase aus dem Magma entweichen können.
Das könnte erklären, warum der Unzen bei den letzten Eruptionen seine Lava vergleichsweise behutsam hervorwürgte. Das in der damaligen Lava fehlende Gas fanden die Forscher jedenfalls im Schlot des Vulkans. "Die Gehalte an vulkanischen Gasen im Innern des Berges waren hoch", sagt Tretner. Glücklicherweise ist das Gas recht gleichmäßig in Gesteinsrissen verteilt, so dass die Bohrung nicht durch Explosionen gefährdet wurde.
Derzeit warten Wissenschaftler in aller Welt darauf, Gesteinsproben aus dem Vulkanschlot zu erhalten. Mineralogische Analysen sollen den genauen Weg des Magmas rekonstruieren, den es auf dem Weg durch den heiligen Berg nach oben nimmt.