Gigantische Lava-Luke Vulkan kann Krater aufklappen
Als die Wissenschaftler die Daten von Satelliten-Vermessungen auswerteten, erlebten sie eine Überraschung: Der Vulkan Sierra Negra auf der Galapagos-Insel Isabela verfügt offenbar über eine Art Sicherheitsventil. Wie eine gigantische Luke kann der Feuerberg seinen Krater öffnen, um Druck abzulassen, glauben die Forscher um William Chadwick von Oregon State University in den USA.
Bevor der Sierra Negra explodiere, könne sich in seinem Inneren mehr Magma anstauen als bei anderen Vulkanen. Das bewegliche Vulkandach sorge dafür, dass der Druck im Berginnern abgebaut werde. Es verzögere damit einen Ausbruch, berichten die Forscher im Fachblatt "Geology". Strömt Magma von unten in den Vulkan hinein, klappt sein Dach um mehrere Meter nach oben. Auf einer Seite aber hebe sich der Boden nicht - als ob er über ein Scharnier verfüge.
Ohne die Luke wäre es den Experten zufolge schon 2002 zur Eruption gekommen und nicht erst im Oktober 2005, als der Berg zuletzt Lava, Asche und Gestein spuckte. Die Schwellung - im Fachjargon "trapdoor faulting" genannt - sei eine Warnung vor der Eruption: Hat sich der Berg um fünf Meter gehoben, platzt er. Nach einem Ausbruch senkt sich das Becken wieder. Der bewegliche Krater umfasst 70 Quadratkilometer - er ist so groß wie eine Kleinstadt.
Das Alarmsignal könnte genauere Prognosen am Sierra Negra ermöglichen, meint Chadwick. Wann ein Vulkan ausbrechen wird, ist bislang nicht vorhersagbar. Denn die Feuerberge verraten normalerweise wenig über ihr Innenleben. Lediglich Erdbeben, ausströmende Gase und Temperaturänderungen des Bodens geben indirekt Auskunft darüber, ob Magma aufsteigt.
Der Sierra Negra erlaubt überraschende Einblicke: Nur zwei Kilometer unter der Erde schlummert sein Magma-Reservoir - Erdbeben und Temperaturmessungen offenbaren eine Linse geschmolzenen Gesteins im Untergrund. Bei den meisten Vulkanen sammelt sich das Magma in mehr als zehn Kilometern Tiefe. Wird der Druck des explosiven Gemisches zu groß, kommt es zum Ausbruch.
Berg platzt aus allen Nähten
Beim Sierra Negra verrät die Hebung des Kraters, wenn Magma im Innern des Bergs aufsteigt. Die Luke funktioniere wie eine hydraulische Pumpe, vermuten Chadwick und Kollegen: Magma lässt sich ähnlich wie Motoröl nicht zusammenpressen. Deshalb drückt es das Vulkandach nach oben, sobald die Magma-Linse anschwillt. Es gebe im Berg offenbar Klüfte, die von der Magma-Kammer bis zur Oberfläche reichten. Entlang der Spalten könne sich der Boden ohne großen Widerstand heben, mutmaßen die Forscher. An der Oberfläche treten die Klüfte als dicke Narben hervor - sie erscheinen wie Säume. Bei einer Eruption platze der Vulkan buchstäblich aus den Nähten, schreiben Chadwick und Kollegen.
Eigentlich sollte die Erde stark erzittern, wenn es zu so großräumigen Bodenewegungen wie dem Öffnen der Vulkan-Luke um mehrere Meter kommt. Doch die Forscher registrierten fast ausschließlich schwache Beben, selbst wenn das Dach des Vulkans mit einem plötzlichen Ruck hochklappte. Ihr Schluss: Das Überdruckventil am Gipfel des Berges öffnet sich so leichtgängig wie eine Tür in gut geschmierten Scharnieren.
Satellitendaten brachten die Geologen auf die Spur der vulkanischen Luke: Regelmäßig wurde die Oberfläche mit Radar abgetastet. Außerdem haben die Forscher den Berg vor sechs Jahren mit Sendern gespickt, die fortan ihre Position millimetergenau an GPS-Satelliten funkten.
Atmende Berge
Das Messverfahren verspreche mehr Sicherheit in armen Ländern, sagt Vulkanologe Bernd Zimanowski von der Universität Würzburg. Wo Vulkane meist nicht vor Ort kontrolliert würden, könnten Satelliten die Überwachung übernehmen. Damit sei es immerhin möglich, die Aktivität eines Vulkans grob zu bestimmen.
Manche Vulkane werden genauer überwacht. Auf dem Vesuv zum Beispiel stehen Neigungsmesser, die mit Laserstrahlen registrieren, ob sich der Boden auf einem Kilometer Länge um die Höhe einer Münze hebt. Forscher haben mit ihren Geräten festgestellt, dass manche Vulkane regelrecht atmen: Der Krafla auf Island bläht sich mehrmals im Jahr um knapp einen Meter auf, um nach dem Ausquellen von Magma wieder zusammenzusinken.
Die Fünf-Meter-Schwellung des Sierra Negra ist die stärkste, die bislang bei einem Vulkan dieser Sorte festgestellt wurde. Basaltvulkane bauen ihren Druck gewöhnlich rasch ab: Sie verfügen über dünnflüssiges Magma, das leicht ausläuft. Vulkane dieser Sorte auf Hawaii oder auf Island heben sich gewöhnlich um weniger als einen Meter. In Vulkanen mit zähflüssigem Magma hingegen staut sich der Gesteinsbrei, wobei größerer Druck entsteht. Mitunter beult sich ein Berg dabei um 100 Meter aus, bevor er explodiert.
Vulkan wird aktiver
So stark kann der Basaltvulkan Sierra Negra nicht anschwellen. Dennoch baut sich in dem 1500 Meter hohen Berg regelmäßig reichlich Druck auf. Ein Ausbruch kann auf den Flanken gelegene Siedlungen erreichen. 1979 strömte die Lava sogar bis ins Tal. Vor dem nächsten Ausbruch wollen Chadwick und seine Kollegen die Anwohner warnen - anhand der Hebung des Kraterbodens.
Schon bald könnte es ernst werden. "Der Vulkan tritt gerade in eine sehr aktive Phase", sagte Chadwick im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Das Dach des Vulkans habe sich schon um einen Meter gehoben.
Die Luke öffnet sich.