Gipfel von Cancún Weltgemeinschaft beschließt Klima-Kompromiss

Greenpeace-Aktivisten bei Cancún: Alle Erwartungen übertroffen
Foto: Roberto Escobar/ dpaDer Klimagipfel von Cancún hat alle Erwartungen übertroffen: Die Staatengemeinschaft konnte sich auf einen Kompromiss einigen, der das Kyoto-Protokoll fortführen soll und ärmeren Ländern umfangreiche Finanzmittel zur Bekämpfung der Klimawandel-Folgen zur Verfügung stellt.
In der Schlussphase des Gipfels kam es zu dramatischen Szenen. Die Delegation Boliviens leistete bis zuletzt heftigen Widerstand gegen den Beschluss des Cancún-Dokuments. Zuvor hatten alle Länder - selbst die USA und China, die zuvor nahezu diametral gegensätzliche Positionen vertreten hatten - ihre Differenzen überwunden und dem Kompromissvorschlag zugestimmt.
Bolivien aber weigerte sich, in den abschließenden Plenarsitzungen dem Dokument zuzustimmen - was nach Ansicht der meisten Beobachter eigentlich bedeuten sollte, dass der ganze Beschluss gescheitert wäre. "Unser Land hat die gleichen Rechte wie alle anderen Staaten", sagte der Uno-Botschafter Boliviens, Pablo Solón. Und da das südamerikanische Land sich gegen das Dokument ausgesprochen habe, könne es nicht beschlossen werden.
Doch das sah Patricia Espinosa, Mexikos Außenministerin und Präsidentin des Gipfels, anders. Sie nahm die heftigen Proteste Boliviens lediglich zur Kenntnis - und winkte das "Cancún-Agreement" trotzdem durch. "Das ist ein Anschlag auf die Regeln der Vereinten Nationen", schimpfte Solón. Er drohte damit, sich "an alle internationalen Gremien" zu wenden, um den Beschluss zu bekämpfen. "Überdenken Sie Ihre Entscheidung und kehren Sie zur Rechtmäßigkeit zurück", rief Solón. Die Regeln der Uno erlaubten nur eine Entscheidung im Konsens.
Espinosa konterte die Angriffe des Bolivianers kühl: "Konsens bedeutet nicht Einstimmigkeit", sagte die Mexikanerin unter dem Applaus des Plenums. "Und es bedeutet auch nicht, dass eine einzelne Delegation allen anderen Delegationen ein Veto aufzwingen kann." Espinosa bekam daraufhin Schützenhilfe von den Amerikanern. "Wir unterstützen jede Entscheidung, die Sie heute getroffen haben", sagte US-Delegationsleiter Todd Stern.
100 Milliarden Dollar jährlich für arme Länder
Die mexikanische Präsidentschaft hatte am Freitagabend (Ortszeit) zwei Vorschläge vorgelegt. Sie beziehen sich auf die beiden Verhandlungsstränge der Klimadiplomatie: zum einen auf die Fortsetzung des Kyoto-Klimaschutzvertrags, zum anderen auf die Hilfe der Industrie- an die Entwicklungsländer. Die von der Erwärmung am stärksten betroffenen Staaten sollen von einem Hilfsfonds profitieren, der jetzt in Cancún beschlossen wurde. Bis 2012 wollen die Industrieländer 30 Milliarden US-Dollar, ab dem Jahr 2020 sogar 100 Milliarden Dollar jährlich bereitstellen.
In dem Kyoto-Dokument, das Espinosa als "Cancún Agreement" bezeichnete, wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Berechnungen des Weltklimarats IPCC, der den Industrieländern eine Minderung der Treibhausgase um 25 bis 40 Prozent nahelegt. Indirekt enthält das Papier auch ein Bekenntnis zur Fortsetzung des Kyoto-Protokolls. Allerdings kann ein entsprechender Beschluss erst auf dem nächsten Uno-Klimagipfel Ende 2011 im südafrikanischen Durban fallen.
Es gilt deshalb als sicher, dass es zwischen dem Auslaufen der ersten Periode des Kyoto-Protokolls Ende 2012 und dem Inkrafttreten der zweiten Periode eine Lücke geben wird. Der Grund: Die Ratifizierung eines Nachfolgeabkommens durch die einzelnen Länder wird voraussichtlich Jahre in Anspruch nehmen. Wie die Lücke überbrückt werden könnte, ist derzeit noch unklar - und könnte unter anderem für den internationalen Emissionshandel zu einem großen Risiko werden.
Selbst Optimisten überrascht
Der Verlauf des letzten Gipfel-Tages überraschte selbst die Optimisten unter den Teilnehmern: Der Entwurf der mexikanischen Präsidentschaft wurde von praktisch allen Staaten unterstützt. Beobachter hatten eine derart positive Entwicklung zuvor für unwahrscheinlich gehalten. Zu viele Punkte in dem Entwurf, der am Freitag in Cancún präsentiert wurde, schienen unannehmbar zu sein für wichtige Nationen wie die USA oder China.
Doch die beiden Nationen, die gemeinsam die Liste der weltweit größten CO2-Emittenten anführen, dürfen sich als Sieger des Gipfels fühlen: Sollte das Kyoto-Protokoll in Durban fortgeführt werden, bliebe China als Entwicklungsland weiterhin von bindenden Zielen zur Senkung seines Treibhausgas-Ausstoßes verschont. Das Gleiche gilt für die USA, die das Kyoto-Protokoll als einziges Industrieland nie ratifiziert haben.
Im Cancún-Beschluss ist auch die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten enthalten - ein Ziel, das Wissenschaftler gefordert hatten, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Rechtlich verbindlich wäre die Zielmarke allerdings nicht, weil sie von den Vertragsparteien lediglich "zur Kenntnis genommen" würde. Konkrete CO2-Einsparziele etwa bis zum Jahre 2050 sind aus dem neuen Papier wieder herausgeflogen. Das gleiche Schicksal haben auch Einsparmaßnahmen einzelner Wirtschaftszweige wie der Landwirtschaft, See- und Luftfahrt erlitten.
Kritik von Umweltverbänden, Lob von Röttgen
Umweltverbände kritisierten den Entwurf an dieser Stelle. Er ermögliche zwar die Fortsetzung der unter dem Dach der Vereinten Nationen begonnenen Bemühungen zum Klimaschutz, erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Doch das Papier liefere "keinen akzeptablen Beitrag zur Minderung der Treibhausgase". "Das Ergebnis von Cancun hält die Erderwärmung nicht unter zwei Grad", sagte BUND-Chef Hubert Weiger. "Daran ändern sämtliche Lippenbekenntnisse der Regierungen nichts. Die genaue Ausgestaltung eines Kyoto-Anschluss-Abkommens ist ebenfalls völlig offen."
Auch Martin Kaiser, Leiter der Internationalen Klimapolitik von Greenpeace, kritisierte den Gipfel-Entwurf: "Zentrale Fragen für einen ambitionierten, gerechten und rechtlich verbindlichen Klimaschutzvertrag sind wieder einmal vertagt worden", so Kaiser. "Die Mineralöl-, Kohle- und Holzindustrie hat ein weiteres Jahr, um unkontrolliert die Atmosphäre mit Kohlendioxid zu verschmutzen."
Wesentlich positiver äußerte sich Bundesumweltminister Röttgen, der an der Plenarsitzung teilgenommen hatte. "Ich glaube, dass das ein wirklich großer Erfolg ist", sagte der CDU-Politiker zu SPIEGEL ONLINE. Cancun habe die Erwartungen erfüllt. "Es ist ein bedeutender Schritt zur Wiederbelebung des internationalen Klimaprozesses." Die EU solle sich für ihn "weiter verantwortlich fühlen". Röttgen sprach sich dafür aus, den CO2-Ausstoß der EU bis 2020 um 30 Prozent zu senken - und nicht wie bisher vorgesehen nur um 20 Prozent. Das könne Deutschland allerdings nicht alleine schultern, auch die anderen 26 Staaten müssten ihren Beitrag leisten.
EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard zeigte sich nach dem Gipfel-Beschluss erleichtert. "Wir sind glücklich, dass der Uno-Prozess gerettet wurde", sagte die Dänin zu SPIEGEL ONLINE. "Wir dürfen aber auch nicht übersehen, wie schwierig der weitere Weg ist."