Globale Erwärmung Klimasündern droht Prozesswelle

Für Stromversorger, Autohersteller und Ölkonzerne birgt der Klimawandel gigantische Risiken. In wenigen Jahren könnten sie sich wegen ihrer Umweltsünden mit Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe konfrontiert sehen. Ist das der Grund für Bushs plötzliche Klima-Offensive?

John Banzhaf ist kein Mann der unbedachten Worte. Wenn der Rechtsprofessor der George Washington University eine Frage beantwortet, wirkt das meist, als habe er eine Nacht lang an den Sätzen gefeilt, sie dann auf eine Marmorplatte gemeißelt und lese sie nunmehr vor. "Manche haben geglaubt, man könne Zigarettenhersteller nicht wegen Krebs verklagen. Sie lagen falsch. Andere haben behauptet, man könne Nahrungsmittelunternehmen nicht wegen Fettleibigkeit verklagen." Banzhaf macht eine Kunstpause. "Sie lagen falsch."

Banzhaf hat sich in den Prozessen um Tabak- und Fast-Food-Opfer, die zum Teil zu milliardenschweren Entschädigungen führten, einen Namen als Bezwinger von Wirtschaftsgiganten gemacht. Demnächst könnten auf Massenklagen spezialisierte Anwälte auch in den Vorstandsetagen von Autoherstellern, Stromversorgern und Ölkonzernen Furcht verbreiten: mit teuren Prozessen um die Folgen des Klimawandels.

Inzwischen gilt als weitgehend sicher, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen mitverantwortlich ist für die globale Erwärmung. Umso wahrscheinlicher wird nach Ansicht von Experten eine Flut teurer Klagen gegen die Hauptverursacher der Misere. Umweltaktivisten und auch manche Wissenschaftler werden das mit Freuden hören. Ihr Argument: Die Menschheit kann es sich nicht leisten, jahrzehntelang auf die Ergebnisse politischer Verhandlungen zu warten. Insbesondere die Tatenlosigkeit der Regierung von US-Präsident George W. Bush treibt die frustrierten Klimaschützer und -opfer jetzt in die Gerichte. Vor diesem Hintergrund erscheint der aktuelle Klima-Vorstoß des Präsidenten in einem ganz anderen Licht - womöglich reagiert Bush auch auf Druck aus der eigenen Wirtschaft und Industrie.

Die Klagewelle beginnt

Erste Ausläufer einer möglichen Klagewelle gibt es bereits. Im April 2006 haben Anwälte im Namen von Einwohnern des Bundestaats Mississippi, die ihr Hab und Gut durch den Hurrikan "Katrina" verloren haben, 40 Öl-, Gas-, Energie- und Chemieunternehmen verklagt. Der Vorwurf: Sie hätten zur globalen Erwärmung beigetragen, die dem Hurrikan erst seine zerstörerische Wucht verliehen habe. An einem New Yorker Bezirksgericht läuft eine Klage von Connecticut und anderen US-Bundesstaaten gegen fünf Stromversorger wegen der Folgen der Klimaerwärmung. Kalifornien hat gleich mehrere Autohersteller wegen Folgen des Klimawandels verklagt. Zugleich sind mehr als ein Dutzend ähnlicher Verfahren an Staats- und Bundesgerichten der USA anhängig.

Enorme Aufmerksamkeit erhielt auch das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA gegen die US-Umweltbehörde EPA. Die Richter des Supreme Court zwangen die EPA nicht nur, den Schadstoffausstoß des Straßenverkehrs zu regulieren - sondern zogen auch eine direkte Linie vom Menschen zum Klimawandel. "Ein gut dokumentierter Anstieg der globalen Temperaturen trifft zusammen mit einem erheblichen Anstieg der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre", hieß es in dem Urteil. "Angesehene Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die zwei Trends miteinander in Verbindung stehen."

In Deutschland und dem restlichen Europa halten Experten eine Klagewelle gegen Energieunternehmen zwar für weitgehend ausgeschlossen, da das Rechtssystem hierzulande hohe Anforderungen an den Nachweis von Schuld und Schadenshöhe stellt. Doch in den Vereinigten Staaten liegen die Dinge anders - und die Entschädigungssummen mitunter um ein Vielfaches höher.

Hürden hoch, aber nicht unüberwindbar

Die Hürden für Klima-Klagen sind freilich größer als bei den Prozessen gegen Tabakkonzerne und Fast-Food-Ketten. So stellen sich gleich mehrere Probleme:

  • Die Verantwortung für den Klimawandel: Tragen Öl- und Bergbauindustrie eine Verantwortung an der globalen Erwärmung, da sie fossile Brennstoffe bereitstellen? Oder sind diejenigen schuld, die Kohle und Benzin verfeuern, angefangen beim Kraftwerksbetreiber bis hin zum Autofahrer?
  • Die Kausalität: Es ist immens schwierig, einzelne Naturereignisse direkt mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Hitzewellen, Stürme und Überflutungen gab es immer schon, die Erwärmung kann nur ihre Häufigkeit erhöhen.
  • Die Entschädigungsfrage: Falls es überhaupt möglich sein sollte, vor Gericht Schadensersatz zu erstreiten - wer sollte ihn dann bekommen? Gäbe es nur Geld für diejenigen, die alles verloren haben, oder auch für jeden Hausbesitzer mit vollgelaufenem Keller?

Juristen glauben, die Energiekonzerne vor Gericht in die Knie zwingen zu können - mit der Guerillataktik, die sich schon gegen Zigarettenindustrie und Fast-Food-Ketten bewährt hat

In Punkt eins sieht Banzhaf das größte Problem. "Die Beweisfindung ist bei den Folgen des Klimawandels schwierig", sagte der Jurist im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wie kann man deutlich machen, dass eine bestimmte Aktivität Schaden verursacht hat?" Es sei inzwischen klar, dass das Verfeuern von Öl oder Kohle etwas mit dem Klimawandel zu tun habe. "Die Frage ist aber, was genau welche Wirkung hat."

Es sei kaum vorstellbar, dass es in den USA zu spektakulären Prozessen kommt, in denen Konzerne unmittelbar wegen der Folgen des Klimawandels verurteilt werden. Doch das sollte die Unternehmen keinesfalls beruhigen, glaubt Banzhaf. "Man muss nicht immer einen Frontalangriff führen, um erfolgreich zu sein." Das sei bei den juristischen Kämpfen um Tabakkonsum und Fettsucht nicht anders gewesen. "Es hat bisher acht erfolgreiche Fett-Klagen gegeben", so der Jurist. "Aber niemand ist verurteilt worden, weil er einen anderen fett gemacht hat."

Lernen vom Sieg über die Zigarettenindustrie

Schon beim Rauchen hat es diese Art von Domino-Effekt gegeben. Vertreter der Tabakindustrie haben anfangs die Idee, Entschädigung für die Folgen des Rauchens zu erstreiten, als bizarr verspottet. "Doch dann wurde die Werbung im Fernsehen, anschließend das Rauchen in immer größeren Bereichen des öffentlichen Lebens verboten", sagt Banzhaf. "Und all das geschah lange, bevor es zum ersten Prozess um Krebs durch Rauchen kam." Am Ende zahlten die Tabakkonzerne rund 300 Milliarden Dollar an Entschädigungen. In der Debatte um Fettsucht genügte danach schon die Drohung einer Klagewelle, um die Fast-Food-Ketten zu Imagekampagnen und dem Verkauf schlanker Produkte zu treiben.

Die juristische Guerillataktik hält Banzhaf auch in Sachen Klimawandel für erfolgversprechend. Und sie ist bereits im Gange: Bei den derzeit in den USA laufenden Verfahren wenden die Kläger eine ganze Reihe unterschiedlicher Rechtstheorien auf den Klimawandel an. Zu den beliebtesten Taktiken gehört, Klimafolgen - wie bei der Klage Kaliforniens gegen die Autohersteller - als öffentliches Ärgernis zu bewerten. Auch der Vorwurf der Fahrlässigkeit und Verbraucherschutzgesetze kommen in Frage. "Wenn ein Autohersteller etwa empfiehlt, das in der Produktion ressourcen-intensivere Superbenzin zu verwenden, obwohl auch Normalbenzin vollkommen ausreichen würde, könnte das die Grundlage einer Klage sein", meint Banzhaf. "Stellen Sie sich nur die Wirkung vor!"

Andere Experten sind weniger vorsichtig als Banzhaf. Sie halten auch den Frontalangriff für durchaus erfolgversprechend. Der US-Jurist David Grossman etwa widmete dem Thema schon im Jahr 2003 eine 62 Seiten lange Abhandlung im "Columbia Journal of Environmental Law". Darin kommt der Yale-Absolvent zu dem Ergebnis, dass einige vorstellbare Arten von Klimawandel-Klagen "großes juristisches Gewicht haben und erfolgreich sein könnten".

Klagen von Insulanern und Küstenbewohnern denkbar

Insbesondere Küsten- und Inselbewohner sowie das vom auftauenden Permafrostboden geplagte Alaska gäben vielversprechende Kläger ab. Potentielle Ziele seien Unternehmen im Bereich der fossilen Brennstoffe, Stromversorger und Autohersteller. Auch für die Berechnung von Entschädigungen hat Grossman schon einen Vorschlag: Die Haftung könne man aufteilen - je nachdem, welchen Marktanteil die Produkte einer verklagten Firma hatten oder wie viel CO2 bei ihrer Herstellung in die Atmosphäre gelangt ist.

Auch das verzwickte Problem von Kausalität und Schuldzuweisung gilt vielen nicht als unlösbar. Der britische Klimaforscher Myles Allen etwa fordert schon seit Jahren vehement, Energie- und Autokonzerne vor Gericht zu zerren. Sein Argument: Die wissenschaftliche Beweislage für deren direkte Mitschuld an der Erwärmung werde immer dichter und habe bald den Punkt erreicht, an dem sie auch vor Gericht bestehen könnte.

Ähnlich äußert sich der britische Jurist Peter Roderick vom Climate Justice Programme , das unter anderem von Greenpeace, dem WWF und der Heinrich-Böll-Stiftung finanziert wird. "Die Beweislage reicht aus, insbesondere was den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Hitzewellen betrifft", sagte Roderick zu SPIEGEL ONLINE. Es sei "nur eine Frage der Zeit", wann die großen Energiekonzerne vor Gericht erscheinen müssten.

Allen verweist auf den Rekordsommer von 2003, der in Europa unterschiedlichen Schätzungen zufolge 30.000 bis 70.000 Tote gefordert hat. Es war das erste Wetterereignis, das Forscher direkt auf den Klimawandel zurückgeführt haben. "Wenn das durch eine Vergiftung oder einen Chemieunfall passiert wäre, wären sehr schnell Rechtsanwälte im Spiel gewesen", sagte Allen dem Magazin "New Scientist". Im Fachblatt "Nature" argumentierte er, dass die Hauptverursacher der Treibhausgas-Emissionen auch für steigende Versicherungsbeiträge und fallende Immobilienpreise in Folge von Naturkatastrophen zur Kasse gebeten werden sollten.

Warnungen aus der Versicherungsbranche

Solche Szenarien werden etwa in der Versicherungsbranche durchaus ernst genommen. "Der Klimawandel ist längst als Thema in den Vorstandsetagen der Großkonzerne angekommen, nicht zuletzt wegen der Furcht vor Haftungsrisiken", barmte etwa Brian Storms, Vorstandsvorsitzender des Versicherungsmaklers Marsh, im Interview mit der "FAZ". Das Branchenblatt "Risk Management Magazine" warnte jüngst unter dem Titel "The Heat is On" vor den Kosten der drohenden Klima-Prozesse. Zugleich haben die Autoren Tipps, wie sich die Beklagten am besten verteidigen können.

Einem Bericht des US-Magazins "Businessweek" zufolge raten Anwälte den von ihnen betreuten Konzernen bereits, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu senken, um vor Gericht gute Argumente zu haben. Eine ganze Reihe von US-Konzernen hat in den vergangenen Monaten erstaunlichen Eifer an den Tag gelegt, umweltfreundliche Technologien anzukündigen und generell den CO2-Ausstoß zu senken. Ein Zufall?

Auch die überraschenden Rufe der US-Großindustrie nach gesetzlichen CO2-Emissionsgrenzen entspringen womöglich nicht nur einem jäh erwachten Umweltbewusstsein. "Wenn ein Ölkonzern vor Gericht von sich sagen könnte, dass er alle Vorschriften beachtet hat, wäre das für das Gericht sehr überzeugend", kommentiert Staranwalt Banzhaf. "Der Druck auf den Kläger würde sich erhöhen." Vor diesem Hintergrund wirkt die Strategie von Teilen der US-Industrie, Klimaschutzgesetze selbst anzuregen und eventuell auch über die Lobbyarbeit zu beeinflussen, durchaus verständlich.

Das würde freilich wiederum bestätigen, dass schon die Angst vor möglichen Prozessen für Veränderung sorgen kann. "Prozesse sind eine machtvolle Waffe gegen fast jedes soziale Problem", sagt Banzhaf. Das zeige schon ein Blick in die jüngere Geschichte: Ob die Umwelt- oder die Schwulenbewegung, das Tabak- oder das Fettsuchtproblem - Gerichtsverfahren seien immer ein wichtiger, wenn nicht gar der dominante Faktor gesellschaftlicher Veränderungen gewesen.

Zudem - und das mag zunächst seltsam klingen - sei der Rechtsweg auch vergleichsweise billig. "Geben Sie zehn Millionen Dollar für eine Werbe- oder Lobbykampagne aus, und sie erzielen fast keinen Effekt", sagt Banzhaf. Eine juristische Initiative für zehn Millionen Dollar bringe "more bang for the buck".

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