Glyphosat und Krebs Vergiftete Debatte
Die EU ringt um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Eine Abstimmung der Mitgliedstaaten ist für Mittwoch geplant, die Bundesregierung will sich offenbar enthalten. Während diverse Behörden wissenschaftliche Gutachten erstellt und Politiker debattiert haben, haben viele Bürger längst eine gefestigte Meinung.
Die beiden Varianten:
- Glyphosat sollte verboten werden.
- Glyphosat sollte weiter zugelassen sein. (Eventuell mit strengerer Regulierung).
Bestenfalls basieren Meinungen auf Fakten. Doch so einfach es in der Glyphosat-Debatte mit der Meinung ist, so komplex wird es mit Blick auf die Fakten. Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass die Debatte so vertrackt ist.
1. Es fehlt Transparenz
Es ist erstaunlich, wenn nicht gar besorgniserregend, was die Nachrichtenagentur Reuters vergangene Woche meldete . Es geht um den Bericht einer renommierten Institution, der internationalen Krebsforschungsagentur IARC. Sie kam im März 2015 zum Schluss, dass Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend" beim Menschen ist.
Damit steht die IARC-Bewertung im Gegensatz zu Einschätzungen mehrerer Behörden, darunter das Deutsche Institut für Risikobewertung (BfR) und die Europäische Chemikalienagentur (Echa), die den Stoff bei sachgemäßger Verwendung als nicht krebserregend eingestuft haben.
Reuters hat den Entwurf eines IARC-Kapitels (gut zehn Seiten von insgesamt 92) vorliegen und ihn mit der 2015 veröffentlichten Variante verglichen. Demnach gab es zehn erhebliche Änderungen, und sie gingen alle in dieselbe Richtung: Immer wurden aus negativen Aussagen bezüglich des Krebsrisikos ("nicht krebserregend") neutrale oder sogar positive.
Beispielsweise änderten sich die Einschätzungen, Glyphosat sei laut bestimmter Studien nicht krebserregend bei Sprague-Dawley-Ratten, Wistar-Ratten und CD-1-Mäusen zur Formulierung, dass die jeweilige Studie nicht bewertet werden könne. Zwei weitere Maus-Studien waren ursprünglich zum Ergebnis gekommen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs gibt - die IARC bewertete sie anders: als Beleg für ein gesteigertes Krebsrisiko.
16 Teilnehmer des IARC-Expertengremiums, die Reuters kontaktierte, antworteten nicht auf die Fragen der Journalisten oder meinten lediglich, sie könnten dazu nichts sagen. Wer, wann und warum änderte - man weiß es nicht. Die IARC weist darauf hin, dass Entwürfe vertraulich seien und Wissenschaftler sich nicht genötigt sehen sollten, ihre Abwägungen außerhalb des Gremiums zu diskutieren. Und sie weist die Vorwürfe zurück .
Schon länger fordern etwa Grünen-Politiker wie Renate Künast mehr Transparenz bei der Glyphosat-Bewertung. Verwendete Gutachten und Daten müssten öffentlich zugänglich sein, sagen sie. Die Grünen kritisieren indes nicht die IARC, sondern das BfR, das ihrer Aussage zufolge "von Monsanto abgeschrieben hat". Ein Vorwurf, den die Behörde zurückweist .
Mehr Transparenz könnte den Eindruck entkräften, dass bei den Bewertungen gemauschelt wird. Sie wäre aber kein Allheilmittel. Denn die Materie ist zu komplex, als dass sich jeder aufgrund der rohen Daten - selbst wenn er sie einsehen dürfte - ein Bild machen könnte.
Beispielsweise bewerteten die Gutachter nicht dieselben Studien, weil sie zum Teil Glyphosat als Substanz (BfR, Echa), zum Teil das fertige Monsanto-Pestizid Roundup (IARC), das noch andere Stoffe enthält, im Fokus hatten.
Wem soll man also vertrauen, wenn wissenschaftliche Einschätzungen voneinander abweichen?

2. Interessenskonflikte und Lobbyismus untergraben das Vertrauen
Wer Glyphosat sagt, muss auch Monsanto sagen - so scheint es. Zwar stellen auch andere Firmen das Herbizid her. Monsanto aber hat zusätzlich gentechnisch verändertes Getreide im Angebot, das unempfindlich gegen Glyphosat ist. Das ist zwar in Deutschland nicht zugelassen, wird aber zum Beispiel in den USA großflächig angebaut. Auch aus diesem Grund wird Monsanto ständig erwähnt, wenn es um Glyphosat geht.
Es ist völlig unzweifelhaft, dass Monsanto Lobbyisten hat, um auf politische Entscheider einzuwirken. Noch mehr: Interne Mails des Unternehmens legen nahe, dass Monsanto auch Forscher finanziert hat, ohne dass diese den Geldfluss offenlegten. Das wäre ein ungehöriger Vorgang, den Monsanto allerdings bestreitet.
Doch auch auf der Seite der Glyphosat-Gegner existieren Interessenkonflikte. Christopher Portier etwa war als Spezialist zur IARC-Bewertung geladen. Er veranlasste Ende 2015 einen offenen Brief "unabhängiger akademischer und behördlicher Wissenschaftler" an den EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis, in dem die Glyphosat-Bewertung des BfR scharf kritisiert wurde. Was Portier nicht erwähnte: Er erhielt als Sachverständiger Geld von US-Anwälten - mindestens 160.000 Dollar -, die Monsanto im Auftrag potenzieller Glyphosat-Opfer verklagen. Portier legte diesen Interessenkonflikt erst später offen.
3. Krebsangst ist Trumpf
In der öffentlichen Debatte steht die Frage ganz oben, ob Glyphosat nun Krebs auslöst oder nicht. Dass Menschen Angst vor Krebs haben, ist verständlich. Tumoren zählen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Organisationen nutzen diese Furcht. Untersuchungen, laut denen die möglicherweise schädliche Substanz in winzigsten Mengen in Bier, Milch, Brötchen oder Eiscreme nachgewiesen wurde, stoßen auf riesiges Interesse.
Da ist es zweitrangig, dass die gemessenen Mengen so gering sind, dass das BfR nur immer wieder entwarnen kann. Oder dass jeder Deutsche, der über 15 Jahre alt ist, im Schnitt jährlich elf Liter reinen Alkohol trinkt: eine von der IARC als "sicher krebserregend" eingestufte Substanz. Plötzlich wird eine nur mit modernsten Methoden überhaupt aufspürbare Minimenge Glyphosat im Bier als gefährlicher dargestellt als der enthaltene Alkohol.
Dabei kommt Glyphosat nicht ins Bier, sondern auf den Acker. Was ein Verbot dort verändern würde, darüber wird meist nur am Rande diskutiert.
4. Landwirtschaft ganz "ohne Gift" gibt es nicht
Glyphosat ist in der öffentlichen Wahrnehmung zum Stellvertreter geworden für die konventionelle Landwirtschaft an sich. Auf fast 40 Prozent der konventionell bestellten Äcker in Deutschland kommt Glyphosat zum Einsatz. Gegner bezeichnen das Pestizid gern als "Ackergift" - und es stimmt ja auch: Wo Glyphosat gespritzt wird, wächst erst einmal nichts mehr. Die Substanz tötet Grünpflanzen. Doch erfüllt sich durch ein Verbot der Traum einer Landwirtschaft "ohne Gift"?
Es gibt mehrere Möglichkeiten für die Landwirte im Falle eines Verbots:
- Wieder mehr zu pflügen, was jedoch dem Boden und darin lebenden Organismen schadet.
- Eine Mischung anderer Herbizide gegen Unkräuter zu spritzen, deren Wirkung auf die Umwelt problematischer sein könnte als die von Glyphosat.
- Auf Biolandbau umsteigen und entsprechende Ertragseinbußen hinnehmen.
Glyphosat-Gegner hoffen sicher auf die letztgenannte Alternative, aber konventionelle Landwirte nennen als Erstes ein Umsteigen auf andere Herbizide.
Es ist daher unklar, ob ein Glyphosat-Verbot der Umwelt nutzen oder ihr unterm Strich sogar schaden würde. Eine Landwirtschaft ganz ohne Gift funktioniert nicht, weil Bauern die angebauten Kulturpflanzen vor Schädlingen und Konkurrenten schützen müssen. Auch Biolandwirte setzen dafür zum Teil problematische Stoffe ein.
In Zeiten, in denen die Artenvielfalt nicht nur in Deutschland schwindet, sich hierzulande ein großes Insektensterben vollzieht, muss man auch die Rolle der Landwirtschaft thematisieren. Und diese so umweltschonend und effizient wie möglich gestalten. Doch das lässt sich nicht an der Glyphosat-Frage allein klären.