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Fotostrecke: Kanadas Wilder Westen

Foto: Paul Nicklen / NATIONAL GEOGRAPHIC

Bodenschätze in Yukon Der Fluch der modernen Goldsucher

Das Goldfieber bedroht Nordamerikas letzte grandiose Wildnis am Yukon. Denn wo einst mit Schaufeln gegraben wurde, walzen heute Bulldozer durch die Natur. Trotzdem erinnert erstaunlich vieles an den Wilden Westen.
Von Tom Clynes

Es waren Hungerjahre, bevor Shawn Ryan das erste Gold fand. Der Schürfer lebte damals mit seiner Familie in einer Wellblechhütte am Rand von Dawson, der legendären Stadt des Klondike-Goldrauschs, von der nur noch ein gespenstischer Rest übrig geblieben war. Sie hatten keinen Strom, kein fließendes Wasser.

Heute könnte sich das Ehepaar fast jedes Haus auf der Welt kaufen. Denn was Ryan seit Beginn des 21. Jahrhunderts entdeckte, erwies sich als Schatz im Wert von Milliarden Dollar. Er entfachte - zum zweiten Mal in der Geschichte - das Goldfieber in Yukon. Das kanadische Territorium erlebte einen Ansturm von Glücksrittern wie seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr.

Der moderne Goldrausch brachte neues Leben in die windschiefen Bars und Baracken von Dawson City. Die Szene könnte aus der Zeit vor mehr als hundert Jahren stammen: Bärtige Männer stapfen über matschige Straßen, tauschen lautstark Gerüchte über die letzten Funde und Preissteigerungen aus.

Beim ersten Massenansturm auf das Gebiet am Fluss Klondike durchwühlten Schürfer die Wasserläufe noch mit Pickeln, Pfannen und Schaufeln, und ein Barmann konnte am Ende eines guten Abends durchaus ein kleines Vermögen an verstreutem Goldstaub zusammenfegen. Heute erledigt eine Armee von Bulldozern, Bohrtürmen und eingeflogenen Arbeitern die Schwerstarbeit. Die Anmeldung von Gebietsansprüchen, sogenannten Claims, ist abgeflaut, seit sich der Goldpreis stabilisiert hat, doch die anhaltend hohe Nachfrage nach Mineralien und die für Yukon industriefreundlichen Gesetze ziehen weiter Bergwerksunternehmen an.

Das weltgrößte geochemische Untersuchungsprojekt

Über Shawn Ryans wachsendem Gelände am Stadtrand dröhnen Hubschrauber, die mit GPS ausgerüstete Prospektoren zu abgelegenen Bergkämmen bringen. Ryan ist 50, doch er strahlt den Eifer und die Intensität eines viel Jüngeren aus. "Das hier ist das größte geochemische Untersuchungsprojekt der Welt", sagt er, "vielleicht sogar in der ganzen Geschichte."

Der Run auf Yukons Bodenschätze - Gold, Zink, Kupfer und mehr - hat Wohlstand in einen einst verlassenen Winkel des Kontinents gebracht. Doch der Boom offenbart auch die wachsende Spannung zwischen jenen, die eines der letzten großartigen Naturgebiete Nordamerikas schützen wollen, und denen, deren Erfolg vom Ausbeuten dieser Wildnis abhängt.

Umweltschützer kritisieren, dass die vorsintflutlichen Gesetze der kanadischen Regierung lange reif seien für eine Überarbeitung. Das sogenannte Free-Entry-System erlaubt es jedem Erwachsenen, auf dem Großteil des Territoriums einen Claim abzustecken - und unter Einhaltung behördlicher und ökologischer Vorschriften Mineralien abzubauen.

Gerüchte verbreiten sich wie im Wilden Westen

Gegen Ende meines Aufenthalts in Yukon kehre ich nach Dawson zurück. Ich bekomme einen Flug mit dem Hubschrauber zu einer vielversprechenden Stätte nahe der Ogilvie Mountains, die Ryans Team erkundet hat. Einige Minuten später lande ich im Nieselregen bei einem Bergcamp, wo ich Morgan Fraughton treffe, einen von Ryans ehemaligen Projektmanagern. Wir machen uns auf zu einem nahen Bergkamm.

Der Berghang ist mit Moosen, Flechten und Schmalblättrigen Weidenröschen bedeckt, ein Wunder an Farbenpracht und Nährstoffen. Fraughtons Bohrer bringt Proben von gelbem Sand, bläulichem Lehm, grünem Kies und rotem Ton ans Licht. "Wenn die Daten positiv sind, dann ist es wichtig, ganz schnell einen Claim abzustecken", sagt Fraughton, während er die Erdproben fotografiert und eintütet. "Gerüchte verbreiten sich in Dawson wie im Wilden Westen. Vor ein paar Wochen wollten wir ein Gelände abstecken, wo wir guten Boden gefunden hatten, aber jemand war uns zuvorgekommen."

Als wir am späten Nachmittag einen steilen, mit Felsbrocken übersäten Abhang hinabsteigen, erwähne ich etwas, das Ryan zu mir gesagt hat: "Ich rate den Leuten, sich nicht zu sehr in diese ganze Schönheit zu vergucken. Es könnte ja sein, dass wir hier graben wollen." Fraughton seufzt. "Ja, ja. Ich verstehe, warum das die Leute nervös macht", sagt er.

Als wir uns dem Camp nähern, reißen die Wolken auf, und die Sonne bricht durch. Wie Spotlights beleuchten ihre Strahlen einige der breiten Bergrücken, die zu Hunderten auf den Horizont zulaufen. Ein halbes Dutzend Gipfel, das plötzlich in ätherisches gelbes Licht getaucht ist, beginnt zu glitzern und zu dampfen. Ein derart gewaltiges Naturschauspiel, dass man sich in diesem Moment nicht vorstellen kann, es könnte je zu einer seltenen Erscheinung werden.

Fraughton und ich setzen uns einen Moment, um das alles in uns aufzunehmen. "Ich bin überall auf diesem Territorium gewesen, und es ist kaum zu glauben, wie schön es überall ist", sagt er. "Egal wohin du gehst, es gibt Berge über Berge, zu viele, um sie alle zu benennen, um sie alle zu zählen. Was, wenn einer davon verschwindet? Wäre das wirklich so schlimm?"

Gekürzte Fassung aus "National Geographic Deutschland", Ausgabe März 2014, www.nationalgeographic.de/yukon 

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