Erneuter Nachweis von Gravitationswellen Schwarze Löcher im Todeskampf
Sie werden den Raum wohl wieder durch die hohe Flügeltür vorn links betreten, irgendwann gegen Viertel vor zwölf am Mittag. Sie werden sich wieder unter die wuchtigen, goldgerahmten Porträts setzen. Und dann wird die Wissenschaftswelt gespannt zuhören. Wenn drei Mitglieder der Schwedischen Akademie der Wissenschaften am 3. Oktober, einem Dienstag, zur Pressekonferenz laden, werden sie den oder die aktuellen Gewinner des Nobelpreises für Physik bekanntgeben. Und - wie im vergangenen Jahr - wird es wieder einen glasklaren Favoriten geben.
Der experimentelle Nachweis von Gravitationswellen galt schon 2016 als überragender Titelaspirant. Im ersten Anlauf klappte es allerdings noch nicht mit der Auszeichnung, die mit umgerechnet rund 800.000 Euro dotiert ist. Ob sich das Nobelkomitee in diesem Jahr dafür entscheidet, die Entdecker der Gravitationswellen zu bedenken, wird sich im Oktober klären.
Währenddessen wird der erfolgreiche Nachweis von Gravitationswellen durch das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (Ligo) in den US-Bundesstaaten Washington und Louisiana fast schon zur Routine. Bereits zum dritten Mal können die beteiligten Forscher nun eine Entdeckung verkünden.

Gravitationswellen: Das ist GW170104
Im Fachmagazin "Physical Review Letters" berichtet die Ligo Scientific Collaboration von einer Beobachtung am 4. Januar dieses Jahres, um genau 11:11:58,6 Mitteleuropäischer Zeit. Da hatten die hochsensiblen Detektoren die Folgen der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher registriert - in kaum vorstellbaren drei Milliarden Lichtjahren Entfernung. Genau 920 Millisekunden lang ließ sich das Signal der Gravitationswelle nachweisen, die seit dem unter dem Namen GW170104 geführt wird.
Gravitationswellen kann man sich als Kräuselungen der Raumzeit vorstellen. Sie entstehen jedes Mal, wenn irgendwo im Universum Massen beschleunigt werden. Einstein hatte sie vorhergesagt, war sich aber selbst nicht so ganz sicher, ob sie sich auch praktisch nachweisen lassen würden. Das liegt daran, dass die Wellen extrem schwach sind.
Doch der Ligo-Detektor konnte sie, auch dank deutscher Technik, im September 2015 erstmals aufspüren. Es war eine Sensation, die der hochsensiblen Messtechnik zu verdanken war.
Nachweis mit Laserstrahl
An den beiden rund 3000 Kilometer entfernten US-Standorten des Detektors gibt es jeweils zwei Vakuum-Röhren. Diese sind vier Kilometer lang und stehen in einem 90-Grad-Winkel zueinander. Das Innere der Röhren wird mit einem in Deutschland entwickelten Laser vermessen. Wenn eine durchlaufende Gravitationswelle nun die Länge einer Röhre kurzzeitig verändert, lässt sich das im Bild des Laserstrahls nachweisen - selbst wenn die Veränderung der Röhrenlänge nur den Bruchteil eines Atomdurchmessers beträgt.
"Es ist bemerkenswert, wie gut dieses Signal mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein übereinstimmt", sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik zur aktuellen Beobachtung. Forscher des Instituts arbeiten an den beiden Standorten in Potsdam und Hannover entscheidend am Ligo-Projekt mit.

Zitate: Einstein über die Relativitätstheorie
Genau genommen war es sogar ein Wissenschaftler aus Niedersachsen, der Postdoc Alexander Nitz, der als erster überhaupt den entscheidenden Hinweis auf das aktuelle Gravitationswellensignal fand. Normalerweise verschickt die Ligo-Software automatische Hinweismails, wenn sie in den Daten einen interessanten Fund vermutet. So war es auch bei den ersten beiden Beobachtungen. Doch diesmal blieb die Benachrichtigung wegen eines Fehlers an einem der beiden Detektoren aus.
Durch ein eigenes Analysesystem konnte Nitz die interessanten Daten trotzdem beinahe in Echtzeit finden. "Wir hätten das nach ein paar Tagen vermutlich auch anderweitig mitbekommen", sagt Buonanno. "Aber so konnten wir schon nach ein paar Stunden mit der Arbeit anfangen."
"Wir wussten nicht, dass diese Objekte existieren"
Auch bei den ersten beiden Nachweisen hatten die Ligo-Wissenschaftler Schwarzen Löchern zugesehen, die sich gegenseitig verschlingen. Heraus kam im ersten Fall ein neues Exemplar von etwa 62 Sonnenmassen, beim zweiten Mal waren es um die 21. Das nun beobachtete verschmolzene Schwarze Loch ist rund 49 Mal so schwer wie unsere Sonne.
"Wir wussten nicht, dass diese Objekte existieren, bevor Ligo sie nachgewiesen hat", sagt David Shoemaker vom Massachusetts Institute of Technology, der neue Sprecher der Ligo Scientific Collaboration. Von einem "kraftvollen Observatorium, um die dunkle Seite des Universums zu enthüllen", spricht David Reitze vom California Institute of Technology.
Der aktuell beobachtete Todestanz der Schwarzen Löcher ist aus mehreren Gründen interessant. Er hat in doppelt so großem Abstand zur Erde stattgefunden wie die ersten beiden beobachteten Ereignisse. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass bei einem der beiden Schwarzen Löcher die Rotationsachse diesmal nicht senkrecht zur Bahnebene stand, was für eine besonders wilde Verschmelzung sprechen würde. Forscher bekämen so auch neue Hinweise zur Entstehung solcher Zwillingssysteme.
Fünf weitere Kandidaten gibt es schon
Der Ligo-Detektor hat in einem ersten Beobachtungslauf von September 2015 bis Januar 2016 zwei Gravitationswellen-Nachweise und zumindest einen weiteren Kandidaten geliefert. Die von den Forschern nun beschriebene Beobachtung stammt aus dem zweiten Messlauf, der im November 2016 begann und bis August dieses Jahres dauern soll.
Fünf weitere Kandidaten für ein Gravitationswellen-Ereignis aus dieser Zeit gibt es bereits. Sie müssen noch näher analysiert werden. Neben der Verschmelzung Schwarzer Löcher hoffen die Forscher auch auf die Fusion zweier Neutronensterne, die bisher noch nicht beobachtet werden konnte.
Ab dem Sommer soll der aufgerüstete europäische Gravitationswellendetektor advanced Virgo in der Nähe der italienischen Stadt Pisa seine Arbeit aufnehmen. Auch ein neuer Ligo-Beobachtungslauf soll schon im zweiten Halbjahr 2017 beginnen. Und irgendwann steht dann die Sache mit dem Nobelpreis an. Es geht nicht nur darum, ob es die Auszeichnung für die Gravitationswellenforscher überhaupt gibt. Zu klären wäre im Erfolgsfall auch, wer in dem internationalen Großprojekt den Preis eigentlich überreicht bekommt.
Der Hannoveraner Max-Planck-Direktor Karsten Danzmann kann sich jedenfalls schon mal über eine andere Auszeichnung freuen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der Gravitationswellenforscher im September den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft bekommt. Der ist mit 750.000 Euro dotiert - und damit zumindest finanziell attraktiver als die Auszeichnung aus Stockholm.
Denn da müssen sich meist mehrere Geehrte das Preisgeld teilen.