Interview mit Dennis Meadows "Für eine globale Mobilmachung ist es zu spät"

"Die Grenzen des Wachstums" ist die Bibel der Umweltbewegung: In der Studie warnte Dennis Meadows vor 40 Jahren vor der Ausbeutung der Erde und dem Kollaps der Weltwirtschaft. Im Interview erklärt er, warum er mit seinen düsteren Vorhersagen recht behalten wird.
Menschen auf einer Müllkippe in Indien: Wo liegen die Grenzen des Wachstums?

Menschen auf einer Müllkippe in Indien: Wo liegen die Grenzen des Wachstums?

Foto: Daniel Berehulak/ Getty Images

SPIEGEL ONLINE: Professor Meadows, vor 40 Jahren haben Sie mit ihrer Frau und Kollegen "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlicht - und wurden zu einem der geistigen Väter der Umweltbewegung. Die Kernaussage der Studie ist bis heute gültig: Die Menschheit betreibt Raubbau an den Ressourcen der Erde und ist auf dem besten Weg, sich selbst abzuschaffen. Glauben Sie, dass der Kollaps des globalen Wirtschaftssystems noch abzuwenden ist?

Meadows: Das Problem unserer Gesellschaften ist, dass große Wirtschaftsbereiche, die früher nützlich waren, inzwischen eher schädlich sind - wie etwa die Auto-, die Ölindustrie oder die Finanzindustrie. Ihre politische und finanzielle Macht ist so groß, dass sie Veränderungen effektiv verhindern können. Ich erwarte, dass diese Gegner des Wandels erfolgreich sein werden. Das bedeutet: Wir werden uns durch die Krise weiterentwickeln, nicht durch vorsorgliches Handeln.

SPIEGEL ONLINE: Zentrale Vorhersagen ihres Buchs von 1972 haben sich bewahrheitet - etwa das exponentielle Wachstum der Bevölkerung und die Zerstörung der Umwelt. Was aber das Überschreiten der Wachstumsgrenzen und den Kollaps der globalen Wirtschaft betrifft, halten ihre Kritiker dagegen: Man könne ebenso gut behaupten, das Wachstum werde weitergehen - und hätte damit bisher auch recht gehabt.

Meadows: Dass es den Kollaps bisher nicht gegeben hat, muss nicht bedeuten, dass er auch in Zukunft ausbleiben wird. Dass die Welt sich verändern wird, steht außer Frage - und damit auch, dass wir uns mit ihr ändern. Entweder erkennt man rechtzeitig die Notwendigkeit für Veränderungen und leitet sie ein, oder man wird später dazu gezwungen. Stellen Sie sich vor, sie fahren mit ihrem Auto durch eine Fabrikhalle, und sie können nicht wenden. Sie können entweder bremsen oder gegen die Wand fahren. Anhalten werden sie in jedem Fall. Denn das Gebäude ist so endlich wie die Ressourcen der Erde.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt einleuchtend, aber entspricht es der Realität? Werden private Unternehmen tatenlos der Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen zuschauen - oder werden sie nicht eher versuchen, durch Innovationen weiterhin Geld zu verdienen?

Meadows: Wer etabliert ist, versucht, sein Erfolgsmodell so lange wie möglich zu erhalten. Es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele, die das zeigen. Wer etwa hat das iPhone erfunden? Nicht Nokia, nicht Motorola, sondern Apple - eine Firma, die vorher keine Telefone gebaut hat.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es in Bereichen aus, die nicht privaten Unternehmen gehören, sondern der Regulierung durch Staaten unterliegen?

Meadows: Noch viel schlimmer. Die Ozeane etwa haben wir schon jetzt stark überfischt, und die Atmosphäre behandeln wir wie eine Gratis-Müllkippe für Industrieabgase. Niemand hat einen ausreichenden Anreiz, diese Gemeingüter zu schützen.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Fortbestand der Zivilisation nicht ein gewisser Anreiz?

Meadows: Sehen Sie, es gibt zwei Arten von Problemen, die jeden betreffen: Ich nenne sie universelle und globale. Universelle Probleme sind durchaus lösbar, weil kleinere Gruppen sie selbständig angehen können. Sie können die Luft in Hannover sauberer machen, ohne darauf warten zu müssen, dass in Peking das Gleiche geschieht. Globale Probleme aber können nur durch globale Kooperation gelöst werden. Hannover etwa könnte nicht allein den Klimawandel oder die Verbreitung von Atomwaffen stoppen. Dafür müssten auch die Menschen in China, den USA, Russland und anderswo mitmachen. Doch bei diesen globalen Problemen sehe ich keinerlei Fortschritte.

SPIEGEL ONLINE: Sie unterschätzen die Tatkraft von Menschen, die mit dem Rücken an der Wand stehen. Der australische Unternehmer und Umweltschützer Paul Gilding etwa argumentiert in seinem Buch "The Great Disruption", dass die Menschheit zwar in die Krise eintreten werde, dann aber mobilmachen werde wie im Krieg.

Meadows: Ich glaube, er hat recht. Aber die Frage ist: Wird das erfolgreich sein? Wenn die Reaktionszeiten kurz wären, könnte eine solche globale Mobilmachung erfolgreich sein. Aber leider sind sie es nicht. Würde man etwa die Treibhausgas-Emissionen heute auf null reduzieren, ginge die Erwärmung trotzdem noch Jahrhunderte weiter. Das Gleiche gilt für landwirtschaftliche Böden, die zu großen Teilen übernutzt und geschädigt sind. Es kann Jahrhunderte dauern, bis sie sich erholt haben.

SPIEGEL ONLINE: Vernachlässigen Sie nicht die Rolle technologischer Innovationen? Seit dem Erscheinen ihres Buchs vor 40 Jahren hat sich doch vieles verbessert: Die moderne Medizin hat die Lebenserwartung erhöht und die Kindersterblichkeit gesenkt, neue Getreidesorten haben die Ernteerträge massiv steigen lassen, die Computertechnik hat die gesamte Welt vernetzt und den Zugang zu Bildung wesentlich erleichtert.

Meadows: Richtig. Aber all diese Technologien sind nicht vom Himmel gefallen, sondern waren Ergebnisse jahrzehntelanger Arbeit. Und die war nur möglich, weil Staaten oder Organisationen aus bestimmten Motiven Geld für Forschung ausgegeben haben. Heute geben Medikamentenhersteller in den USA mehr Geld für den Kampf gegen Glatzenbildung als für den Kampf gegen HIV aus. Warum? Weil arme Leute HIV und reiche Leute eine Glatze kriegen. Technologie ist in erster Linie ein Werkzeug, um Profite zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Aber stellen Sie sich nur die Profite vor, die dem Erfinder einer neuartigen, sauberen und unerschöpflichen Energiequelle winken.

Meadows: Ich hoffe, Sie reden nicht von Kernfusion. Denn die ist Bullshit. Abgesehen davon glaube ich schon, dass wir irgendwann eine neue Energiequelle entdecken werden. Danach aber bräuchten wir Jahrzehnte, bis die Infrastrukturen aufgebaut, das notwendige Kapital gefunden und die Wirtschaft umgestellt wäre. Und zwar selbst wenn es keine Widerstände gäbe, die Umwelt nicht belastet würde und niemand bankrott ginge. Wer also erzählt, dass die Technologie uns auf die Schnelle retten wird, hat keine Ahnung, wie Technologie entsteht.

SPIEGEL ONLINE: Und wie sieht es mit den Ressourcen aus? Es gab schon Prognosen, nach denen wir heute kaum noch Öl haben dürften - trotzdem scheint noch reichlich davon vorhanden. Die USA etwa werden nach jüngsten Schätzungen demnächst mehr Öl fördern als Saudi-Arabien.

Meadows: Mag sein, aber das wird im Endeffekt nichts ändern. Die Ölvorkommen, von denen Sie reden, sind nur unter hohen Kosten zu erschließen, und auch sie werden irgendwann erschöpft sein. Spätestens dann haben wir ein echtes Problem. Ein Beispiel: Ich habe eine reiche Nachbarin. Sie gibt vermutlich rund ein Prozent ihres Einkommens für Strom aus. Dann kam Hurrikan "Sandy", und der Strom war wochenlang weg. Glauben Sie, dass die Lebensqualität meiner Nachbarin nur um ein Prozent gesunken ist? Natürlich nicht! Ihr Essen war verdorben, sie konnte nicht mehr arbeiten - ihr ganzes Leben kam zum Erliegen. Und so wird es auch unserer Wirtschaft ergehen. Schauen Sie sich um: Der Stuhl, auf dem Sie sitzen, das Glas der Fenster, das Licht an der Decke - alles gibt es nur aus einem Grund: Wir haben billige Energie.

SPIEGEL ONLINE: Nehmen wir einmal an, Sie haben recht und der Zusammenbruch wird noch in diesem Jahrhundert kommen - wie wird er aussehen?

Meadows: Kommt darauf an, wo man lebt und von welchen Zeiträumen man spricht. Manche Leute werden den Zusammenbruch vielleicht gar nicht groß bemerken. Es gibt schon heute fast eine Milliarde Menschen am Rand des Hungertods - und in den Industriestaaten stört sich fast niemand daran. Außerdem ist es eine Frage der Geschwindigkeit: Sie macht den Unterschied zwischen langsamem Niedergang und Zusammenbruch aus. Das Ende der fossilen Energien etwa wird sich eher langsam bemerkbar machen. Aber der Klimawandel wird uns auch in den Industrieländern voll erwischen. Die geologische Vergangenheit zeigt, dass Temperaturanstiege nicht linear, sondern in Sprüngen erfolgen. Das könnte einen rapiden Kollaps nach sich ziehen. Etwas Neues wäre das natürlich nicht. Gesellschaften kommen und gehen - das tun sie schon seit 300.000 Jahren.

Das Interview führte Markus Becker

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