Sand aus Grönland: Ungewöhnliches Exportgut aus der Arktis
Begehrter Rohstoff
Grönland könnte reich werden - durch Sand
Die Uno warnt, dass Sand wegen des anhaltenden Baubooms knapp werden könnte. Wissenschaftler wollen das Rohstoffproblem mithilfe Grönlands lösen - und dafür die Folgen der Erderwärmung nutzen.
Wo seit zehn Jahren das noble "Marina Bay Sands"-Resort in Singapur residiert, war einst Wasser. Wie an so vielen anderen Stellen des südostasiatischen Stadtstaats auch. Die boomende Metropole braucht immer mehr Raum für ihre Einwohner, deswegen gibt es seit Generationen massive Programme zur Landgewinnung. Binnen 200 Jahren hat Singapur so seine Fläche von 578 auf aktuell 719 Quadratkilometer vergrößert. Wichtigste Zutat dabei war lange Zeit: Sand.
Pool des "Marina Bay Sands"-Resort in Singapur (im Mai 2014)
Foto: ROSLAN RAHMAN/ AFP
Singapur wurde zum größten Importeur von Sand weltweit. Der Hunger des Landes nach dem Rohstoff hat sogar zu massivem Streit mit Nachbarstaaten geführt, die sich über Sandraub beklagt haben. In Thailand oder Indonesien sind für den Sandexport ganze Strände verschwunden - weil sie einfach abgebaggert werden. Bis heute sieht sich Singapur weiter dem Vorwurf ausgesetzt, das Baumaterial unter der Hand zu importieren.
Das Umweltprogramm der Uno warnt in einer aktuellen Studie davor, dass Sand knapp werden könnte. "Unsere moderne Gesellschaft ist auf Sand gebaut", sagt auch Mette Bendixen von der University of Colorado in Boulder. Der Rohstoff wird nicht nur zum Bau von Gebäuden und Straßen genutzt, sondern auch für die Herstellung von Plastik, Glas und Computerchips. Der weltweite Bedarf an Sand, so haben Bendixen und Kollegen kürzlich im Fachmagazin "Nature Sustainability"vorgerechnet, liegt aktuell jährlich bei rund 9,5 Milliarden Tonnen - mit einem Gesamtwert von beinahe hundert Milliarden Dollar.
Bis zum Ende des Jahrhunderts wachse der Markt gar auf einen Umfang von mehr als 480 Milliarden Dollar pro Jahr. Vor allem in Asien legt der Bedarf derzeit massiv zu. China hat innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt so viel Sand verbraucht wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert.
Sand aus der Wüste taugt nicht zum Bauen
Ein Teil des Sandbedarfs wird sich in Zukunft aus dem Recycling von Beton decken lassen. Dafür wird das Baumaterial alter Gebäude am Ende ihrer Lebenszeit geschreddert. Aus dem Granulat kann dann wieder Beton hergestellt werden. Für die Landgewinnung wie in Singapur lässt sich zudem Gesteinsmaterial verwenden, das anderswo ohnehin anfällt - zum Beispiel beim Bau neuer U-Bahnstrecken.
Doch in vielen Fällen wird weiter Sand benötigt. Allerdings ist Sand eben nicht gleich Sand. Die Wüsten der Erde können bisher keine Rohstoffe für Landgewinnung oder Bauindustrie liefern - weil der Wind die Körner dort über Jahrtausende rundpoliert hat und ausgerechnet dieser im Überfluss vorhandene Sand nicht für guten Beton taugt. Deshalb importieren selbst Wüstenstaaten den Rohstoff. Das höchste Gebäude der Welt, der Burj Khalifa in Dubai, wuchs ganz und gar mit Sand aus Australien in den Himmel.
Burj Khalifa in Dubai (im Oktober 2010)
Foto: STR/ REUTERS
Die Wissenschaftlerin Bendixen und ihr Kollege Minik Rosing von der Universität Kopenhagen haben nun einen Vorschlag unterbreitet, wie sich das Problem lösen ließe: Die Welt könnte einen Teil ihres Bedarfs mit Sand aus Grönland decken. Dort, so argumentieren sie, falle durch das stärkere Abschmelzen der Gletscher immer mehr des Rohstoffs an. Außerdem ließen sich die Depots am Rande der riesigen Arktisinsel vergleichsweise umweltschonend abbauen.
"Das Inlandeis funktioniert wie eine riesige Schleifmaschine", beschreibt Rosing. Der bis zu drei Kilometer dicke Eisschild bewegt sich langsam, aber stetig - und raspelt dabei an seiner Unterseite feines Gesteinsmaterial vom Boden ab. (Hier können Sie sehen, wie Grönland unter dem Eis aussieht.) Wenn das Eis dann schmilzt, gelangt das Material über Flüsse ins Meer.
Die Forscher haben sich Tausende Schwarz-Weiß-Fotos angesehen, die US-Aufklärungsflugzeuge im Zweiten Weltkrieg von Grönlands Küste gemacht haben. Die Amerikaner hatten damals nach versteckten deutschen Wetterstationen gesucht. Diese Aufnahmen verglichen die Forscher dann mit aktuellen Satellitenbildern. "Dabei konnten wir zeigen, dass auf den modernen Fotos die Flussdeltas deutlich gewachsen sind", sagt Bendixen - in manchen Fällen hatte sich die Küstenlinie um zwei Kilometer ins Meer hinein verlagert.
Satellitenbild eines Flusstals im Osten Grönlands - die weit ins Meer reichenden Sandablagerungen sind gut zu sehen
Foto: NASA/ Joshua Stevens
Die Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr Sand im Marktwert von einer Milliarde Dollar vor Grönlands Küsten im Meer landet - das wäre etwa die Hälfte der aktuellen Wirtschaftsleistung der Insel. Durch das wärmer werdende Erdklima sei der Nachschub auch für die kommenden Jahrhunderte gesichert. Vor allem im Westen der Insel lagerten sich durch das Schmelzen der Gletscher nutzbare Sandvorkommen ab, so die Forscher.
Foto: Jon Gambrell/ dpa
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Rohstoff Sand: Mangelware
"Weil der Sand erst vor vergleichsweise kurzer Zeit gemahlen wurde, ist die Form der Körner perfekt", sagt Wissenschaftler Rosing. Doch wie soll der Sand aus der Arktis auf die Baustellen in den Wirtschaftsmetropolen rund um den Globus kommen? Mit riesigen Frachtern, sagen die Forscher. Diese könnten den Rohstoff vom Meeresboden vor der Küste aufsaugen - und, wenn genug zusammengekommen ist, an den Zielort bringen. Infrastruktur an Land sei nicht nötig.
"Natürlich klingt die Vision, ein globaler Exporteur von Sand zu werden, attraktiv für die grönländische Regierung", sagt Jørgen Hammeken-Holm, Vizeminister für Rohstoffe und Arbeit in der grönländischen Regierung dem SPIEGEL. Man versuche schließlich immer, neue Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätze zu fördern.
An der Front des Russellgletschers
Foto: SPIEGEL ONLINE
Grönland könnte Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen in der Tat gut gebrauchen. Der Tourismus wächst zwar langsam, bringt allein aber nicht genug Geld. Also ließ man ausländische Firmen - bisher erfolglos - nach Öl bohren, dachte über Minen-Projekte nach, bei denen Gold, Uran, Seltene Erden, Eisen oder Zink geschürft werden sollten. Sogar waghalsige Pläne, Eisberge per Schiff zur Wassergewinnung in wärmere Gefilde zu schleppen, gab es.
Solche Projekte wären allesamt kompliziert - auch weil Grönlands Infrastruktur kaum ausgebaut ist. Dazu kommen zwei Urängste der 56.000 Insulaner: Sie fürchten, dass der Rohstoffexport die Umwelt zu stark schädigen könnte. Und sie argwöhnen, dass internationale Partner sie bei einem möglichen Deal über den Tisch ziehen könnten und sie ihre Schätze ungewollt zu billig verschleudern.
Sandablagerungen am Fluss Qinnguata Kuussua bei Kangerlussuaq an der Westküste
Foto: SPIEGEL ONLINE
Forscher Rosing glaubt, dass die Umweltgefahren geringer sind als angenommen. Auf dem frischen Sand habe sich bisher kaum Leben angesiedelt. "Die Umweltbeeinflussung wäre sehr klein, wenn man es mit anderen Formen des Rohstoffabbaus an Land vergleicht", wirbt Rosing. Und am Fjord Sermilik, einem der möglichen Abbau-Punkte, gebe es kaum dauerhafte Besiedlung. Menschen würden durch den Sandabbau also auch nicht gestört.
Foto: NASA/ Joe MacGregor
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Sand aus Grönland: Ungewöhnliches Exportgut aus der Arktis
Vizeminister Hammeken-Holm mahnt trotzdem zur Vorsicht. "Wir bewegen uns hier noch im Bereich der Forschung." Der Weg von den wissenschaftlichen Studien zu einem möglichen Sandexport sei "noch lang". Man müsse jetzt erst einmal die Märkte beobachten, ob diese überhaupt Bedarf an grönländischem Sand haben.
Doch das Baumaterial aus dem hohen Norden kann womöglich nicht nur interessant für Hochhäuser und Straßen in den Metropolen der Erde sein, sondern auch für den Schutz von Küsten vor den Folgen des steigenden Meeresspiegels.
Auch in Singapur hat man auf diese Entwicklung ein Auge. Schließlich liegt ein Drittel der Insel nur fünf Meter oder weniger oberhalb der Wasserlinie. Grönlands Sand könnte also eines Tages auch dabei helfen, genau die Küsten zu schützen, die wegen des Abschmelzens der eisigen Insel langfristig in Gefahr geraten.
Zusammengefasst:Der Hunger nach Baustoffen in den Metropolen der Welt hat den Rohstoff Sand knapp werden lassen. Davor warnt die Uno in einem neuen Bericht. Vor allem für die Herstellung von Beton wird Sand in großen Mengen benötigt. Der im Überfluss vorhandene Wüstensand eignet sich dafür jedoch nicht. Nun haben Forscher vorgeschlagen, Sand aus Grönland zur Deckung des internationalen Bedarfs einzusetzen. Dort, so argumentieren sie, falle durch das stärkere Abschmelzen der Gletscher immer mehr des Rohstoffs an. Außerdem ließen sich die Depots am Rande der riesigen Arktisinsel vergleichsweise umweltschonend abbauen. Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr Sand im Marktwert von einer Milliarde Dollar vor Grönlands Küsten im Meer landet, das sich nutzen ließe.
6 BilderSand aus Grönland: Ungewöhnliches Exportgut aus der Arktis
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Grönländische Küste bei Narsaq (im April 2018): Das Inlandeis der arktischen Insel schmilzt im Zuge der menschgemachten Erderwärmung ab. Dadurch erreicht immer mehr Sand die Deltas von Grönlands Flüssen. Forscher schlagen jetzt vor, dass die Grönländer diesen Rohstoff abbauen und verkaufen könnten. Denn Sand ist ein weltweit begehrtes Baumaterial.
Foto: NASA/ Joe MacGregor
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Front des Russellgletschers (im Sommer 2017): Das Inlandeis, so beschreiben es Forscher, funktioniert wie eine riesige Schleifmaschine. Der bis zu drei Kilometer dicke Eisschild bewegt sich langsam aber stetig über den Untergrund Grönlands. Dabei wird an der Unterseite feines Gesteinsmaterial vom Boden abgeraspelt. Wenn das Eis dann schmilzt, gelangt das Material über Flüsse ins Meer.
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Satellitenbild eines Flusses im Osten Grönlands (im September 2018): Die Sandablagerungen im Tal sind gut zu sehen, sie reichen auch weit ins Meer hinein. Solche Vorkommen könnten abgebaut und per Schiff in andere Teile der Welt gebracht werden, so die Idee der Forscher.
Foto: NASA/ Joshua Stevens
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Tasiilaq im Südosten Grönlands (im Juni 2018): Die Insel hat Autonomiestatus innerhalb des Königreichs Dänemark. Komplette Unabhängigkeit können die 56.000 Grönländer aber nur erlangen, wenn sie neben ihrem aktuellen Hauptexportgut Fisch auch andere Einkommensquellen erschließen.
Foto: Lucas Jackson / REUTERS
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Kangerlussuaq an der Westküste (im Sommer 2017): Am Fluss Qinnguata Kuussua sind die Sandablagerungen gut zu erkennen. Der Fluss bringt das Material vom Russellgletscher in Richtung Meer. Dort könnten sie womöglich eines Tages abgebaut werden. Ob es tatsächlich dazu kommt, müssen Grönlands Politiker entscheiden.
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Burj Khalifa in Dubai (im Oktober 2010): Kein Bauprojekt kommt ohne Beton aus, um die 200 Tonnen stecken in einem mittelgroßen Einfamilienhaus, 30.000 Tonnen in einem Kilometer Autobahn. Und Beton besteht zu 40 Prozent aus Sand. Doch nicht jeder Sand ist geeignet - unter anderem weil die Körner von Wüstensind durch den Wind zu rund geschliffen sein. Also müssen selbst Wüstenstaaten Sand importieren. Der Rohstoff für den Bau des höchsten Hauses der Welt stammte aus Australien.
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Pool des "Marina Bay Sands"-Resort in Singapur (im Mai 2014)
Kamele stehen in der Wüste vor Dubai, hinten rechts steht das Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt. Der Bau verschlang 330.000 Kubikmeter Beton. Ein wichtiger Bestandteil für Beton ist Sand - und der wird zur Mangelware.
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Denn obwohl Dubai von Wüste umgeben ist: Der Wüstensand eignet sich nicht für die Herstellung von Beton. Der Sand musste eigens aus Australien herangeschafft werden. Das gilt auch für andere Megaprojekte. Hier wird beispielsweise Sand für die berühmte Palmeninsel in Dubai aufgeschüttet.
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Die künstliche Palmeninsel hat schätzungsweise Baukosten von einer Milliarde Euro verursacht.
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Ein Großteil des Sandes, der für Beton gebraucht wird, stammt vom Meeresboden. Schiffe baggern den Meeresgrund ab - für die Ökosysteme hat das verheerende Folgen.
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Auch dieses Anwesen vor der Küste Dubais liegt auf einer Insel, die künstlich aufgeschüttet wurde.
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"Die Masse an Sand, die gebraucht wird, hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht", sagt Pascal Peduzzi vom Uno-Umweltprogramm (UNEP). Der globale Bedarf übersteige mittlerweile bei Weitem das, was durch Verwitterung nachkommt. "Wir schätzen den derzeitigen Verbrauch auf 50 Milliarden Tonnen pro Jahr - das sind 18 Kilogramm täglich für jeden Einwohner der Erde", sagt Peduzzi.
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Der Burj Khalifa: Doch nicht nur für den Bau von Wolkenkratzern wird Sand gebraucht. Er steckt in ziemlich allem, von Glas über Asphalt bis zu Kosmetika, Zahnpasta, Mikrochips, Smartphone-Bildschirmen, Autos und Flugzeugen. Aus Sand gewonnenes Siliciumdioxid (SiO2) wird auch in der Weinindustrie und vielen Lebensmitteln verwendet.
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Der bei Weitem größte Sand-Exporteur sind die USA, der größte Importeur das für seine glitzernden Shoppingmalls und Megabauten berühmte Singapur. Auf der Liste der Einfuhrländer belegt Deutschland immerhin den achten Rang.