
Mysteriöser Wandel: Schwarzes Eis
Schwarzes Eis Grönlands dunkle Seite
Grönland - nichts als weiße Unendlichkeit? Irrtum, ein unheimlicher Wandel scheint im Gange. Seit Mitte der Neunzigerjahre wird der kilometerdicke Eispanzer des Landes dunkler. Daten des National Snow and Ice Data Centers in den USA zufolge verlor das Eis ein Fünfzehntel seiner Rückstrahlkraft - dunklere Flächen reflektieren weniger Sonnenlicht.
Der Wandel könnte eine Kettenreaktion auslösen: Je dunkler das Eis, desto mehr Wärme sammelt sich. Anstatt die Sonnenstrahlen zurück ins All zu reflektieren, wird die Energie zum Schmelzen des Eises umgesetzt.
Staub und Ruß könnten das Tauen des Grönlandeises um sieben Prozent beschleunigen, berichten Forscher um Thomas Goelles von der University Centre in Svalbard im Fachblatt "The Cryosphere" . Der Hauptgrund: Je weiter sich die Gletscher zurückziehen, desto mehr Sandboden geben sie frei, den Wind aufs Eis weht.
Vulkane schwärzen das Eis
Doch es sind nicht nur dunkle Partikel - diverse weitere Phänomene verdunkeln das Grönlandeis, schreiben Gelehrte um Marco Tedesco von der City University of New York im Wissenschaftsmagazin "Eos" . Ihr überraschendes Resümee: Die Wissenschaft müsste die Ursachen erst noch finden.
Im Fachjournal "Geophysical Research Letters" räumen Forscher um Chris Polashenski vom Dartmouth College in Wainwright, USA, mit dem Vorurteil auf , allein industrieller Ruß würde Grönland färben. Zwar überziehen immer wieder Rauchwolken arktischer Buschbrände den Eispanzer, sie legen grauen Schleier auf den Schnee. Auch Aschewolken von Vulkanen aus Island und Alaska schwärzen gelegentlich das Eis.

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Schwarze Schleier könnten das Dunkeln also bei Weitem nicht erklären, folgert Tedesco. Ein verantwortliches Phänomen bleibe unsichtbar, schreibt er, und es werde verstärkt von der Klimaerwärmung: Taut der weiße Schnee, legt er älteres Eis frei - und dies verdunkle unmerklich die Gletscheroberfläche. Denn altes Eis ist gröber, seine Rückstrahlkraft (die sogenannte Albedo) entsprechend geringer. Je mehr altes Eis freiliegt, schreibt Tedesco, desto stärker erwärme sich das Eis - das Schmelzen beschleunigt sich.
Tauendes Eis legt aber auch andere Schmelzverstärker frei: Staubpartikel, die etwa von zurückliegenden Vulkanausbrüchen stammen. Nachdem das Tauwasser durch Rinnen im Eis abgelaufen sei, hinterlasse es mancherorts einen feinen Partikelteppich, berichten Tedesco und seine Kollegen.
Der dunkle Film schmilzt nicht, im Gegensatz zum Eis; er verharrt auf dem Gletscher. Seine dunkle Farbe schluckt mehr Sonnenlicht als das Eis, weshalb auch aus diesem Grund das Tauen verstärkt werde.
Gewaltiges Gebläse
Im Westen Grönlands entdeckten Forscher der Universität Utrecht in den Niederlanden unlängst eine besondere Ursache für dunkel gefärbtes Eis: Staub aus der Urzeit. Auf einer Fläche so groß wie Sachsen-Anhalt schimmert der Schnee dort jeden Sommer schwarz. Im Winter jedoch wird er wieder weiß, bislang zumindest.
Taut der Schnee an der Oberfläche im Sommer, tritt der Staub aus der Urzeit zutage, haben die Forscher entdeckt. Während der Eiszeiten drifteten gewaltige Staubwolken um die Welt. Viel Wasser war damals in Eis gebunden, der Boden war trockener und wurde vom Wind aufgewirbelt. Grönland lag unter einem natürlichen Sandstrahlgebläse.
Der Staub schlug sich auf dem Eispanzer nieder; Schnee der folgenden Jahrtausende deckte ihn zu. Nun wird er bei sommerlichem Tauwetter regelmäßig freigelegt. Verstärkt sich die Schmelze, dürfte er permanent zum Vorschein kommen.
Auch Lebewesen spielten eine Rolle bei der Verdunklung des Grönlandeises, berichtet Tedesco: Je länger die jährliche Schmelzsaison dauere, desto mehr Bakterien gediehen im Tauwasser. "Doch niemand weiß, wie groß ihr Effekt ist".
Schließlich wirke sich das Schmelzwasser selbst aus: Je mehr bläuliche Tümpel sich sammelten auf dem Eis, desto weniger Sonnenlicht pralle am Eis ab. Die Wasserpfützen würden doppelt so viel Strahlung schlucken wie eine Eisfläche.
"Wir müssen die Wirkungen der einzelnen Effekte verstehen", schreiben die Forscher in "Eos". Ansonsten ließe sich die Wandlung des Grönlandeises kaum vorhersagen.
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