
Paläo-Kunst und -Kultur: Die Menschen, die Saurier zum Leben erweckten
Kein Künstler hat die Vorstellung von der "Urzeit" so stark geprägt wie Charles R. Knight. Seine Biografie zeigt, wieviel Wissenschaft in Popkultur stecken kann. Außerdem: "Dinosaurier!" zeigt, warum unsere Vorstellung von der Urzeit ein kulturelles Konstrukt ist.
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie den Namen Godzilla hören? Ich habe dann direkt das Bild einer riesigen, stocksteif und langsam umhertapernden Echse vor Augen. Wo sie herumläuft, ist es meist Nacht. Es raucht und brennt und überhaupt sieht alles nach Weltuntergang aus.
Im Grunde entspricht das der Vorstellung, die man sich einst von der "Urzeit" und ihren Lebewesen machte. Von Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stellte man sich Dinosaurier als kaltblütige und träge Riesenechsen vor. Und wenn der eine auf den anderen traf, dann bebte ja wohl die Erde.
Es war kein Wunder, dass diese zombiehaften Giganten zum Untergang verurteilt waren, dachte man: War das quirlige Säugetier nicht offensichtlich das bessere, überlegene Modell?
Einer der ersten Paläo-Künstler, der in enger Zusammenarbeit mit einflussreichen Wissenschaftlern seiner Zeit begann, dieses Bild zu verändern, war Charles R. Knight (1874-1953).
Bereits 1896 brach sein Bild "Leaping Laelops" mit allen damaligen Konventionen: Da liegt ein Dryptosaurier - ein mit dem T-Rex verwandter Raptor mittlerer Größe - auf dem Rücken, die klauenbewehrten Hinterbeine abwehrend angewinkelt, während ihn von rechts kommend ein zweiter anspringt. Man weiß nicht recht, ob sie ernsthaft oder spielerisch kämpfen. Was man aber sofort sieht, ist, dass sich da zwei höchst agile Wesen von katzenhafter Geschicklichkeit miteinander messen.
Knight hatte die Gabe, Tierbilder glaubhaft mit Leben zu erfüllen. Berühmt wurde er durch seine großen Wandbilder prähistorischer Szenen, die bis heute im New Yorker Museum of Natural History und im Field Museum von Chicago zu sehen sind. Dass ein Tier ohne Muskeln und Bewegung, ohne Kontext und Aktion nichts ist, hatte Knight als Naturmaler in den Zoos der Zeit gelernt. Neben seinen Vorzeit-Bildern gibt es in seinem Werk zahlreiche Studien und Gemälde von Großkatzen, Elefanten und anderen "Exoten"; er gestaltete Skulpturen springender Tiger und monumentale steinernde Tierköpfe als Zierelement für den Zoo- und Museumsbau.
Anfang 2012 legte Richard Milner mit "Charles R. Knight - The Artist who saw through time" eine opulent bebilderte Biografie vor, die all diese Aspekte seiner Werkes gleichberechtigt zeigt. Sie dokumentiert das Schaffen eines Mannes, der an der Schnittstelle von Kunst, Popkultur und Wissenschaft die populäre Vorstellung von den prähistorischen Zeiten stärker prägte als irgendjemand sonst. Sie zeigt aber auch, dass Knight mehr war als ein "Dino-Maler".
Das Buch ist eine gelungene Würdigung.
Im deutschen Handel gilt es derzeit als "vorbestellbar", was allerdings eine Fehlinformation ist: Nach Auskunft des Verlages ist nicht sicher, wie lange es noch lieferbar sein wird, und ob es erneut aufgelegt wird. Der Import über den Buchhandel ist noch problemlos, es kostet dann rund 35 Euro. Preiswerter funktioniert der Direktimport über den Online-Buchhandel. Obacht: Lieferungen aus Großbritannien brauchen einige Tage, solche aus den USA mitunter Monate.
Doch zurück zu Godzilla. Der schmückt das Titelbild von Alexis Dworskys Buch "Dinosaurier!" mit dem Untertitel "Die Kulturgeschichte".
Doch keine Angst: Schon die Kopfzeile "Das sensationellste Buch der Gegenwart" signalisiert, dass es hier nicht nur ernst zugeht. Tatsächlich wagt Dworsky einen ziemlich breiten Spagat - aber der ist ja auch angebracht.
Dass der Dinosaurier "eine Fiktion, kein Faktum" sei, klingt noch nach einer ziemlich steilen These. Er weiß die aber auch zu füllen: Tatsächlich spiegelte sich in unserer Vorstellung vom Saurier und in dem Bild, das wir uns von ihm machten, immer auch die Kultur der Zeit.
Als unsere Position als "Krone der Schöpfung" noch unangefochten war, stellten sich Wissenschaftler die Dinosaurier dementsprechend als drachenhafte "Rieseneidechsen" vor, die als "keifende Mordbestien in der Urwelthölle" lebten - vermeintlich niedere Wesen, von den Kräften der Evolution zurecht entsorgt.
Dworsky erzählt den Erkenntnisprozess chronologisch. Er zeigt, warum Richard Owen Saurier nur so sehen und zeichnen konnte, wie er es tat - als Megalurche. Er erklärt, warum John Martin die Urwelt christlich als sumpfig-schwefeliges Fegefeuer interpretierte. Er führt uns durch absurde viktorianische Vorstellungswelten und lässt uns wenig später Charles R. Knight treffen, der schon wieder deutlich weiter war als andere, die Jahrzehnte nach ihm wieder nur das Monster im Dinosaurier suchten.
Wissen, Vor- und Darstellung durchliefen so Stadien, die nicht nur den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft widerspiegeln, sondern auch gesellschaftliche und kulturelle Veränderungsprozesse - bis heute. Deshalb, so Dworsky, sei das Bild der Dinosaurier "immer schon (...) ein kulturelles Konstrukt" gewesen.
"Dinosaurier!" ist eine kulturwissenschaftliche Abhandlung mit fundierten Ausflügen in die Wissenschaftsgeschichte. Die reichhaltige Bebilderung steuert Schätze aus Wissenschaft wie Popkultur bei - und nicht immer ist ausgemacht, aus welcher Ecke die skurrilen, lustigeren Exponate kommen. Das ist ein schönes Gegengewicht zum in der Sache oft unterhaltsamen, prinzipiell aber sachlichen Text. Heraus kommt dabei bestes Infotainment mit wissenschaftlichem Anspruch. Das macht Spaß.