Hitzewelle im Meer Der tödliche "Blob"

Millionen verendeter Seevögel und Fische, auch Wale litten: Forscher haben untersucht, was warme Wassermassen vor der amerikanischen Westküste angerichtet haben. Wird es solche Massensterben künftig häufiger geben?
Der "Blob" im Satellitenbild: Die warmen Wassermassen hatten sich von Alaska nach Süden ausgebreitet

Der "Blob" im Satellitenbild: Die warmen Wassermassen hatten sich von Alaska nach Süden ausgebreitet

Foto: NASA Physical Oceanography Distributed Active Archive Center

"Blob", auf deutsch Klecks, diesen niedlich klingenden Namen verpassten Forscher einer ungewöhnlich großen Ansammlung warmer Wassermassen vor der amerikanischen Pazifikküste. Dieses Hitzefeld ließ sich zwischen 2013 und 2016 beobachten, unabhängig vom Klimaphänomen El Niño, das in unregelmäßigen Abständen ebenfalls den dortigen Ozean erwärmt.

Der genaue Mechanismus des "Blobs" ist noch unklar; darüber, wie er zustande kam, wissen Forscher mehr: Offenbar verhinderte ein Hochdrucksystem in der Atmosphäre  über der betreffenden Region, dass die sonst üblichen kräftigen Winterstürme entstanden. Das Wasser wurde nicht mehr ausreichend durchmischt, die Wärme konnte sich sammeln. Diese marine Erhitzung begann im Golf von Alaska, von dort breitete sich das Wasser nach Süden aus. Eine Messboje vor Newport im US-Bundesstaat Oregon registrierte im September 2014 innerhalb weniger Stunden einen Anstieg der Wassertemperaturen um sieben Grad Celsius.

Jetzt offenbaren sich die ökologischen Folgen des Phänomens. Ein Team um den Meeresbiologen John Piatt vom Alaska Science Center des U.S. Geological Survey in Anchorage (US-Bundesstaat Alaska) berichtet darüber im Fachmagazin "PLoS One" . Den Forschern zufolge sind den Opfern des "Blob" Zehntausende tote Trottellummen zuzurechnen, die in der Zeit zwischen Mitte 2015 und Anfang 2016 an der Westküste angespült wurden. Sie waren verhungert.

Angespülte tote Trottellummen in Alaska: Die Vögel müssen täglich ihr halbes Körpergewicht in Fisch fressen - fehlt die Nahrung, dann sterben sie

Angespülte tote Trottellummen in Alaska: Die Vögel müssen täglich ihr halbes Körpergewicht in Fisch fressen - fehlt die Nahrung, dann sterben sie

Foto: Mark Thiessen/ AP

Eine Kette von Wechselwirkungen hatte dazu geführt: So veränderte das warme Wasser die Zusammensetzung des Planktons, Menge und Qualität dieser wichtigen marinen Nahrungsquelle gingen zurück. In der Folge sank die Zahl der Fische, die von dem Plankton leben. Diese wiederum gehören zur Lieblingsspeise der Trottellummen, die jeden Tag etwa die Hälfte ihres Körpergewichts fressen müssen.

Zudem, so die Forscher, habe das wärmere Wasser den Stoffwechsel der Fische auf höhere Touren gebracht. Raubfische wie der Pazifische Kabeljau, der Pollack oder der Glasaugenbarsch hätten aufgrund ihres daraufhin höheren Energieumsatzes mehr Beute benötigt – und so die Zahl verfügbarer Fische für die Seevögel zusätzlich vermindert.

Tausendmal mehr Kadaver

Mehr als 60.000 sterbende oder schon tote Trottellummen sind laut den Wissenschaftlern an der Pazifikküste bis hinauf nach Alaska registriert worden. Dort habe die Zahl der Kadaver sogar bis zu tausendmal höher gelegen als üblich. Aus der Anzahl der Funde rechnen die Forscher hoch, dass wahrscheinlich rund eine Million der Vögel gestorben sind.

Auch andere Lebewesen seien betroffen gewesen, erklärt Kevin Trenberth vom National Center for Atmospheric Research in Boulder (US-Bundesstaat Colorado), so litten Wale unter dem "Blob", und rund 100 Millionen Kabeljaue überlebten die Hitze nicht. Trenberth war nicht an Piatts Studie beteiligt, hat aber kürzlich zusammen mit anderen Forschenden eine Arbeit zur globalen Meereserwärmung veröffentlicht.

Die Wissenschaftler um ihn und Cheng Lijing von Chinas Akademie der Wissenschaften (CAS) hatten dabei errechnet, dass die Weltmeere im vergangenen Jahr so warm waren wie nie zuvor seit Beginn der globalen Erfassung. Und dieser Trend beschleunige sich durch den Klimawandel, warnten sie im Fachmagazin "Advances in Atmospheric Sciences" . Die vergangenen zehn Jahre brachten demnach die höchsten Meerestemperaturen seit den Fünfzigerjahren, wobei die jüngsten fünf Jahre die wärmsten waren.

Solche marinen Hitzewellen gab es laut Auskunft der Forscher auch schon in der Tasmanischen See und in anderen Regionen. Sie hätten "bedeutende Konsequenzen", so Trenberth. Das Forscherteam um John Piatt befürchtet Ähnliches. Demnach könnte das Schicksal der Trottellummen, Wale und Kabeljaue im "Blob" nur der Anfang sein – und ein Vorbote weiterer Massensterben.

chs/dpa

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