Ursachen und Prognosen Zehn Fakten zur Flut

Überflutung in Hessen: Durchweichte Deiche
Foto: Stefan Rampfel/ dpaWie kam es zum Hochwasser?
Der Deutsche Wetterdienst hat berechnet, wie viel Wasser in den vier fatalen Tagen Ende letzter Woche vom Himmel gefallen sind: Knapp 23 Billionen Liter Wasser seien auf Deutschland gestürzt.
Diesmal sorgten mehrere Zufälle für extreme Regenmassen: Die Luft strömte ausgerechnet ins dicht besiedelte Mitteleuropa. Zwei Hochdruckgebiete im Osten und Westen klemmten die Tiefdruckzone über Mitteleuropa fest. Es handelte sich gleich um mehrere der gefürchteten Mittelmeer-Tiefs, die Meeresluft aus den Subtropen nach Norden lenkten, die besonders feucht war.
Die nasse Mittelmeerbrise traf in Mitteleuropa auf kühle Luft, auf der sie aufstieg wie auf einer Rampe. In kühler Höhe kondensierte die Feuchtigkeit zu Wolken wie an einer kühlen Fensterscheibe. Ausgerechnet in dieser Zeit fehlten starre Luftmassengrenzen, die den Aufstieg der Luft stoppen. So wuchsen kilometerhohe Wolkentürme, die sich vor Gebirgen stauten. An Erzgebirge, Thüringer Wald, Bayerischem Wald, Schwarzwald, Harz und Alpen schüttete es deshalb besonders heftig.
Wurde rechtzeitig gewarnt?
Ja. Bereits Mitte vergangener Woche warnten Wetterdienste vor lang anhaltenden Regengüssen im Süden und in der Mitte Deutschlands. Ausdrücklich wurde bedrohliches Hochwasser vorhergesagt. Erst traten kleinere Flüsse über die Ufer. Sie laufen nun in den großen Strömen zusammen. Der Pegelanstieg von Elbe, Elster, Donau oder Rhein wird Tage im Voraus prognostiziert .
Wie besonders ist das Hochwasser?
Meteorologen konstatieren für die meisten betroffenen Orte ein "hundertjähriges Ereignis", also eine Flut, wie sie sich im Durchschnitt alle 100 Jahre ereignet. Die Güte der Daten ist jedoch umstritten. Flüsse traten immer wieder über ihre Ufer, doch die Aufzeichnungen sind lückenhaft; vor allem aus der Zeit vor Erfindung des Buchdrucks.
"Und ich hab immer noch Angst vor dem Rhein", schrieb Heinrich Böll im Gedenken an viele Flutkatastrophen. Im Sommer 1342 etwa kam es zum Regen-Supergau, berichtet der Geograf Rüdiger Glaser von der Universität Freiburg. Binnen acht Tagen fiel in Mitteleuropa so viel wie sonst in einem halben Jahr. Auch 1732 forderten Flusshochwasser in Deutschland zahlreiche Opfer. 1784 schwoll die Elbe gar so stark an, dass sie für immer ihren Lauf veränderte.
Diesmal aber fiel so mancher Rekord: In Passau etwa wurde der höchste bekannte Pegelstand aus dem Jahr 1501 um mehr als einen halben Meter übertroffen.
Ist der Klimawandel schuld?
Statistische Berechnungen zeigen, dass Hochwasser in Mitteleuropa in den vergangenen 500 Jahren nicht häufiger geworden zu sein scheinen. Weil immer mehr Menschen an die Ufer zogen, stiegen aber die Schäden durch Hochwasser. Zieht man diesen Wertzuwachs-Effekt jedoch ab, zeigt sich Berechnungen zufolge keine ungewöhnliche Zunahme in den vergangenen vier Jahrzehnten. Ausnahme scheint allerdings das Frühjahr: In dieser Zeit wachse die Gefahr hoher Pegel, weil häufiger Regen falle anstatt Schnee, das Wasser also auf einmal in die Flüsse rauscht, zeigt eine Studie .
Grundsätzliche Überlegungen aber lassen vermuten, dass die Klimaerwärmung mehr Starkregen bringt: Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit halten, weshalb es häufiger heftig regnen könnte. Für den Zeitraum von 1951 bis 2000 sei aber kein eindeutiger Trend zu vermehrten extremen Niederschlägen festzustellen, berichtet der Deutsche Wetterdienst. Allerdings gebe es im Winter einen Trend zu mehr Ereignissen mit Tagesniederschlägen von mehr als 30 Litern pro Quadratmeter.
Für die Zukunft zeigen Klimamodelle jedoch keine verlässlichen Ergebnisse. Entscheidend dürfte die Frage sein, ob die gefürchtete Vb-Wetterlage häufiger wird. Daten des Deutschen Wetterdienstes zeigen in den vergangenen Jahrzehnten eine Zunahme der Vb-Wetterlage im Sommer. Hält der Trend an? Erste Simulationen zeichnen ein unklares Bild.
Ist die Asphaltierung des Bodens schuld?
Kaum. Niederschläge, die große Flüsse wie Elbe oder Rhein steigen lassen, strömen aus einem Gebiet, das fast so groß ist wie halb Deutschland. Aber nur gut ein Zehntel der Fläche Deutschlands ist mit Asphalt oder Gebäuden künstlich versiegelt. Ein Blick in die Landschaft offenbart das wahre Problem: Der Regen selbst versiegelt den Boden, Felder und Wiesen sind derzeit überschwemmt von ausgedehnten Seen.
Ursache war der starke Niederschlag in kurzer Zeit: Vielerorts fielen mehr als 300 Liter in vier Tagen, das Wasser steht dann 30 Zentimeter hoch, sofern es nicht abfließt. Der Regen füllt alle Poren in der Erde, so dass weiterer Regen nicht versickern kann - das Wasser strömt direkt in Flüsse und Bäche. 40 Prozent der Landesfläche Deutschlands hätten Ende Mai neue Bodenfeuchte-Rekorde aufgewiesen, berichtet das Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (Cedim). Vielerorts zählt der Mai zu den nassesten seit Aufzeichnungsbeginn vor rund hundert Jahren.
Wurde aus der Hochwasserkatastrophe von 2002 gelernt?
Darüber wird gestritten. Nach den Fluten an der Elbe 2002 wurden zahlreiche Schutzmaßnahmen beschlossen: Bessere Deiche, Schutzmauern, Flutungsflächen. Der Bund erließ 2005 ein neues Hochwasserschutzgesetz. Es verpflichtet die Länder unter anderem, mehr Überschwemmungsflächen auszuweisen. In solchen Gebieten dürfen neue Gebäude nur noch in Ausnahmefällen gebaut werden.
Vielerorts gab es Fortschritte, Bund und Länder investierten viele Milliarden Euro in den Hochwasserschutz. Viele Orte in Bayern erhöhten die Deiche. Hitzacker in Niedersachsen hat eine flexible Wand gegen Fluten angeschafft. Auch Grimma hat aufgerüstet. Doch die neue Schutzmauer, die die Altstadt vor dem Wasser bewahren soll, ist gerade mal halbfertig. Bürgerproteste hatten den Bau gestoppt, weil er angeblich das Stadtbild verschandelt.
Umweltverbände prangern Versäumnisse an. Der WWF macht für die Überschwemmungen die Kommunen mitverantwortlich. Die setzten meist nur auf technische Schutzmaßnahmen wie bessere Deiche. Dabei fehle es vor allem an Überflutungsflächen, den sogenannten Poldern. Deiche verlagern das Hochwasser flussabwärts. Dort schwellen die Fluten umso stärker, je weniger Wasser unterwegs aus dem Fluss laufen kann. Flutungsflächen indes geben dem Fluss Raum, die Pegel fallen.
"Die Elbe hat mehr als 80 Prozent ihrer natürlichen Überflutungsflächen und Auwälder verloren", sagt Georg Rast, WWF-Referent für Wasserbau. Nötig sei, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben. Doch diese Art des Hochwasserschutzes ist schwieriger durchsetzbar als Deichbauten: Landbesitzer müssen weichen. Der Bayerische Ministerpräsident Seehofer droht nun sogar Landwirten mit Enteignung, die sich dem Hochwasserschutz widersetzen.
Doch es gibt auch Fortschritte: In Lenzen an der Elbe etwa ist es gelungen, den Deich zurückzuverlagern; nun hat die Flut mehr Platz. In den nächsten Tagen wird man sehen, ob die Maßnahme wirkt.
Wie schnell kommt die Elbe-Flut voran?
Die Elbe fließt gewöhnlich in gemütlichem Fußgängertempo. Für die 500 Kilometer von Dresden bis zur Schleuse in Geesthacht vor den Toren Hamburgs benötigt das Wasser ungefähr sieben Tage. Entlang flacher Ufer mit viel Vegetation verlangsamt sich das Tempo. In begradigten Abschnitten nimmt der Fluss Fahrt auf.
Wie hoch steigen die Pegel an der Elbe?
Der Scheitel der Flut wird in Dresden mit 8,80 Meter für Donnerstag erwartet; flussaufwärts in Tschechien fällt der Wasserstand bereits leicht. 2002 erreichte die Elbe dort 9,40 Meter. Mit erheblichen Schäden muss auch diesmal gerechnet werden, der Scheitel des Hochwassers scheint besonders lang zu sein, so dass das Wasser wohl nur langsam abfließen wird.
In Dessau könnte bereits im Laufe des Tages ein neuer historischer Höchststand von mehr als 7,16 Meter erreicht werden. Der Scheitelpunkt wird hier jedoch erst am Samstag erwartet. Nach neuesten Berechnungen könnte das Wasser noch auf über 7,50 Meter steigen.
In Magdeburg wird möglicherweise in der Nacht zum Samstag der alte Wasserstandsrekord von 6,80 Metern gebrochen, bis Sonntag sind sogar 7,20 Meter nicht auszuschließen. Wittenberge erwartet einen neuen historischen Wasserstand von mehr als sieben Metern im Laufe des Sonntags.
Der Scheitel der Flut wird Schleswig-Holstein voraussichtlich Mitte nächster Woche erreichen. Nach Angaben der zuständigen Behörde in Magdeburg wird für nächsten Donnerstag in Lauenburg ein Pegelstand von 9,75 Meter erwartet. Dieser Wert liegt rund einen halben Meter über dem bisherigen Höchststand von 2011. Der Krisenstab des Kreises halte an der Anordnung fest, dass die Bewohner der Unterstadt am Freitag ihre Häuser verlassen müssen.
Die besonders gefährdete Ortschaft Hitzacker im Kreis Lüchow-Dannenberg muss mit 8,15 Metern gerechnet - die Wassermassen würden fast einen halben Meter höher stehen als jemals zuvor gemessen.
Halten die Deiche an der Elbe?
Das lang andauernde Hochwasser werde die Deiche in Niedersachsen stark beanspruchen; es bestehe die Gefahr, dass sie durchweichten, warnt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).
Vom Hubschrauber aus wollen Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) das Geschehen überwachen: Aus 300 Meter Höhe soll eine Wärmekamera die Temperatur der Deiche messen, um Durchfeuchtungen aufzuspüren, teilt die Behörde mit.
Einsatzkräfte und Freiwillige versuchen, die Elbdeiche zu sichern. Im Landkreis Lüneburg sollen die Deiche mit rund einer Million Sandsäcken auf 70 Kilometern Länge um 30 Zentimeter erhöht werden. Dort waren bereits 2500 Helfer im Einsatz, darunter auch 1200 Bundeswehrsoldaten.
In Lüchow-Dannenberg sah es ähnlich aus. "Bei uns sind rund 3800 Kräfte im Einsatz, Tendenz steigend", erklärte Jenny Raeder, Sprecherin der Hochwasser-Pressestelle des Landkreises. 660 Soldaten seien im Einsatz.
Im Süden werden Gewitter und Dauerregen erwartet - droht erneut Hochwasser?
Das ist möglich. Die Wetterdienste sagen ab Freitag Gewitter und Starkregen für die Mittelgebirge und Süddeutschland voraus. Am Montag sei gar im Süden wieder Dauerregen möglich, mahnt der Deutsche Wetterdienst.
Gerade im Einzugsgebiet der Elbe seien nächste Woche erhebliche Regenmengen möglich, berichtet der Wetterdienst Meteomedia. Da jedoch Dauer, Intensität und die Lage dieser Niederschlagsgebiete noch mit Unsicherheit behaftet seien, lassen sich die Auswirkungen auf die Flüsse noch nicht ganz absehen, erklärt das Institut für Wetter- und Klimakommunikation IWK.
Besonders in den derzeit von Hochwasser betroffenen Gebieten seien erneute, aber wohl meist lokale Überschwemmungen oder Pegelanstiege nicht auszuschließen, da der Boden in diesen Regionen meist kein Wasser mehr aufnehmen kann. "Blitzeinschläge stellen in überschwemmten Wohngebieten durch die hohe Leitfähigkeit des Wassers eine besonders hohe Gefahr dar", warnt das IWK.
Anmerkung des Autors: Der Deutsche Wetterdienst hat mittlerweile im Gegensatz zu zunächst anders lautenden Mitteilungen anderer Wetterdienste berichtet, dass es sich diesmal nicht um eine "Vb"-Wetterlage gehandelt habe, sondern um die ähnlich verlaufende Wetterlage "tm". Beide Wetterlage bringen viel Feuchtigkeit vom Mittelmeer.