Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid Was eine Klage für Deutschland bedeutet

Stau in Stuttgart
Foto: Getty Images/ BloombergAm 21. Mai 2008 traten in der Europäischen Union neue Vorschriften in Kraft, um die Bürger vor Luftschadstoffen zu schützen. Doch noch immer überschreiten Deutschland und andere EU-Staaten die einst gemeinsam vereinbarten Grenzwerte. Die EU-Kommission will deshalb nun vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Bundesrepublik einreichen. Zudem auch gegen Frankreich, Großbritannien, Italien, Ungarn und Rumänien.
Doch was steckt hinter dem juristischen Schritt und welche Folgen könnte er haben? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was sind Stickoxide?
Gasförmige Stickstoffoxide entstehen aus Nebenreaktionen bei Verbrennungsprozessen. Die Hauptquellen von Stickstoffoxiden sind Verbrennungsmotoren. Doch nicht nur. Auch Feuerungsanlagen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle setzen sie frei. In Ballungsgebieten ist der Straßenverkehr aber bedeutendste Quelle. Der Begriff Stickoxide steht als Sammelbegriff für verschiedene Verbindungen, etwa Stickstoffmonoxid oder Stickstoffdioxid.
Stickstoffdioxid ist ätzend, es schädigt das Schleimhautgewebe im gesamten Atemtrakt, reizt die Augen. In der Folge können Atemnot, Husten, Bronchitis und Lungenödeme auftreten, schreibt das Umweltbundesamt. Zudem steigen die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte sowie für eine Lungenfunktionsminderung. Studien haben gezeigt, dass bei hoher NO2-Belastung eine Zunahme der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie der Sterblichkeit in der Bevölkerung beobachtet werden kann.
Wieso erwägt Brüssel eine Klage?
Die Einhaltung eines Grenzwertes von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Luft ist zum Schutz der Gesundheit überall in der Europäischen Union Pflicht. In 66 deutschen Städten gelang dies aber auch 2017 nicht. Zwar hat sich die Luft überall schrittchenweise verbessert, doch sind etwa 20 deutsche Kommunen immer noch sehr weit von den Vorgaben entfernt, allen voran München, Stuttgart und Köln. Die EU-Kommission hat bereits 2015 ein Verfahren eingeleitet, weil Deutschland gegen EU-Recht verstößt. Solche Verfahren sind grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Die EU-Kommission, die europäisches Recht durchsetzen soll, leitet jährlich Hunderte davon ein. Wenn mehrfaches Ermahnen nicht hilft, ist eine Klage vor dem EuGH der übliche nächste Schritt.

Was hat Deutschland bisher unternommen?
Es wurden durchaus Maßnahmen ergriffen, um eine Klage abzuwenden. Doch sie wirken sich bisher noch nicht ausreichend aus, die Verbesserungen dauern extrem lange. Das liegt vor allem an zwei Punkten: In den zehn Jahren seit Inkrafttreten der Grenzwerte ist die Zahl der Dieselautos sehr stark gestiegen, weil sie weniger Kraftstoff verbrauchen und geringere Mengen CO2 ausstoßen.
Dafür verbrennen neue Motoren Diesel bei höheren Temperaturen mit einem Sauerstoffüberschuss. Das senkt den Verbrauch, führt aber zu einem erhöhten Ausstoß von Stickoxiden. Wegen unzulänglicher Tests und Manipulationen war der NOx-Ausstoß vieler Pkw aber deutlich höher als angegeben. Die Bundesregierung steuerte 2017 mit dem "Sofortprogramm für saubere Luft" nach.
Dieses zielt vor allem auf den öffentlichen Verkehr und fördert die Umstellung auf Elektrobusse und Nachrüstung von Dieselbussen zur Abgasminderung. Beim "Dieselgipfel" im August 2017 versprach die Autoindustrie zudem Softwareupdates für Dieselautos, die die Emissionen um 25 bis 30 Prozent drücken sollen.
Und warum reicht das der EU nicht?
Umweltkommissar Karmenu Vella lud Deutschland und acht weitere EU-Länder, denen ebenfalls Klagen drohen, im Januar zum Rapport. Dort hörte er sich die geplanten Gegenmaßnahmen an, kam aber zu dem Schluss, dass sie nicht reichen, um die EU-Standards in absehbarer Zeit einzuhalten. Er argumentiert mit der Gesundheit der Bürger: 400.000 Menschen stürben jährlich in der EU vorzeitig, weil die Luft zu schmutzig sei.

NO2-Ausstoß nach Fahrzeugen
Foto: Umweltbundesamt/TREMOD 5.64/HBEFA3.3Vella räumte eine Frist für Nachbesserungen ein, und die Bundesregierung kam mit weiteren Vorschlägen, darunter ein möglicher Modellversuch mit kostenlosem Nahverkehr. Eine kurzfristige Lösung ist aber auch das nicht. Zudem kommen die Softwareupdates für Dieselautos offenbar langsamer voran als gewünscht. Deshalb hatte Vella bereits vor einigen Wochen gesagt, er habe alle nachgereichten Vorschläge geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass er gegen einige Länder Klage einreichen werde.
Welche Folgen hätte eine Klage?
Keine unmittelbaren - eine Klage ist noch kein Urteil. Und ein Prozess könnte möglicherweise Jahre dauern. Verkehrsexperte Dietmar Oeliger vom Umweltverband Nabu sagt aber: "Die Klage wird vor allem den politischen Druck auf Deutschland beziehungsweise die Bundesregierung erhöhen." Sie müsste rasch Abhilfe schaffen, sollte das Gericht in Luxemburg zu der Auffassung kommen, dass Deutschland gegen EU-Recht verstoßen hat.
Wenn die EU-Kommission dann glaubt, dass Deutschland immer noch nicht genug tut, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Die letzte Konsequenz wären also Strafgelder, möglicherweise in Millionenhöhe - entweder als Pauschalbetrag oder in täglich zu zahlenden Sätzen. Polen war erst kürzlich vor dem EuGH unterlegen, weil es in einem Naturschutzgebiet Bäume gefällt hatte. In einer Vorentscheidung hatte das Gericht etwa ein Zwangsgeld von 100.000 Euro pro Tag angeordnet, sollte das Land die Abholzungen nicht einstellen.
Wie wahrscheinlich sind Fahrverbote?
Fahrverbote sind nach Darstellung von Experten eine von zwei Möglichkeiten, kurzfristig die Luft in stark belasteten Innenstädten sauberer zu bekommen. Die andere wäre die Nachrüstung von Dieselautos mit Anlagen zur Abgassäuberung. Damit könnte der Schadstoffausstoß um bis zu 88 Prozent gesenkt werden, die Autoindustrie und auch die Bundesregierung lehnen solche Nachrüstungen jedoch bisher ab.

Umweltschützer fordern, lieber die Autoindustrie in die Verantwortung zu nehmen als die Autobesitzer. "Die Regierung muss handeln, um sicherzustellen, dass alle Dieselfahrzeuge die Emissionsstandards einhalten", meint zum Beispiel der Verband Transport&Environment in Brüssel.
Wie geht es langfristig weiter?
Die EU-Kommission will mehr umweltfreundliche Fahrzeuge mit wenigen oder gar keinen Emissionen, was zwei Fliegen mit eine Klappe schlagen würde: Klimaschutz und eine Verringerung von Schadstoffen in den Städten. Ebenfalls am Donnerstag will die Brüsseler Behörde deshalb einen Aktionsplan für eine europäische Batterieproduktion vorstellen, denn Batterien sind Voraussetzung für den Vormarsch von Elektroautos.
Darüber hinaus plant die Kommission erstmals Kohlendioxid-Grenzwerte für neue Lastwagen, die in zwei Etappen bis 2025 und bis 2030 nach Medienberichten um 30 Prozent sinken sollen. Die CO2-Emissionen aus dem Schwerverkehr liegen nach Angaben der Kommission heute um 19 Prozent höher als 1990, und zwar ausschließlich, weil immer mehr Güter auf der Straße transportiert werden. Nun sollen sauberere Fahrzeuge den Trend umkehren.
Das ist zwar eine andere Baustelle als bodennahe Luftschadstoffe: CO2 wird als Klimagas vor allem für die Erderwärmung mitverantwortlich gemacht. Aber letztlich dient auch dies dem Ziel, den Straßenverkehr für Menschen und Umwelt erträglicher zu machen.