Hurrikan "Irene" Tausend-Kilometer-Wirbel bedroht Amerikas Küste
Hamburg - Das Monster lässt sich Zeit. Mit nur 22 Kilometern pro Stunde schiebt sich der Wirbelsturm "Irene" auf die Ostküste der USA zu. Erste Grüße hat er bereits an die Küsten geschickt: Meterhohe Wellen brandeten in North Carolina an die Strände; Regenwolken zogen auf. Doch das schlechte Wetter bietet nur einen harmlosen Vorgeschmack auf das, was Meteorologen am Samstag im Osten der USA erwarten: Ab dann werde der Hurrikan an der Küste entlang wirbeln - bis nach New York.
Allein der Megastadt drohen Schäden von mehr als 100 Milliarden Dollar; in niedrig gelegenen Stadtteilen wie Manhattan wurden bereits Krankenhäuser und Altenheime evakuiert. Gouverneur Andrew Cuomo will für den Katastrophenschutz die Armee mobilisieren, die U-Bahnen schließen und Brücken sperren. Anwohner niedrig gelegener Stadtteile werde vorgeschrieben, das Gebiet ab Samstag, 17 Uhr Ortszeit, zu verlassen - eine Viertelmillion Menschen ist betroffen.
Insgesamt seien mehr als 60 Millionen Menschen in Gefahr, warnt das Nationale Hurrikanzentrum der USA beim Wetterdienst NOAA; es drohten tagelange Stromausfälle. Bereits gegen Samstagmittag deutscher Zeit könnte das Zentrum des Sturmes die Küste von North Carolina erreichen. "Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor", sagt die Gouverneurin des Staates, Bev Perdue. Barack Obama fürchtet einen "extrem gefährlichen, teuren, historischen Hurrikan". Der US-Präsident will seinen Urlaubsort, die Atlantikinsel Matha's Vineyard vor der Küste Neuenglands, früher verlassen als geplant.
Auf 1000 Kilometer ist "Irenes" Wolkenwirbel angewachsen, er ist damit groß genug, um ein Drittel der US-Ostküste zu bedecken. Im Innern des Sturms herrschen infernalische Zustände: Die Luft stürmt nahe seines Auges mit 175 Kilometern pro Stunde; der Hurrikan hat damit die Stufe zwei bis drei auf der fünfstufigen Skala. Sein Luftdruck im Zentrum jedoch ist mittlerweile auf nur noch 945 Millibar gesunken - ein Zeichen dafür, dass der Sturm weiter auffrischen könnte. Einen solch niedrigen Wert erreichen eigentlich nur Hurrikane der Stärke vier. Und je niedriger der Luftdruck im Auge des Wirbels, desto energischer wird Luft angesogen - der Sturm wird stärker.

Gefahr über dem Atlantik: Das Innere des Monstersturms
Sturz aus drei Kilometern
Sechs mutige Piloten, sogenannte Hurrikanjäger, haben ihre Flugzeuge im Auftrag der Wetterdienste in den vergangenen Tagen in den Koloss gestürzt, um die Gefahr zu messen, die von dem Sturm ausgeht. Ihr Auftrag: Daten sammeln für die Hurrikanprognose. Die Flugzeuge schossen jeweils in etwa 3000 Meter Höhe einmal quer durch den Hurrikan, flogen dann eine Viertelumdrehung am Rand des Wolkenwirbels, wobei sie sich auf einen Kilometer Höhe fallen ließen. Dann stießen sie geradewegs zum Auge des Sturms vor.
Von Bord aus werden Radarwellen ins Unwetter geschickt. Sie werden umso stärker reflektiert, je mehr es regnet. Die Regenmenge dient als Maß für die Energie des Sturms. Ein Dopplerradar misst zudem die Windgeschwindigkeit im Hurrikan. Zudem lassen die Hurrikanjäger Sonden ab, die während ihres von Fallschirmen gebremsten Sturzes Temperatur, Druck, Wind und Feuchte messen - bevor sie ins Meer fallen.
Wichtigstes Instrument für die Vorhersage sind aber Satellitenbilder. Der Nasa-Satellit "Aqua" sendete am Freitag furchterregende Bilder aus dem All (siehe Fotostrecke): Dutzende mächtige Gewitterzellen kreisen um das Auge des Sturms. Auf dem Wolkendach des Sturms herrschen minus 52 Grad. Der extreme Temperaturunterschied zum tropischen Meer sorgt für die Energie des Sturms. Warme Luft steigt auf, kühlt ab und bildet Wolken.
Die Daten haben die Hurrikanprognosen erheblich verbessert. Die wichtigste Frage der Meteorologen lautet: Welche Richtung nimmt der Hurrikan? Die meisten der Wirbel bleiben in tropischen Gefilden im Golf von Mexiko oder der Karibik. "Irene" jedoch ist ein Ausreißer, sie zieht nach Norden - vor allem aus zwei Gründen: Im Westen stellte sich eine Wetterfront entgegen, so dass der Hurrikan abgelenkt wurde und nach Norden zog. Außerdem ist der Atlantik bis fast vor New York derzeit mehr als 27 Grad warm, wie Satellitendaten zeigen - ab 26,5 Grad gibt es genug Energie für die Entstehung von Hurrikanen.
New Yorks Alptraum
Mit den Daten haben die Meteorologen ihre Vorhersageprogramme gefüttert, die wiederum Dutzende mögliche Pfade für "Irene" ausgespuckt haben. Die berechneten Wege des Hurrikans weichen zwar bis zu 150 Kilometer voneinander ab - sie zeigen aber alle nach Norden (siehe Grafik). Trotz aller Prognosen, weiß aber niemand genau, mit welcher Stärke "Irene" weiter toben wird. Laut "New York Times" könnte jedoch bereits Hurrikan-Stärke zwei ausreichen, um in New York Schäden von rund 100 Milliarden Dollar zu verursachen. Sollte der Sturm mit derzeitiger Stärke 80 Kilometer an der Stadt vorbeiziehen, entstünden der Zeitung zufolge allein in New York Schäden von 25 Milliarden Dollar. Zwischen den Wolkenkratzern würde der Wind noch beschleunigen, Scheiben könnten herausgerissen werden.
Unwetterexperten warnten im Fernsehsender CNN, dass allein in der Stadt New York bis zu 700.000 Einwohner wochenlang ohne Strom sein könnten. Erwartet wurde auch der Ausfall von Internet- und Handyverbindungen. Die US-Heimatschutzministerin Janet Napolitano ermahnte alle Bürger in den östlichen Küstenstaaten, sich auf eine Flucht vor dem Hurrikan vorzubereiten und den Anordnungen von Polizei und Behörden zu folgen. Von Philadelphia bis Boston könnten Regenfluten Straßen und Häuser überschwemmen. Menschen wurden aufgefordert, U-Bahnen zu meiden.
Dass "Irene" aber so stark wird wie ihr Vorgänger von 1938, als New York seine bislang schwerste Hurrikan-Katastrophe erlebt, ist der NOAA zufolge unwahrscheinlich. Damals wütete ein Sturm mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde in der Stadt - 600 Einwohner starben. Bevor nun allerdings "Irene" New York erreicht, zieht sie über die südlicher gelegenen Großstädte an der Ostküste. Dort dürfte der Hurrikan seine größte Kraft entfalten.