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Verbundene Flüsse: Mega-Wasserprojekt in Indien

Foto: AHMAD MASOOD/ REUTERS

Mammutplan Indien will 37 Flüsse verbinden

Wasserprojekt der Superlative: Indien möchte 37 Flüsse landesweit miteinander verbinden, um Überschwemmungen, Dürren und Stromknappheit zu verhindern. Doch Umweltschützer wollen den Kanalbau unbedingt verhindern.

"Gebt unseren Bauern Wasser und seht, welche Wunder sie vollbringen können", sagt Narendra Modi. Um die Wirtschaft auf dem Subkontinent anzukurbeln, unterstützt Indiens Ministerpräsident ein gewaltiges Wasserbauvorhaben - das sogenannte River-Linking-Projekt.

Der Plan ist ambitioniert: Kanäle sollen Wasser aus Überschwemmungsgebieten in von Dürre geplagte Regionen leiten, sodass in beiden Landstrichen die landwirtschaftliche Produktivität erhöht werden kann. Gleichzeitig sollen Dämme und Wasserkraftwerke große Mengen des in Indien händeringend benötigten Stroms produzieren.

Fast 15.000 Kilometer neue Wasserstraßen sollen gebaut werden - siehe Karte unten. Deutlich länger als das gesamte deutsche Autobahnnetz. 3000 teils riesige Staudämme und 30 Kanäle sind vorgesehen. 175 Billionen Liter Wasser könnten so laut der zuständigen Behörde für Wasserentwicklung (NWDA) pro Jahr umgeleitet werden - das entspricht der vierfachen Wassermenge des Bodensees. An den Staudämmen, die für das Projekt gebaut werden sollen, könnten laut Plan 34 Gigawatt Strom produziert werden. Die Gesamtkosten werden mit mehr als 150 Milliarden Euro veranschlagt.

Geplantes Wasserprojekt: 15.000 Kilometer neue Verbindungen

Geplantes Wasserprojekt: 15.000 Kilometer neue Verbindungen

Foto: SPIEGEL ONLINE

Doch das Mammutprojekt stößt auf immer mehr Widerstand. Etwa bei Himanshu Thakkar, einem Ingenieur vom Südasiatischen Netzwerk für Dämme, Flüsse und Menschen (SANDRP). Wenn man ihn nach seiner Meinung zum größten Wasserbauprojekt in der Geschichte Indiens fragt, wird selbst ein so besonnener, akribischer Mensch wie er deutlich. "Das ganze Vorhaben gehört verboten", sagt Thakkar.

Wenn Indien allen Ernstes 37 seiner Flüsse miteinander verbinden wolle, müssten "Hunderte riesiger Dämme gebaut werden", so Thakkar. "Die Schäden für die Umwelt und die Bevölkerung wären wesentlich größer als beim Drei-Schluchten-Staudamm in China. Es wäre ein gigantisches Disaster." Der Stausee des Drei-Schluchten-Damms ist mehr als 600 Kilometer lang, Millionen Menschen wurden zwangsweise umgesiedelt.

Eigentlich stand der erste Spatenstich zu Indiens kühnstem Bauvorhaben unmittelbar bevor. Ende Dezember sollte mit dem Bau eines ersten 220 Kilometer langen Kanals begonnen werden, mit dem im Bundesstaat Madhya Pradesh zwei Flüsse, der Ken und der Betwa, verbunden werden sollten. Doch der bevorstehende Baubeginn rief Umweltschützer und Aktivisten auf den Plan. Sie überzogen die zuständigen Gerichte mit Petitionen, das Projekt liegt vorerst auf Eis.

Kritiker kreiden der Unternehmung River-Linking eine ganze Reihe von Schwächen an:

  • Durch die geplanten Stauseen würden bis zu 500.000 Menschen vertrieben, warnen Aktivisten. Besonders indigene Völker, die in und von den Urwäldern Indiens lebten, seien bedroht, sagt Sushmita Sengupta vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu-Delhi. "Die Regierung hat zwar angekündigt, die Stämme umsiedeln zu wollen, aber das hat in Indien noch nie Erfolg gehabt." Thakkar warnt, dass allein 10 Millionen Inder von der Flussfischerei und der Flussschifffahrt lebten. "Ihre Lebenswelt würde zerstört."
  • Indiens Flora und Fauna könne nicht absehbaren Schaden nehmen, warnen Tierschützer. Das derzeit gestoppte Projekt beispielsweise gefährdet die Tiger im Panna-Nationalpark. Tausende andere Arten seien ebenfalls gefährdet, wenn die Flussverbindungen gebaut würden.
  • Es sei jetzt schon klar, dass das Projekt im Sumpf der indischen Politik versinken werde, sagt Sengupta. "Wasserpolitik ist Sache der Bundesstaaten. Doch der Plan sieht vor, Wasser über Bundesstaatsgrenzen hinweg umzuverteilen - das wird zu endlosem Streit führen", so die Ökologin.
  • Das Vorhaben sei ein Prestigeprojekt für die Regierung Modi, sagt Thakkar. Dabei entspreche das umstrittene Projekt schon längst nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. "Es gab eine Zeit, als Dämme als die Tempel des modernen Indiens gefeiert wurden", sagt der Ingenieur. Die Idee, Wasser aus Überflussgebieten in Mangelgebiete umzuleiten und dadurch die Wasserknappheit zu bekämpfen, zeuge heute von ökologischer Ignoranz. Indien lebe gar nicht von Fluss- sondern von Grundwasser. Etwa zwei Drittel der Landwirtschaft werde mit Grundwasser betrieben, es gelte daher, die Grundwasserreserven aufzufüllen statt Flüsse umzuleiten. "Kleine Projekte, dezentralisierte Ansätze" empfiehlt der Thakkar.
  • River-Linking werde von einer Lobby vorangetrieben, die damit viel Geld zu verdienen gedenke, sagt Rajendra Singh. "Es ist ein Plan, der die Nation spalten wird, von dem nicht der kleine Mann sondern allein Großunternehmen profitieren werden", so der Experte für Regenwassernutzung. Singh wurde 2015 mit dem prestigereichen Stockholm Water Preis - dem sogenannten Nobelpreis für Wasser - ausgezeichnet.

Doch trotz der Einwände der Experten macht die Regierung Druck, das auf Jahrzehnte angelegte Projekt in Angriff zu nehmen. Den Kritikern bleibt der Gang vor den Kadi, und auf den ist in Indien in einer Hinsicht Verlass: Klagen und Prozesse gehen nur im Schneckentempo voran. "Wir werden River-Linking im Gerichtssaal ausbremsen", sagt Thakkar.

Zusammengefasst: Ein gigantisches Wasserbauprojekt soll mehrere der großen Probleme Indiens auf einen Schlag lösen. Die Regierung verspricht Strom, weniger Überschwemmungen und bessere Ernten. Doch Umweltschützer kritisieren die Kanalpläne. Sie warnen vor Zwangsumsiedlungen, Umweltzerstörung und Großunternehmern, die nur ans eigene Geschäft denken.

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