Von der Flanke eines Berges in Indien stürzen Millionen Tonnen Gestein und Eis zwei Kilometer weit in die Tiefe. Am Grund eines Tals entfesseln sie eine zerstörerische Kraft.
Die zerstörte Baustelle des Tapovan Vishnugad Hydroelectric Power Plant
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Dan Shugar, University of Calgary / Planet Labs
Über Monate sind die Risse größer und größer geworden, ohne dass jemand etwas bemerkt hat. Dann, am Morgen des 7. Februar, gerät am 6309 Meter hohen Nanda Ghunti, einem Gipfel im zu Indien gehörenden Teil des westlichen Himalajas, eine riesige Masse aus Gestein und Eis ins Rutschen. Ihre Dimensionen sind gedanklich nur schwer zu fassen: etwa einen halben Kilometer ist das Paket an seiner Oberseite breit, es ist Millionen von Tonnen schwer.
Aus 5600 Metern stürzen die Massen bis auf eine Höhe von 3800 Metern mehr oder weniger senkrecht nach unten. Auf ihren fast zwei Kilometern im freien Fall werden sie immer weiter beschleunigt. Am Boden treffen sie mit infernalischer Wucht auf eine Moränenlandschaft, die auch von früheren Erdrutschen geformt wurde. Von dort aus lassen sie eine Lawine aus Gestein, Wasser und Eis talwärts schießen. Siedlungen im Tal wie das Dorf Raini werden zerstört.
An der talwärtsgelegenen Baustelle des Tapovan Vishnugad Hydroelectric Power Plant bekommt man zunächst noch nichts von den dramatischen Ereignissen mit. Hier soll am Fluss Dhauliganga ein 520-Megawatt-Wasserkraftwerk entstehen. Die Bauarbeiten dafür laufen bereits seit 2006, doch es geht nur schleppend voran. Schuld sind unter anderem mehrere Grundwassereinbrüche. So verzögerte sich das Bohren der kilometerlangen Tunnel immer wieder. Doch auch an diesem Sonntag wird gearbeitet – und die Tunnel werden zur tödlichen Falle für Mitglieder der Baumannschaft.
Gletscher im Himalaja schrumpfen seit Jahren
Videoaufnahmen zeigen den dramatischen Moment, als eine massive Welle nach dem Erdrutsch die Baustelle erreicht und dort alles verwüstet. Ein Satellit des privaten Erdbeobachtungsunternehmens »Planet« hat die Zerstörungen an der Anlage außerdem aus dem All dokumentiert. Zwei Brücken hat die Flut komplett weggewaschen, Betonstrukturen des Sperrdamms schwer beschädigt. Ob und wie es bei dem Projekt weitergeht, ist unklar.
Durch den schweren Erdrutsch kamen insgesamt rund 30 Menschen ums Leben, etwa 200 werden vermisst. Bei einem Teil von ihnen handelt es sich um Arbeiter von der Baustelle des Wasserkraftwerks, die in den Tunneln eingeschlossen wurden.
Inwieweit die Katastrophe eine direkte Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels ist, muss noch untersucht werden. Als gesichert gilt aber, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen dem Rückzug von Gletschern und der Zunahme an Erdrutschflächen gibt. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Gerölllawinen. Die Gletscher im Himalaja schrumpfen seit Jahren, durchschnittlich verlieren sie acht Milliarden Tonnen Eis pro Jahr.
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