
Insektengift DDT: Zwei Gesichter
Insektengift DDT Wie die Malaria-Wunderwaffe Bauern in die Armut treibt
Selestino Obeng, 54, war ein stolzer Mann. Er produzierte für Europa. Für die Verbraucher im reichen Norden von Uganda pflanzte er Baumwolle, Sesam und scharfe Chilli-Schoten an. Alles in kontrolliert ökologischem Anbau. Der Bio-Boom der westlichen Welt bescherte Obeng und vielen seiner Kollegen ein sicheres Einkommen.
Ein verlässlicher Abnehmer ihrer Ernten war das Bio-Unternehmen "Shares!". Als eine der ersten Firmen hatten die Niederländer das Exportpotential der Ökoprodukte aus Ostafrika entdeckt und vermarktet. "Wir haben 1994 mit 200 Farmern angefangen", sagt Alex Fokkens, Einkaufsleiter von "Shares!". Bis Anfang 2008 war die Zahl auf rund 27.000 Kleinbauern geklettert.
Zu Beginn war es kein Geschäftskalkül, was Farmer wie Obeng zum Öko-Bauern werden ließ - sondern eher bittere Armut. Jahrzehntelang war der Norden Ugandas Aufmarschgebiet von Rebellengruppen, die Infrastruktur ist bis heute unterentwickelt. Bauern konnten sich schlicht keine Pestizide und Unkrautvertilger leisten. Also wurde die Not zur Tugend: Weil die Verwendung giftiger Chemikalien in der Bio-Landwirtschaft verboten ist, kamen Obeng und seine Kollegen für Unternehmen wie "Shares!" wie gerufen. Um sicher zu gehen, begannen Kontrolleure aus Europa und Prüfer aus der Hauptstadt Kampala die Höfe zu zertifizieren.
Die Kuh und die Ziegen musste er verkaufen
Mittlerweile ist Selestino Obeng kein Bio-Bauer mehr. Er ist ein armer Mann. Der Export seiner Ernten nach Europa ist Vergangenheit, der Vertrag mit "Shares!" gekündigt. Seine Kuh und die acht Ziegen sind verkauft, nur sein Fahrrad besitzt er noch. Heute hat er es schwer, seinen Sesam und sein Chili auf dem Weltmarkt loszuwerden. Häufig muss er seine Ernte unter Marktpreis verkaufen. "Früher hatte ich sichere Abnehmer", sagt er. "Das ist vorbei." Stattdessen muss er nebenbei als Nachtwächter arbeiten, um seine sechs Kinder zu unterstützen.
Die reichen Länder sorgten für seinen Aufschwung - die reichen Länder haben ihn auch wieder zurück in die Armut gestoßen. Der Grund: Vor drei Jahren begann die Regierung, die zuvor die Farmer zertifiziert hatte, das Insektizid DDT flächendeckend in den Hütten von Norduganda auszusprühen. Sie wollte damit endlich die Malaria unter Kontrolle bekommen, die in Uganda noch immer täglich fast 300 Opfer fordert, häufig Kleinkinder und Schwangere. Überträger der Malaria ist die Anophelesmücke, die auf DDT hochempfindlich reagiert. Setzt sich eine Mücke auf eine behandelte Wand, stirbt sie sofort. Also begannen staatliche Einsatzkommandos, Tausende Dörfer im Norden des Landes umfassend zu besprühen.
Vergebens sendeten Firmen wie "Shares!" Protestnoten nach Kampala, die Gifteinsätze gingen weiter. Allein "Shares!" kündigte daraufhin die Lieferverträge mit 16.000 Kleinbauern auf. "Wir konnten das nicht riskieren", sagt Einkaufsleiter Fokkens. "Stellen Sie sich vor, wir schiffen tonnenweise Produkte auf den europäischen Markt - und dann finden sich darin DDT-Rückstände." Niemand würde mehr Ware aus Uganda kaufen; zudem wäre die Reputation von "Shares!" zerstört.
DDT an den Lehmwänden
Ganz unberechtigt ist Fokkens Furcht nicht: Tatsächlich lagern viele Bauern die Ernte im eigenen Haus. DDT-kontaminierter Lehm kann sich leicht von den Wänden lösen und bröselt in die Baumwoll- oder Sesamsäcke.
In Europa ist DDT längst verboten. 2004 wurde die Stockholmer Konvention verabschiedet, die die Produktion und Weiterverarbeitung von DDT eigentlich untersagt - es sei denn zur Bekämpfung von Krankheitsüberträgern wie etwa bei der Malaria. Länder wie Swasiland, Sansibar oder auch Uganda erzielten so Erfolge im Kampf gegen die Krankheit. 2006 empfahl selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO noch den DDT-Einsatz gegen die Anophelesmücke.
Inzwischen haben Gesundheitsexperten weltweit Zweifel an dieser Entscheidung. Sogar eine Untersuchung der WHO vom Frühjahr kommt zu dem Schluss: In manchen mit DDT besprühten Häusern ist die Belastung "mehr als besorgniserregend hoch". Ungeborene Babys seien einem messbar höheren Risiko von Missbildungen ausgesetzt als normal. Zuvor war lediglich bekannt, dass sich DDT im Fettgewebe und in der Muttermilch anreichert.
Auch Obeng schwante nichts Gutes, als eines Tages ein Trupp Männer in Overalls und Schutzmasken den Hof betrat. "Ich musste alles ausräumen und durfte zwei Stunden lang nicht hinein", erzählt er. Der Trupp räucherte seine Hütte mit DDT aus. Obeng wusste nicht, was das ist. Als er Zweifel anmeldete, reagierten die Sprüher mit Drohungen: "Sie sagten mir, ich würde verhaftet, wenn ich mich weigerte."
Mücken entwickeln Resistenzen gegen DDT
Ähnlich erging es den übrigen Farmern der Genossenschaft. Kein Wunder, es war viel Geld im Spiel: Initiiert hatte die Sprühaktion das staatliche amerikanische Hilfswerk USAID. Rund zehn Millionen Dollar hatten die Amerikaner für den DDT-Einsatz in Uganda bereit gestellt.
Nichtregierungsorganisationen wehrten sich und verklagten die ugandische Regierung. Und sie hatten Erfolg. Nicht zuletzt weil die Anophelesmücke Resistenzen gegen den DDT-Nebel entwickelt hat. Seither kommen andere Chemikalien zum Einsatz, die allerdings weniger effizient sind. DDT wird nun in Uganda nicht mehr gesprayt - vorerst jedenfalls.
Die Hersteller arbeiten daran, das Urteil zu entschärfen. "Wenn möglich, wollen wir DDT wieder einsetzen", sagt Richard Ocan Onen vom amerikanischen Chemiekonzern Abt Associates. Das Gift habe entscheidende Vorteile: Es sei billig und hafte bis zu neun Monaten an den Wänden. "Wo ist das Problem?" fragt Onen. "Wachen die Menschen nicht jeden Morgen lebend auf?" Auch Ugandas Gesundheitsministerium will am DDT festhalten. Ihr Argument: In den Regionen, in denen DDT gesprüht wurde, sei die Malaria um 40 Prozent zurückgegangen.
Dass es auch anders gehen könnte, nämlich ohne gefährliche Gifte, versucht die Schweizer Stiftung "Biovision" in Kenia zu beweisen: Sie bildet "Moskitospäher" aus. Rund 250 solcher Kundschafter aus der lokalen Bevölkerung suchen nach den Brutstätten der Anophelesmücke wie Pfützen, Schlaglöchern oder achtlos weggeworfene Plastiktüten. Dann versuchen sie diese trockenzulegen oder streuen Granulat mit Bakterien ein, die die Larven der Mücken vertilgen. Auch leerstehende Swimmingpools haben sie im Visier.
Obendrein werden Moskitonetze an besonders gefährdete Gruppen verteilt. "Die Menschen müssen wissen, woher Malaria kommt", sagt Charles Mbogo vom Internationalen Tropeninstitut Icipe in Nairobi. "Deshalb zeigen wir ihnen, wie sie sich aus eigener Kraft gegen die Mücke wehren können."
Farmer Selestino Obeng versteht die Welt nicht mehr: "Die Malaria ist doch immer noch da. Es hat sich nichts geändert." Der beste Schutz gegen die Mücke seien ohnehin Moskitonetze, sagt er. Ein einziges Mal, nämlich 2008, wurden in seiner Region die Häuser mit DDT eingesprüht. Es war genug, um seine Existenz für immer zu zerstören. Denn eine Rückkehr zum Bio-Anbau wird es für ihn nun nicht mehr geben: DDT braucht bis zu 15 Jahre, ehe es aus der Nahrungskette verschwunden ist.