21 Millionen Bäume betroffen Wie ein Bakterium Süditaliens Olivenhaine dahinrafft

Xylella fastidiosa tötet massenhaft Olivenbäume in der Region Apulien. Der Schaden durch das Bakterium wird bereits auf 1,2 Milliarden Euro beziffert. Nun machen Verschwörungstheorien die Runde.
Befallener Olivenbaum in Apulien: "Eine infizierte Pflanze kann man nicht kurieren"

Befallener Olivenbaum in Apulien: "Eine infizierte Pflanze kann man nicht kurieren"

Foto: CHARLES ONIANS/ AFP

Die ersten verdorrten Blätter entdeckte Giovanni Malcarne ganz hoch oben in den Wipfeln seiner Bäume. Langsam und erst kaum merklich wandelte sich die Farbe der Baumkronen Stück für Stück bis hinunter zum Stamm, von grün zu braun. Durch Austrocknung starben seine Bäume schließlich ab. So schildert der apulische Olivenbauer und Agronom seine Erfahrungen mit einem extrem aggressiven Bakterium, das seit einiger Zeit Süditaliens Olivenbäume heimsucht - und offenbar nicht zu stoppen ist.

Xylella fastidiosa heißt das Bakterium, das sich durch Malcarnes 50 Hektar großen Olivenhain gefressen und seine 3.500 Bäume zerstört hat. Wie Malcarnes Pflanzen erging es Millionen weiterer Olivenbäume im Salento, der apulischen Halbinsel, die auf der Landkarte Italiens Hacke bildet. 21 Millionen Bäume, so der Bauernverband Coldiretti, soll das Bakterium nach Schätzungen in der Region befallen haben.

Die Xylella fastidiosa nistet sich im Xylem, dem Leitgewebe des Stamms, der Blattstiele und Blätter seiner Wirtspflanze ein. Dort bildet sie einen Biofilm, der den Fluss von Wasser und Nährstoffen durch die Leitungsbahnen behindert. Es gilt als eines der gefährlichsten, Pflanzen befallenden Bakterien weltweit. Gefährlich vor allem wegen der großen wirtschaftlichen Schäden, die es anrichten kann.

Das Bakterium greift auch Weinreben und Zitrusfrüchte an

Denn neben Waldgewächsen und Zierpflanzen sucht Xylella auch etliche zur menschlichen Ernährung angebaute Kulturpflanzen heim: Olivenbäume, Zitrusfrüchte, Weinreben, Pfirsich-, Kirsch- und Mandelbäume, Rosmarin und Kaffeepflanzen. Wissenschaftler der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben 563 Pflanzenarten ausgemacht, die der Xylella fastidiosa als Wirtspflanze dienen können.

Von Xylella befallene Bäume Nahe Gallipoli, Apulien im Juni 2019: "Wir produzieren heute 80 Prozent weniger Öl als noch vor fünf Jahren"

Von Xylella befallene Bäume Nahe Gallipoli, Apulien im Juni 2019: "Wir produzieren heute 80 Prozent weniger Öl als noch vor fünf Jahren"

Foto: CHARLES ONIANS/ AFP

Die Unterart, Xylella fastidiosa pauca, die seit inzwischen sechs Jahren im Salento wütet, war nur auf dem amerikanischen Kontinent bekannt, bevor sie im Oktober 2013 in Gallipoli bei Lecce entdeckt wurde. Da der dort festgestellte Stamm (Xylella fastidosa pauca ST53) in Costa Rica heimisch ist, wird vermutet, dass das Bakterium aus Zentralamerika stammt und über den Rotterdamer Hafen mit einer Lieferung Oleander nach Apulien gelangt ist.

Die italienische Regierung habe nur schleppend reagiert, klagt ein Betroffener

"Die europäischen Einfuhrkontrollen haben versagt," sagt Malcarne. Aber vor allem ärgert es ihn, dass die italienische Regierung und die apulische Regionalverwaltung erst spät reagiert haben sollen. Anderthalb Jahre hätten die Behörden gewartet, bis sie befallene Bäume roden ließen. In der Zeit konnte das Bakterium alle Olivenbäume in seinem Umfeld anstecken - und sich immer weiter ausbreiten.

Für die Übertragung von einem zum anderen der knorrigen, teils uralten Olivenbäume des Salento sorgte der Philaneus Spumarius (auf Deutsch: Wiesenschaumzikade), allem Anschein nach der hauptsächliche Krankheitsüberträger von Xylella in Apulien.

Inzwischen hat sich die Seuche weit Richtung Norden ausgebreitet, hat auf die Provinzen von Lecce, Tarent und Brindisi übergegriffen und ist bis vor Bari gelangt. Laut EFSA-Experten und Forschern des Nationalen italienischen Forschungsrats CNR kann man die Xylella durchaus eindämmen - wenn man konsequent eingreift.

Dazu müssten alle infizierten Pflanzen abgeholzt, die Überträger mit chemischen Mitteln zurückdrängt und die Bäume im Gebiet nahe der befallenen Zone permanent überwacht werden. Denn heilen lassen sich die Bäume nicht. "Es gibt zwar Methoden, die Symptome der Krankheit zu mildern, die Xylella auslöst," sagt Andrea Maiorano, Xylella-Experte der EFSA. "Aber eine infizierte Pflanze kann man von Xylella nicht kurieren."

2015 hat die EU-Kommission Maßnahmen angeordnet, um die Ausbreitung des Bakteriums zu stoppen. Eine Befallzone und eine Pufferzone wurden eingerichtet. Im Eindämmungsbereich sollen alle xylella-kranken Pflanzen - nicht nur Oliven - sondern auch Mandelbäume, Oleander und Rosmarin - gerodet werden. Die Pufferzone muss hingegen komplett xylellafrei gehalten werden und mindestens 10 Kilometer Abstand zum Infektionsherd halten. Wird dort die Infektion an einer Pflanze diagnostiziert, müssen neben der infizierten alle Pflanzen im Umkreis von 100 Metern gerodet werden.

Der Bauernverband beziffert die Schäden auf 1,2 Milliarden Euro

Die Demarkationslinie zwischen Befall- und Pufferzone wurde in Apulien schon mehrmals verrückt. Inzwischen umfasst die Befallzone eine 7.000 Quadratkilometer große Fläche: 40 Prozent der gesamten Region. Der finanzielle Schaden ist enorm, der Bauernverband beziffert ihn auf 1,2 Milliarden Euro. Wegen der Xylella-Seuche sei Italiens Olivenölproduktion in der aktuellen Saison um 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken sein, so Coldiretti.

Doch sind die drastischen Maßnahmen der EU in Apulien auf Widerstand gestoßen. Die alten Bäume haben Jahrhunderte überstanden, nun sollte sie ein ominöses Bakterium töten? Dass zur Eindämmung der Seuche auch gesunde Bäume abgeholzt wurden, brachte Naturschützer und manche Bauern auf die Barrikaden. Klagen wurden eingereicht, die die Rodungen vorläufig stoppten.

Ein Öko-Bauer wollte einen kranken Baum gar mit natürlichen Mitteln geheilt haben - für ihn ein Beweis, dass kein amerikanisches Bakterium das Sterben der Bäume verursacht haben könne - Xylella fastidiosa sei eine Erfindung von Bodenspekulanten, Lobbyisten, EU-Bürokaten und willfährigen Wissenschaftlern, heißt es.

Haben Letztere nicht etwa Geld von der EU erhalten, um Xylella-Forschung zu betreiben? "Wegen solcher Verschwörungstheorien sind notwendige Maßnahmen auf die lange Bank geschoben worden," empört sich Giovanni Malcarne. Die Xylella hat sein Unternehmen schwer getroffen: Dessen Umsatz ist von einigen Millionen auf eine halbe Million abgesackt. "Wir produzieren heute 80 Prozent weniger Öl als noch vor fünf Jahren", sagt er.

Indes fördert die EU-Kommission seit dem Ausbruch der Seuche diverse Untersuchungsprogramme, um Wirtspflanzen, Krankheitüberträger und Verbreitungswege der Xylella zu erforschen und Methoden zu entwickeln, um das Bakterium endlich wirkungsvoll zu bekämpfen. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr.

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