Jane Goodall im Interview "Von den Schimpansen lernen, dass wir Tiere sind"

Sie heißt Jane, und als sie 13 Jahre alt war, wollte sie Tarzans Freundin werden. Mit 23 reiste sie nach Afrika und wurde schließlich die berühmteste Schimpansenforscherin. Ein Interview.
Von Dominik Baur

Jahrzehnte verbrachte Jane Goodall mit Schimpansen im Busch. Kein anderer Forschername wird mit den nächsten Verwandten des Menschen so eng in Verbindung gebracht wie der ihre. Anfangs von der Wissenschaft mit großer Skepsis beäugt, wurde die Britin im Laufe der Jahre zur renommiertesten Primatenforscherin und mit Preisen und Ehrungen überhäuft. SPIEGEL ONLINE traf die 67-Jährige in London.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eigentlich noch Überblick darüber, wie viele Ehrendoktorwürden Ihnen bereits verliehen wurden?

Goodall: Nicht wirklich. Ich denke, es müssten so zehn Stück sein.

SPIEGEL ONLINE: Als Sie 1960 nach Gombe in Tanganjika, das heutige Tansania, auszogen, um Schimpansen zu studieren, war Ihr Ansehen bei den Universitäten jedoch noch nicht ganz so groß.

Goodall: Das stimmt. Die Verhaltensforscher waren natürlich wenig glücklich, als da dieses junge unausgebildete Mädchen aus England kam und ihnen etwas über Schimpansen erzählen wollte. Als ich dann auf Wunsch des Anthropologen Louis Leakey, für den ich die Schimpansen in Gombe beobachtete, nach Cambridge gegangen bin, um meinen Doktor zu machen, waren meine Professoren absolut entsetzt, weil ich den Schimpansen Namen gegeben hatte. Außerdem habe ich von ihrem Verstand, ihren Gefühlen und ihren Persönlichkeiten gesprochen. So etwas galt damals als absolut unwissenschaftlich. Zu der Zeit ging man noch davon aus, dass nur der Mensch Intelligenz und Gefühle besitzt.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie bereits eine akademische Vorbildung gehabt hätten, als Sie zum ersten Mal nach Gombe kamen, glauben Sie, dass Sie anders auf die Schimpansen zugegangen wären?

Goodall: Wahrscheinlich. Ich wäre wohl sehr beeindruckt von den Wissenschaftlern der Universität gewesen. Natürlich kann ich mir nicht vorstellen, dass ich als völlig andere Person nach Gombe gekommen wäre, aber wer weiß? Ich wollte eigentlich gar nicht nach Cambridge, ich habe das nur für Louis getan. Ich wollte nur draußen im Wald sein, von den Schimpansen lernen und mit anderen Menschen teilen, was ich gelernt habe - die Wissenschaft aus staubigen alten Büchern holen und zu möglichst vielen Leuten bringen.

SPIEGEL ONLINE: Sie waren damals Louis Leakeys Sekretärin. Wie kam es dazu, dass er ausgerechnet Sie nach Gombe schickte?

Goodall: Ich hatte das Glück, dass Louis ganz bewusst jemanden wollte, der nicht studiert hatte, der nicht zu den Schimpansen ging, um eine Abschlussarbeit über sie zu schreiben, sondern um etwas über die Tiere zu lernen, und der unvoreingenommen war.

SPIEGEL ONLINE: Wer war Ihr erster Lehrer?

Goodall: Ich hatte schon während meiner Kindheit einen wundervollen Lehrer: meinen Hund Rusty. Er war mein bester Kamerad in meiner Kindheit. Er war intelligent und konnte selbst Probleme lösen. Ich wusste genau, dass er Gefühle hatte. Er konnte sehr traurig, glücklich, wütend und beschämt sein. Manchmal schmollte er auch richtig. Deshalb habe ich gewusst, dass das, was diese Professoren erzählten, Müll war. Es war mir immer klar, dass Tiere Intelligenz, Gefühle und Persönlichkeiten haben.

SPIEGEL ONLINE: Ist die neue Herangehensweise der Verhaltensforschung, wie Sie sie begründet haben, mittlerweile weit verbreitet oder begegnet man Ihnen noch immer mit Skepsis?

Goodall: Vereinzelt gibt es noch Widerstände, im Großen und Ganzen hat sich die Tierforschung jedoch schon geändert. Die meisten Biologen, die Feldforschung betreiben, geben ihren Tieren heutzutage Namen. Es ist sogar schon fast Mode, Doktorarbeiten über die Intelligenz und die Gefühle von Tieren zu schreiben. Es ist heute nicht nur akzeptiert, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen können, sondern wir sprechen sogar schon davon, dass verschiedene Schimpansenpopulationen eigene Kulturen besitzen.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie Ihr Leben gerade den Schimpansen verschrieben?

Goodall: Wenn wir die Leute wirklich davon überzeugen können, Schimpansen zu schützen, indem sie beispielsweise den Handel mit Buschfleisch unterbinden, dann wird das auch anderen Tierarten zu Gute kommen. Man kann nicht einfach eine Liste aller bedrohten Tiere aufstellen und sagen: Wir müssen sie alle retten. Das ist schlicht unmöglich. Aber man kann ein paar Flaggschiffe auswählen, wie den Schimpansen, den Gorilla, den Bonobo und natürlich den Orang Utan in Asien, der noch stärker bedroht ist. Da sie unsere engsten Verwandten sind, sähe es wirklich schlecht für uns aus, wenn uns unsere Urenkel eines Tages sagen: Da gab es doch einmal Schimpansen, diese wunderbaren Geschöpfe, die Gebärdensprache lernen konnten, die uns so ähnlich waren, dass wir Bluttransfusionen von ihnen bekamen, und unsere Urgroßeltern haben sie einfach sterben lassen. Das ist schrecklich.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Überleben der Schimpansen auch aus der Sicht der Forschung besonders wichtig?

Goodall: Die Schimpansen sind näher mit uns verwandt als alle anderen Tiere. Schimpansen haben uns über unsere eigene Entwicklung mehr gelehrt als jedes andere Tier. Wenn man all ihre physiologischen, geistigen und emotionalen Ähnlichkeiten mit uns betrachtet, kann man erst erkennen, worin wir uns unterscheiden. Welche Abzweigung hat der Mensch in der Evolution genommen, die ihn anders macht als die restlichen Tiere? Die Schimpansen zeigen uns, was es bedeutet, Mensch zu sein.

SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben mit Ihren Beobachtungen oft die Thesen darüber, was einzigartig menschlich ist, widerlegt. Gibt es denn überhaupt etwas, in dem wir uns völlig von allen anderen Tieren unterscheiden?

Goodall: Ich denke, der Hauptunterschied ist unser außerordentlich hochentwickelte Intellekt. Der ist nur deshalb möglich geworden, weil wir und nur wir diese äußerst raffinierte gesprochene Sprache haben. Nur wir können unseren Kindern etwas erzählen über Dinge, die wir nicht sehen, über Dinge, die in der Vergangenheit passierten. Wir können die Zukunft planen und Ideen diskutieren, damit sie sich aus der gesammelten Weisheit einer Gruppe heraus entwickeln können. Das kann kein anderes Tier - nicht einmal Schimpansen oder Wale und Delfine mit ihren raffinierten Kommunikationssystemen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist das Wichtigste, was Sie von Schimpansen gelernt haben?

Goodall: Zum einen habe ich durch sie erst richtig gelernt, dass auch wir Tiere sind. Wir sind Teil des Tierreichs und nicht durch eine eindeutige Linie von den übrigen Kreaturen getrennt. Außerdem habe ich durch die Schimpansen verstanden, wie wichtig frühe Kindheitserfahrungen sind. Bei den Schimpansen kann man sehr gut sehen, dass die Jungen, die gute, geduldige, tolerante und unterstützende Mütter haben, einen guten Start ins Leben haben. Die mit den strengeren und vor allem weniger unterstützenden Müttern dagegen sind in der Regel gestresst und nervös.


Was ist die größte Bedrohung für die Schimpansen? Und wieso sind alle berühmten Primatenforscher Frauen? Lesen Sie weiter im zweiten Teil des Interviews: "Ich vermisse das Paradies".


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