Extremtemperaturen Wie die US-Kältewelle zur Erderwärmung passen könnte

Im Osten der USA herrschen eisige Temperaturen. Wie ist der Kälteeinbruch mit der globalen Erwärmung vereinbar? Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang.
Schnee auf dem Times Square

Schnee auf dem Times Square

Foto: JEWEL SAMAD/ AFP

Die Lage erscheint absurd: Da verkünden Meteorologen, das Jahr 2017 sei das zweitwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Erderwärmung schreite rasant fort. Und zugleich bibbert der Osten Nordamerikas unter einer Rekordkälte, in Florida schneit es sogar. Widerspricht die Kältewelle in den USA nicht dem Klimawandel?

Die gängige, grundsätzlich auch hier gültige Antwort lautet: Wetter ist nicht Klima, Schwankungen sind beim Wetter völlig normal. Aussagekräftig wird der Blick aufs Thermometer erst, wenn man mehrere Jahre oder Jahrzehnte anschaut.

Doch so paradox es klingt: Es gibt Wissenschaftler, die einen Zusammenhang sehen zwischen der Erderwärmung und extremen Kälteeinbrüchen in den USA. Allerdings steht die Forschung dazu erst am Anfang. Die Forscher halten es für möglich, dass höhere Temperaturen in der Arktis die Strömungsverhältnisse in hohen Luftschichten der Nordhalbkugel so verändern, dass Kälteeinbrüche weiter südlich häufiger werden.

Extreme Kälte lokal beschränkt

"Es ist zunächst wichtig, daran zu erinnern, dass sich die extreme Kälte fast ausschließlich regional auf die USA beschränkt", sagt Marlene Kretschmer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Global gesehen ist es momentan viel wärmer auf der Erde als normalerweise."

Klimaforscher registrieren laut Kretschmer immer häufiger eine Wetterlage, bei der eine hohe Luftströmung, der sogenannte Jetstream, welliger wird. Eine Ursache liege darin, dass sich die Arktis schneller erwärmt als die Tropen, was den Jetstream beeinflusse.

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Niagarafälle: Eiskalt erwischt

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In den USA etwa zeige sich dann ein deutliches Muster, bei dem der Westen in einer warmen Luftströmung aus dem Süden liegt, während in die Osthälfte polare Kaltluft aus dem Norden strömt, erläutert Kretschmers PIK-Kollege Stefan Rahmstorf.

Normalerweise sei die kalte Luft über der Arktis vom sogenannten Polarwirbel quasi eingeschlossen, erklärt Kretschmer. Dieses Band schneller Westwinde, ein Jetstream, umkreise die Nordhalbkugel und hindere die kalte Luft daran, nach Süden vorzudringen.

Die wärmere Luft in der Arktis, eine wahrscheinliche Folge des Klimawandels, reduziere den Temperaturunterschied zu niedrigeren Breiten und schwäche den Polarwirbel, sagte Timo Vihma vom Meteorologischen Institut Finnlands der "New York Times" . Das Resultat des geringeren Temperaturgefälles seien schwächere Winde in großen Höhen.

"Normalerweise bläst der Jetstream geradlinig von Westen nach Osten", erklärt Vihma. "Wird er schwächer, kann er wellenförmig werden - wie eine große Schlange um die nördliche Hemisphäre", sagte Vihma. Jennifer Francis von der Universität Rutgers vertritt ebenfalls die Theorie , dass sich der Jetstream durch steigende Temperaturen und den Rückgang des Arktiseises verändert.

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Kältewelle: Schneesturm in den USA

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Bei einem geschwächten Polarwirbel könne kalte Luft aus der Arktis in niedrigere Breiten entweichen, erklärt die Potsdamer Wissenschaftlerin Kretschmer. "Wir konnten bereits zeigen, dass lang anhaltende Schwächephasen des Polarwirbels in der Stratosphäre zu den kalten Wintern im nördlichen Eurasien beigetragen haben." Für die USA ist das noch nicht geklärt.

Seit dem Jahreswechsel sehe man jedoch deutlich, dass der Jetstream über Nordamerika eine wellige Form angenommen habe, mit Winden, die kalte arktische Luft in den Nordosten der USA transportierten, so Kretschmer.

Genaue Zusammenhänge unbekannt

Allerdings sind die genauen Zusammenhänge bisher unbekannt. "Das Problem mit den meisten, wenn nicht allen Jetstream-Studien in der Arktis ist das Fehlen einer klaren physikalischen Beziehung zwischen Ursache und Wirkung", sagte Kevin Trenberth vom National Center for Atmospheric Research Ende 2016 der "Washington Post" .

Rick Thoman vom National Weather Service der USA in Fairbanks Alaska sagte kürzlich der "New York Times", eine wärmere Arktis beeinflusse womöglich auch niedrigere Breiten - darauf könnten sich Wissenschaftler einigen. Die genauen Zusammenhänge aber würden derzeit erforscht.

Wie extrem das Wetter zu Jahresbeginn in den USA aus klimawissenschaftlicher Sicht sei, müsse im Detail noch untersucht werden, wenn alle relevanten Daten vorlägen, sagt auch Kretschmer. "Wie es aussieht, sind starke Schneestürme an der Ostküste der USA in den vergangenen Jahrzehnten aber häufiger geworden."

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"Bomben-Zyklone": Kälte-Explosion

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"Allgemein sind die Winter im Nordosten der USA, aber auch in Europa und im nördlichen Asien im Mittel seit etwa 1990 kälter geworden", sagt Kretschmer. Dies stehe im Kontrast zum allgemeinen globalen Erwärmungstrend, insbesondere in der Arktis. Dort verstärkt etwa das zurückgehende Eis die Erwärmung, weil Eis mehr Strahlen zurückwirft als die dunkle Wasserfläche.

Etwas mehr wissen die Forscher über die sogenannte Bomben-Zyklone, deren Namen es schon seit mehr als 30 Jahren gibt: Es handelt sich um ein Tiefdruckgebiet, das sehr schnell intensiver wird. Dabei fällt der Luftdruck um mindestens 24 Millibar innerhalb von 24 Stunden ab. Das erzeugt weitere starke Winde. Als Voraussetzung für diesen Sturm gilt eine große Welle des Jetstreams.


Zusammenfassung: Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und einer Zunahme von Kältewellen in den USA. Grund sei eine Veränderung des sogenannten Jetstreams, einer hohen Luftströmung. Der Jetstream werde wellig und dadurch könnte polare Kaltluft in niedrigere Breiten vordringen. Allerdings sind die genauen Zusammenhänge noch unklar.

brt/dpa
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