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Camembert: Schimmelkäse aus der Holzschachtel

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Schimmelkäse Pappelholz-Mangel bedroht Camembert

Feinschmecker sind alarmiert: Die Qualität des Camemberts ist in Gefahr. Traditionell wird der Käse in Schachteln aus Pappelholz verpackt - doch die Bäume wachsen in Frankreich immer seltener.

Er ist ein Kind der Französischen Revolution und zählt zu den Wahrzeichen der Nation, wie der Eiffelturm, die Baskenmütze oder Baguette: Gemeint ist der Camembert, jener kalkweiße Käse aus der Normandie, bekannt für seine cremige Konsistenz und den einzigartigen mineralisch-nussigen Geschmack.

Dieses Gourmet-Juwel ist nun in Gefahr - durch den Mangel an seiner traditionellen Verpackung, einer handtellergroßen Dose, hergestellt aus Pappelholz. Zwar ist Frankreich mit 230.000 Hektar hinter China noch immer der international zweitgrößte Erzeuger dieser Holzart. Doch mehrere Jahre von Unwettern haben die Bestände schrumpfen lassen und die Kosten für Neuanpflanzungen dramatisch in die Höhe getrieben - die Anbauflächen schrumpfen. Zugleich leidet der Absatz für die Verpackungsbranche durch die Billig-Konkurrenz aus Karton und Plastik.

Denn natürlich wird industriell hergestellter Camembert, eingepackt in Plastikfolie, längst in Pappkartons angeboten; für Camping und Bootstouren kommt der Käse gar in Alu-Dosen daher. Echte Gourmets, Camembert-Liebhaber oder Qualitätshersteller setzen bei der Verpackung des Traditionsprodukts jedoch allein auf die typische Spanschachtel.

Und die ist vom Aussterben bedroht. Frankreich pflanze nicht mehr genug der schnellwachsenden Bäume, warnen Forstexperten, Waldbesitzer und die Hersteller leichter Verpackungen. Das Magazin "Science et Avenir" (Wissenschaft und Zukunft) orakelt bereits vom Ende der typischen Umhüllungen und zitiert den "Angstschrei" eines Pappelproduzenten: "Wollt ihr Camembert in Plastikdosen?"

"Für Käsefreunde ein unvorstellbares Szenario", wettert Jean Vitaux vom "Institut de France". Und der Gastro-Historiker der ehrwürdigen Wissenschaftsvereinigung lobt die "Tugenden" der Holzschachteln, "die den Feuchtigkeitsgehalt regeln und zugleich die Entwicklung von Bakterien verhindern".

Massenproduktion im Ersten Weltkrieg

Die Schreckensvision vom Ende des handgeschöpften Camemberts samt seiner authentischen Spanschachtel ist nicht die erste Krise um einen Käse, der vor mehr als 230 Jahren im Pays d'Auge erfunden wurde: Nach der lokalen Überlieferung brachte ein vor der Revolution geflohener Priester aus der Brie-Region der Bäuerin Marie Harel die Geheimnisse der Käsezubereitung bei.

Ihre Nachfahren verkauften den in Stroh eingewickelten Weichkäse auf den umliegenden Märkten. Zum landesweiten Ruf verhalf dem Käse Napoleon III., der den Camembert 1863 bei der Einweihung der Eisenbahnstrecke Paris-Granville entdeckte. Für den Durchbruch, die Massenproduktion samt Originalverpackung, sorgte der Erste Weltkrieg, als täglich 10.000 der Weichkäse als Soldatenverpflegung an die Front geliefert wurden.

Bedroht blieb das Symbol der französischen Esskultur trotz seines weltweiten Siegeszugs - mal durch EU-Auflagen gegen den Rohmilchkäse, mal durch US-Lebensmittelbehörden, die den Camembert wegen möglicher Verseuchung durch Listerien als Gesundheitsrisiko einstuften. Zur gesellschaftlichen Konfrontation hingegen geriet der Beschluss französischer Großmolkereien, ab 2007 nur noch pasteurisiere Milch zur Herstellung des Camemberts zu verwenden.

Zu wenige Neupflanzungen

Der Aufstand gegen den Verfall angestammter Traditionen eskalierte zum veritablen "normannischen Käsekrieg" und endete mit dem Sieg der Rohmilch-Anhänger .

Die jüngste Bedrohung des Camemberts haben nun die Waldbesitzer zu verantworten. Das Pappelholz wird knapp. Um den bevorstehenden Mangel an Verpackungsmaterial zu vermeiden, müssten die Forstbesitzer die Zahl der jährlich gepflanzten 650.000 Schösslinge verdoppeln. "Andernfalls können wir bis 2020 nur noch die Hälfte der Nachfrage bedienen", sagt Éric Vandromme, Präsident des Nationalen Pappel-Verbands. Betroffen seien nicht nur die Spanschachteln für den Camembert, sondern auch Stiegen für Erdbeeren, Kirschtomaten oder Austern.

Der Ausbau von Pappelpflanzungen macht nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch Sinn: Wo die Eiche acht Jahrzehnte braucht, um zur verwertbaren Größe zu wachsen, schießt die Pappel binnen knapp 20 Jahren zu voller Höhe. Die neuen, schnellwachsenden Varianten, entwickelt von Frankreichs Agrarwissenschaftlern, sind nicht nur weitgehend gegen Schädlinge resistent, sondern verfügen obendrein über eine ausgezeichnete CO2-Bilanz: Eine Tonne Verpackungsmaterial aus Pappelholz erzeugt 72 Kilo Treibhausgase, Pappe 774 Kilo und Plastikmaterial gar 1000 Kilo.

Grund genug für die Uno-Organisation für Lebensmittel und Landwirtschaft (FAO), die Pappel als Zukunftsbaum des 21.Jahrhunderts zu werten. Frankreichs gerade verabschiedete Landwirtschaftscharta bietet den gut 170.000 Waldbesitzern finanzielle Anreize für die Ausdehnung der Pappelschonungen. Begleitet wird die Aufforstung von einer Werbekampagne. Immerhin, so der zuständige Forstverband, geht es bei der Aktion "Dank der Pappel" um die allgemeine Gesundheit: "Ein Camembert in Plastik? Wir sagen Nein."

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