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Rätselhaftes Phänomen Ein Schlammgeysir wandert durch Kalifornien

Ein Bahngleis musste schon verlegt werden, bald auch eine Benzin-Pipeline, für eine Straße und Glasfaserkabel drohen ebenfalls Gefahren: Ein wandernder Schlammgeysir nervt die Behörden im Süden der USA.
Aus Niland, Kalifornien, berichtet Christoph Seidler

Es ist schon verwunderlich genug, dass Niland überhaupt eine einzige Sehenswürdigkeit hat. Das südkalifornische Dorf, bestehend aus ein paar einstöckigen Häusern und vielen, vielen Wohnwagen, liegt an der State Route 111 unweit der mexikanischen Grenze, mitten im sandigen Nichts.

Dass Menschen von außerhalb trotzdem hierherkommen, hat mit einem Mann zu tun, der jahrelang ohne Wasser und Strom in einem Chevrolet-Truck lebte. Er hieß Leonard Knight und schuf in der Wüste unweit des Ortes über ein Vierteljahrhundert ein ganz besonderes Kunstwerk aus Lehm, Stroh - und viel Farbe. Der "Salvation Mountain" ist ein Landschaft gewordenes, quietschbuntes Gebet, ein Zeugnis von Knights festem Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus.

Salvation Mountain bei Niland

Salvation Mountain bei Niland

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Der eigenwillige Künstler ist seit gut vier Jahren tot, eine Gruppe von Freiwilligen pflegt sein Lebenswerk, das heute, so scheint es, vor allem Instagramern als Kulisse für ihre Bilder dient. Und nicht nur das: Heidi Klum ließ hier Models posieren, Musiker wie Coldplay oder Kesha drehten Videoclips.

Ein paar Kilometer westlich des "Salvation Mountains" liegt seit einiger Zeit Nilands zweite Sehenswürdigkeit - es ist ein Loch im Boden. Ein sogenannter Schlammgeysir wandert hier unweit des Ortes durch die Landschaft. Wo eben noch fester Boden war, ist auf einmal nur noch Matsch, metertief. Der Untergrund trägt nicht mehr, Infrastruktur droht zu versinken.

Bei einem Schlammvulkan steigt durch von früheren Erdbeben verursachte Risse in der Erdkruste Kohlendioxid aus tiefen, durch Druck erhitzten Gesteinsformationen auf - und reißt dabei ein Gemisch aus darüber liegenden Sedimenten und Wasser mit. Auch Schwefelwasserstoff aus tieferen Schichten gelangt so an die Oberfläche - und sorgt dafür, dass es in der Umgebung kräftig stinkt.

Solch ein Schlammgeysir ist normalerweise eine geologische Kuriosität, mehr nicht. Doch im Fall von Niland liegt die Sache etwas anders. Denn das Exemplar hier ändert - anders als die allermeisten anderen weltweit bekannten - seinen Platz. Warum das so ist, das weiß niemand. Innerhalb von sechs Monaten hatte sich das Matschloch zunächst um 18 Meter bewegt, dann innerhalb eines Tages um noch einmal so viel. Seit einiger Zeit geht es nun wieder deutlich langsamer vorwärts.

Und in Zukunft? Das kann niemand seriös vorhersagen.

Die Eisenbahngesellschaft Union Pacific, kurz UP, musste bereits mit Millionenaufwand eine Bahnstrecke verlegen. Der Pipelinebetreiber Kinder Morgan hat angekündigt, für eine unterirdische Leitung mit Benzinprodukten eine neue Route zu suchen. Der Bundesstaat Kalifornien erwägt, die nahe State Route zu sperren - und auch der Betreiber von im Boden verbuddelten Glasfaserkabeln wird sich etwas einfallen lassen müssen.

Der Schlammgeysir von Niland hat mittlerweile weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Dass aber immer wieder Menschen vorbeikommen, um ihn sich anzusehen, das passt Mister Teller wirklich ganz und gar nicht. Der Mann sichert im Auftrag der Eisenbahngesellschaft eine Baustelle. Zwischen mehreren parallel verlaufenden Schienensträngen, der neu gebauten Strecke auf der einen Seite und den alten Gleisen auf der anderen, klafft ein mit Plastikzaun gesichertes Loch im Boden. Drumherum steht Baugerät. Und überall der Geruch von faulen Eiern.

Doch wer näher herantreten will, der bekommt es mit Mister Teller zu tun. Wo den bitte der Schutzhelm sei? Und wo die Schutzbrille? So gehe das ja nun wirklich nicht. Einmal bitte gleich wieder gehen!

Dass Alfredo Estrada und damit niemand geringeres als der Chef über Feuerwehr und Katastrophenschutz im ganzen Imperial County vor ihm steht, das ist Teller ziemlich egal. Und auch als Estrada aus einer nahen Wache die geforderten Helme holt und Brillen dazu, will der Sicherheitsmann erst noch eine Diskussion über zusätzlich nötige Schutzwesten und anderes mehr führen. Doch der Feuerwehrmann marschiert diesmal mit ein paar freundlichen Worten einfach durch.

Also hinterher. Wer weiß, wie lange das gutgeht.

Ein paar Schritte später kann man dann in das vier, fünf Meter tiefe Loch hinunterschauen, das direkt neben einem Bahngleis liegt. Vom anderen Rand hängen ein paar Schläuche in die Tiefe. Ein bisschen sieht es aus, als sei hier ein Meteorit heruntergekommen und habe dabei ein Leck in eine Wasserleitung geschlagen. Eine grau-bräunliche Flüssigkeit am Grund blubbert die ganze Zeit kräftig vor sich hin.

Frachtzüge könnten entgleisen

Auch in anderen Teilen der Welt gibt es solche Phänomene. Internationale Bekanntheit erlangte zum Beispiel der Schlammvulkan Sidoarjo auf der indonesischen Insel Java. Er ist seit dem Jahr 2006 aktiv, womöglich war damals eine missglückte Erdölbohrung Schuld an seinem Entstehen - oder aber doch ein Erdbeben.

Der Schlammgeysir von Niland wiederum sei ein natürliches Phänomen und seit den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bekannt, sagt Fire Chief Estrada. Damals habe die matschige Grube aber noch 300 Meter östlich von hier gelegen. Dann aber habe sie irgendwann angefangen, sich einen neuen Platz zu suchen. Lange Zeit sei das ganz langsam passiert, doch kürzlich habe der Geysir mächtig Fahrt aufgenommen: "Vor sechs oder sieben Monaten hat er angefangen, sich schneller als normal zu bewegen."

Und welche Gefahren drohen nun? Menschen leben in der unmittelbaren Umgebung nicht. "Es besteht aber das Risiko, dass ein Zug von UP entgleist, was wir natürlich nicht wollen", sagt Estrada. Man muss wissen: Es geht hier nicht um kleine Bimmelbahnen im Regionalverkehr. Über die Strecke durch die Wüste donnern im Schnitt alle 20 Minuten schwer beladene Güterzüge, oft mit mehr als 100 Wagen. Sollten sie aus den Schienen springen, würden die Aufräumarbeiten wohl monatelang dauern. Und die Strecke wäre blockiert.

Auch eine Straßensperrung wäre unpraktisch - weil es keine Alternativen gibt. Fahrer von Autos und Liefertrucks müssten Umwege von teils mehr als 100 Kilometern in Kauf nehmen.

Hinweisschild für Pipeline unweit des Schlammgeysirs

Hinweisschild für Pipeline unweit des Schlammgeysirs

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Aber lässt sich nichts gegen das Wandern des Geysirs unternehmen? Bisher, sagt Estrada, seien noch alle Maßnahmen gescheitert. Das Abpumpen von überschüssigem Gas, der Bau einer in die Tiefe reichenden Spundwand - alles vergeblich. Der Geysir blubberte und wanderte immer weiter, auch unter der Stahlsperre hindurch. "Das ist eine Sache, die Mutter Natur verursacht hat. Und nur Mutter Natur wird das aufhalten", sagt der Feuerwehrmann.

Geologisch höchst aktive Gegend

Zusammen mit einem Kollegen hat Ken Hudnut vom Geologischen Dienst der USA für eine Forschungsarbeit  vor zehn Jahren rund 30 der Schlammgeysire der Region näher unter die Lupe genommen. Eine Sache ist aber bemerkenswert an dem Exemplar von Niland: "Bisher sind die Schlammvulkane immer an ihrem Platz geblieben", erklärt Hudnut via Skype. "Das ist etwas, was wir so noch nicht gesehen haben."

"Es gibt dazu noch nicht allzu viele wissenschaftliche Untersuchungen", so der Forscher, der sein Büro in Pasadena hat, drei Autostunden entfernt. Einmal, im Sommer, ist er selbst nach Niland gefahren, um sich die Sache näher anzusehen. Spannend sei die Sache, sehr spannend. Für nähere Studien sei aber einstweilen kein Geld da, sagt Hudnut bedauernd.

Dabei ist die Gegend für Geoforscher höchst interessant - und zwar gleich aus mehreren Gründen: Der Geysir blubbert im Bereich des teilweise sogar unter dem Meeresspiegel gelegenen sogenannte Salton-Trogs. Und der wiederum liegt zwischen zwei geologischen Kampfzonen: Am südlich von hier gelegenen Golf von Kalifornien reißt die Erdkruste so auseinander, dass sich die Halbinsel Niederkalifornien vom Festland trennt - und dabei ein neues Ozeanbecken entsteht.

Und nach Norden hin verläuft die San-Andreas-Verwerfung, an der sich die Nordamerikanische und die Pazifische Erdplatte gegeneinander verschieben - um etwa sechs Zentimeter im Jahr. Diese Störungszone ist es, die Kalifornien jederzeit ein verheerendes Erdbeben bescheren kann, von dem alle hier nur als "The Big One" sprechen.

Ein Hinweis auf ein bevorstehendes Erdbeben ist der Schlammgeysir aber keinesfalls, sagt Hudnut. Aber im Auge behalten müsse man ihn, wegen der Risiken für die Infrastruktur. "Die drohenden Gefahren sind groß."

Apropos Gefahren: Mister Teller wird langsam wirklich unruhig. Der nächste Zug müsste bald kommen. Ob wir dann jetzt bitte den Bereich um die Gleise verlassen könnten?

Ja, natürlich.

Und wenn man es positiv sehen will: So ist dann noch ein bisschen was vom Nachmittag übrig. Die Zeit lässt sich perfekt für einen Besuch am Salvation Mountain nutzen.

Zusammengefasst: Im Süden Kaliforniens verblüfft ein wandernder Schlammgeysir die Geoforscher. Niemand weiß, warum er sich bewegt. Das Naturphänomen hat bereits die Verlegung einer Bahnstrecke nötig gemacht, auch für eine Pipeline muss eine neue Route gesucht werden. Außerdem droht die Sperrung einer wichtigen Straße. Obwohl der Schlammgeysir in unmittelbarer Nähe der San-Andreas-Verwerfung liegt, ist seine Wanderung kein Indiz für ein unmittelbar drohendes Erdbeben dort.

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