"Katrina"-Folgen Die USA entdecken ihr grünes Gewissen

Der Wirbelsturm "Katrina" hat New Orleans versinken lassen, Hunderte von Menschen getötet - und tiefe Spuren im Umweltbewusstsein der US-Bürger hinterlassen. Grün ist plötzlich in - sogar bei konservativen Politikern und der religiösen Rechten.

Vier Worte sind nicht viel in der Klimadebatte in den USA, aber sie illustrieren den aktuellen Wandel wie kaum ein anderer Satz. "What would Jesus drive?" - was würde der Heiland fahren, wollte er heute auf Erden fahren statt wandeln? Die Kampagne ist eine Idee des Evangelical Environmental Network, das sich selbst als "Umweltorganisation biblisch-orthodoxer Christen" bezeichnet. Das Ziel: "Neue Wege finden, seinen Nachbarn zu lieben, während wir gemeinsam danach streben, den Spritverbrauch und die Umweltverschmutzung durch unsere Autos, Lkw und Geländewagen zu reduzieren".

Das mag putzig klingen, doch die US-Regierung dürfte solche Kampagnen mit wachsender Sorge registrieren. Denn der plötzliche Öko-Eifer der christlichen Rechten, der im Februar in der öffentlichen Forderung nach schärferen Umweltgesetzen gipfelte, ist nur eine der vielen Anzeichen für das erwachende grüne Bewusstsein der USA.

Beobachter machen in erster Line die katastrophale Hurrikan-Saison des vergangenen Jahres verantwortlich, die in Gestalt der Wirbelstürme "Katrina" und "Rita" Tod und Zerstörung über New Orleans und die US-Ostküste brachte. Der Westen der USA hatte derweil mit Dürren und einem dramatischen Anstieg der Waldbrände zu kämpfen.

Medien suchen Schuld beim Klimawandel

Die diversen Naturkatastrophen wurden, anders als früher, von den großen US-Medien schnell mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Nach anfänglicher Skepsis sind inzwischen auch immer mehr Wissenschaftler davon überzeugt, dass es den Zusammenhang tatsächlich gibt.

In den USA hat offenbar ein Bewusstseinswandel eingesetzt, was die lange geleugnete Verantwortung des Menschen für die globale Erwärmung betrifft. "Die Art, wie man inzwischen über Wetterereignisse redet, ist von einer grundsätzlichen Akzeptanz des Klimawandels gefärbt", sagt Deborah Blum, Professorin für Journalismus und Massenkommunikation an der University of Wisconsin-Madison.

Der bemerkenswerteste Wandel habe sich in den Medien vollzogen, meint die Journalistin, die 1992 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Noch vor kurzem hätten Zeitungen und TV-Sender im Bemühen um Objektivität auch Klimaskeptiker ausführlich zu Wort kommen lassen - obwohl sie inzwischen eine kleine Minderheit unter den Wissenschaftlern stellten. Jetzt nicht mehr: "Die Medien haben in der Berichterstattung über Katrina bewusst die globale Erwärmung als Faktor genannt, ohne sich lange mit der Suche nach Gegenstimmen aufzuhalten", sagt Blum im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Ähnlich äußert sich der selbsternannte Profi-Skeptiker Michael Shermer, Herausgeber der Zeitschrift "Skeptic" und Gründer der "Skeptic Society". "Artikel, Essays, Kommentare, Bücher, TV-Sendungen und Dokumentationen haben die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Klimaproblem gelenkt", sagte Shermer zu SPIEGEL ONLINE. Dazu habe nicht zuletzt "Katrina" beigetragen: "Der Sturm hat nicht nur die Welt auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht, sondern auch den Ort, der das am meisten gebraucht hat: Amerika."

"Dramatischer Wandel"

Shermer spricht inzwischen von einem "dramatischen Wandel", der kurioserweise vor allem die politische Rechte erfasst habe: Konservative und Religiöse überträfen sich gegenseitig in ihren Beteuerungen, sie hätten die Bedrohung durch den Klimawandel erkannt. Insbesondere die Christen argumentierten plötzlich, "dass Gottes Schöpfung angebetet und gepflegt werden sollte". Und das beinhalte nun einmal die Umwelt.

Shermer, der den Warnungen vor der Klimakatastrophe zunächst skeptisch gegenüberstand, hat jüngst öffentlich seinen Zweifeln abgeschworen. "Wegen der Komplexität des Problems war der Umwelt-Skeptizismus einst haltbar", schrieb der Wissenschaftshistoriker im US-Magazin "Scientific American". Das aber sei nicht länger möglich. "Es ist Zeit, vom Skeptizismus zum Aktivismus überzugehen."

Umfragen scheinen zu belegen, dass die Mehrheit der Amerikaner ähnlich denkt. Bei einer Erhebung des Gallup-Instituts im Frühjahr antworteten 77 Prozent der Befragten, sich machten sich "große" oder "ziemlich große" Sorgen um den Zustand der Umwelt - ein Anstieg von 15 Prozentpunkten innerhalb von zwei Jahren.

Al Gores fulminantes Comeback

Neue Katastrophen könnten den Trend weiter verstärken. Das nicht eben für Klima-Alarmismus bekannte Wirtschaftsblatt "The Economist" barmt bereits den Hurrikans der kommenden Wochen entgegen. US-Politiker redeten bisher zwar vor allem aus Gründen der Wirtschaftsförderung über die Gefahren der Umweltverschmutzung, schrieb das Blatt jüngst. "Doch einige schwere Hurrikane könnten diese Gleichgültigkeit verändern. Eine weitere 'Katrina' könnte den Leuten den Rest geben."

Der Klimawandel dürfte so zu einem der Top-Themen des kommenden Präsidentschaftswahlkampfs 2008 werden. Die aussichtsreichen Kandidaten Senator John McCain von den Republikanern und die Demokratin Hillary Clinton haben sich bereits mit eindeutigen Aussagen in der Riege der Klimaschützer positioniert. Mehrere Republikaner haben sich in Sachen Umweltschutz von ihrem Parteifreund George W. Bush abgesetzt - darunter Bürgermeister und Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger, der mit immer schärferen Öko-Gesetzen auf sich aufmerksam macht.

Al Gore, Ex-Vizepräsident und gescheiterter Präsidentschaftskandidat der Demokraten, feierte mit seinem Film "An Inconvenient Truth" ("Eine unbequeme Wahrheit") ein fulminantes Comeback auf die politische Bühne. Der 95-Minuten-Streifen schaffte es zur völligen Überraschung der Kritiker auf Anhieb in die Top Ten der amerikanischen Kinocharts.

Umdenken bei der Industrie

Zwar dementierte Gore vehement, sein Klimawandel-Film sei eine Bewerbung für eine erneute Präsidentschaftskandidatur. Dennoch wird er von Parteifreunden und liberalen Medien auf den Schild gehoben. "Der Film ist ein kraftvolles Argument dafür, dass Gore die Art von Person ist, die dieses Land führen sollte", schrieb etwa "New York Times"-Kommentator Paul Krugman.

Auch die Industrie scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben - und schwenkt vorsichtig auf die Linie der Naturfreunde um. Der Riesenkonzern General Electric (GE) etwa, der außer Haushaltsgeräten auch Atomkraftwerksteile und Kampfjet-Triebwerke herstellt, stellt für Entwicklungen im Bereich der umweltfreundlichen Technologien inzwischen 1,5 Milliarden Dollar jährlich bereit - doppelt so viel wie zuvor.

Das Motto von GE-Geschäftsführer Jeffrey Immelt lautet: "Grün ist grün" - eine Anspielung auf die Farbe der Dollarscheine, denn mit Umweltschutz ist mittlerweile viel Geld zu verdienen. Risikokapitalgesellschaften investieren Milliarden in Öko-Technologien, und die Produkte finden besten Absatz. Mit allen möglichen PR-Tricks versuchen Unternehmen, sich einen umweltfreundlichen Anstrich zu geben - wohl mit dem Hintergedanken, dass ein schlechtes Öko-Image Umsatzeinbußen nach sich ziehen könnte.

"Bis New York, Boston und Florida unter Wasser stehen"

Die US-Ölindustrie macht zwar hin und wieder immer noch mit Desinformationskampagnen wie der des Lobbyverbands Competitive Enterprise Institute auf sich aufmerksam. Auf der anderen Seite aber führt sie zunehmend freiwillige Programme zur Senkung der CO2-Emissionen ein. Die "New York Times" sieht bereits einen "fundamentalen Wandel in der Ölindustrie", der ein "Hoffnungsschimmer für die Zukunft" sei. "Die Debatte über Kohlendioxid verändert sich", sagte Shell-Geschäftsführer Jeroen van der Veer der Zeitung. "Man kann das entweder bekämpfen - was sinnlos ist - oder es als geschäftliche Chance begreifen."

Auch Profi-Skeptiker Shermer glaubt, dass der Markt die Klimakatastrophe am ehesten verhindern könnte. Denn der sei bei weitem wendiger als die Politik. "Beim Gesetzgeber geht der Wandel fast immer sehr langsam voran", meint Shermer. Die Politik werde sich nicht rühren, "bis New York, Boston und Florida unter Wasser stehen".

Der Markt dagegen löse die Probleme "fast immer besser, schneller und effizienter". "Wenn man den Leuten zeigt, wie sie mit der Reinigung der Umwelt Geld verdienen können, verändern sich die Dinge viel schneller, als wenn man mit gesetzlichen Strafen droht." Zuckerbrot statt Peitsche laute die Devise.

"Zum Glück haben wir noch genug Zeit, um dem Markt zu erlauben, zu funktionieren", sagt der Wissenschaftshistoriker. Dem allerdings dürften manche Klimaexperten widersprechen.

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