Klimastreit im Dürresommer Überhitzt

Vertrocknete Maispflanzen auf einem Feld in NRW
Foto: Ina Fassbender/ dpaForscher sehen es als Ehre, von der Akademie der Wissenschaften der USA eingeladen zu werden, einen Aufsatz im hauseigenen Magazin "PNAS" zu verfassen. In einer sogenannten Perspective dürfen sie den Forschungsstand ihres Gebietes darstellen, ganz aus ihrer eigenen Perspektive.
Diese Woche sorgte solch ein Aufsatz für Schlagzeilen. Der Beitrag war von "PNAS" ungewöhnlich schnell publiziert worden, schon 17 Tage nach Eingang in der Redaktion, normalerweise vergehen Monate bis zur Veröffentlichung.
Eine Heißzeit stehe womöglich bevor, aus der es kein Zurück mehr gebe, zitierten Medien weltweit aus dem Essay, auch SPIEGEL ONLINE.
Neue Erkenntnisse brachten die Autoren zwar nicht, es handelte sich um bekannte Spekulationen über sogenannte Kipppunkte des Klimas. Das heiße Zeitalter drohe zwar erst in Jahrtausenden. Gleichwohl könnte bereits eine Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten den Weg in die Heißzeit unwiderruflich bahnen, argumentieren die Autoren.
"Journalismus von einem anderen Stern"
Der warme Sommer machte das Szenario geradezu fühlbar, sodass das Thema in den vergangenen Tagen großen Anklang fand. Die aktuelle Witterung sorgte für eine Vielzahl an Klimawandel-Berichten, die angesichts von Hitze und Dürre die Dringlichkeit des Klimaproblems anmahnten. Dabei zeigt sich allerdings, dass viele Berichte Teil des Problems sind.

Extreme Trockenheit auf Weihnachtsbaumplantage in Schleswig-Holstein
Foto: Bodo Marks/ dpaGefeiert wurde in den vergangenen Tagen eine buchlange Recherche des "New York Times Magazine" , der zufolge in den Achtzigerjahren die Chance auf die Eindämmung des Klimawandels leichtfertig vergeben wurde. "Journalismus wie von einem anderen Stern", kommentiert Georg Diez auf SPIEGEL ONLINE. "Auf einmal ist all das, was man eh wusste, in einer neuen Klarheit und Dringlichkeit greifbar, mit einem Knall wird deutlich, in der nicht nachlassenden Hitze dieser Wochen, was es bedeutet, im Zeitalter der Katastrophe zu leben", schreibt Diez.
Krankheitskeime aus dem Eis?
Es werde "Chaos geben und Kriege, es wird Millionen von Toten geben", aus schmelzendem Eis würden Krankheitskeime "zum Leben und zum Töten erweckt", auch der Mensch könnte aussterben, meint der Autor. Die "New York Times Magazine"-Geschichte offenbare "das Tragische und Verstörende": "Es hätte verhindert werden können, das meiste jedenfalls. Die Grundlagen und Details der Erderwärmung waren bekannt, Ende der Siebzigerjahre spätestens", zitiert Diez die Hauptthese der Story.
Doch diese These ist falsch.
Viel mehr als die Idee, dass menschengemachte Treibhausgase eine Erwärmung auslösen könnten, war in den Achtzigerjahren über einen möglichen menschengemachten Klimawandel nicht bekannt. Erst im folgenden Jahrzehnt begann die systematische Erforschung des Problems, wobei erhebliche Unsicherheiten blieben, die bis heute nicht ausgeräumt sind.
Proteste aus der Wissenschaft
Dennoch hatte der Klimaforscher James Hansen 1988 vor dem Kongress der USA erklärt, der menschengemachte Klimawandel sei bereits spürbar. Zum 30. Jubiläum seiner berühmten Rede würdigten ihn nun Medien weltweit . Dabei sollte Hansens Strategie sich als höchst problematisch entpuppen.
Hansen hatte sich mit seiner Behauptung 1988 gegen den Stand der Wissenschaft gestellt; viele Kollegen protestierten öffentlich . Noch zwei Jahre später konstatierte der erste Klimareport der Vereinten Nationen, dass der Einfluss des Menschen auf das Klima frühestens 2002 nachgewiesen werden könne .
Hansens Methode des Vorpreschens diente karrierefreudigen Klimatologen als Vorbild - und sie beschädigt das Vertrauen in die Klimaforschung bis heute: Wissenschaftler mit steilen Thesen erhalten die größte Aufmerksamkeit in den Medien, in der Wissenschaft jedoch stoßen sie auf Skepsis.
Mehr Hitze
Vor allem aber stärken Warnungen, die sich über den Stand der Wissenschaft hinwegsetzen, Gegner außerhalb der Forschung - leichter Hand können sie die Klimaforschung als unwissenschaftlich brandmarken.
So gebührt Hansen zwar unbestreitbar die Ehre eines Pioniers unter den Klimawarnern, zugleich aber trug er zur gesellschaftlichen Spaltung in der Klimadebatte bei, die politische Lösungen bis heute erschwert.
Das Prinzip erlebt diesen Sommer eine Blütezeit. Hitze, Dürre, Waldbrände - das Wetter der vergangenen Wochen wurde häufig dem Klimawandel angelastet. Teils zu Recht: Hitzeextreme nehmen im Zuge einer allgemeinen Erwärmung zwangsläufig zu. Allerdings bleibt oft unerwähnt, dass gleichzeitig Kälteextreme schwächer werden, was Studien zufolge insgesamt Menschenleben retten könnte.
Was ist mit der Dürre?
Die Frage zielt auf den Kern der Klimadebatte: Was neben stärkerer Hitze, steigendem Meeresspiegel und schmelzendem Eis bedrohliche Folgen der erwarteten Erwärmung sein könnten, ist Gegenstand wissenschaftlicher Debatten - und Anlass zu großer Sorge.
Dass wir, wie Georg Diez meint, "im Zeitalter der Katastrophe leben", muss sich aber erst erweisen - noch lasse sich ein Einfluss des Klimawandels auf Naturkatastrophen nicht nachweisen, resümiert der Uno-Klimarat in seinem Extremwetter-Report , auch wenn manche Firmen und Forscher aus Eigeninteresse etwas anderes behaupten.
Die Lage bei der Dürre dieses Sommers ist ebenfalls nicht eindeutig. Dürreszenarien als Gefolge des Klimawandels unterliegen laut Uno-Klimabericht erheblichen Unsicherheiten. Selbst die bei Forschern lange anerkannte Grundregel, wonach sich Trockenheit in trockenen Gebieten verstärke, es hingegen in regnerischen Regionen noch nasser werde, erwies sich als nicht haltbar .
Überraschung bei Waldbränden
Für Mitteleuropa gibt es indes eine plausible Theorie, warum die Sommer trockener werden könnten: Die Arktis erwärmt sich schneller als niedrigere Breiten, sodass die meteorologischen Gegensätze geringer werden dürften, was die von den Gegensätzen angetriebenen regnerischen Westwinde vom Atlantik her schwächen könnte.
Dass die Wald- und Buschbrände der vergangenen Wochen mit dem Klimawandel begründet wurden, zeigt hingegen, wie faktenarm das Thema häufig diskutiert wird. Selten nur wurde erörtert, warum die Feuer in den vergangenen Jahrzehnten weltweit kleiner geworden sind , wo doch der Klimawandel bereits im Gange war. Seit 2001 konstatieren Forscher gar einen "sehr starken Rückgang" der Feuer .
"Kein Entkommen"?
Die Schriftstellerin Carolin Emcke sieht angesichts der Feuer dieses Sommers allerdings kein Entkommen mehr vor dem Klimawandel: Der Blick auf den "Wildfire-Tracker" beweise, es gebe "kein territoriales Außen des Klimawandels" mehr, da helfe "auch kein Eskapismus", schrieb Emcke Anfang August in der "SZ" .
Die Hoffnung, derlei Übertreibungen würden Menschen zur Unterstützung des Klimaschutzes motivieren, hat sich schon lange als Trugschluss erwiesen . Je gravierender der Klimawandel dargestellt werde, desto eher würden sich Leute von dem Thema abwenden, berichten Soziologen . Immer neue Horrorszenarien schaden demnach dem Klimaschutz.
Die Debatte steckt in einem Dilemma: Nur wer sich mit Hysterie nach vorne drängelt, erntet Beachtung.