Leck beim IPCC Blogger veröffentlicht vertraulichen Uno-Klimabericht

Blamage für den Uno-Forscherrat IPCC: Der nächste Weltklimabericht ist ein Dreivierteljahr vor der offiziellen Veröffentlichung ins Netz gesickert. Das Gremium muss nun mit ansehen, wie Klimawandel-Skeptiker Details aus dem Report für haarsträubende Behauptungen nutzen.
Kohlekraftwerk (in Großbritannien): IPCC-Klimareport vorzeitig veröffentlicht

Kohlekraftwerk (in Großbritannien): IPCC-Klimareport vorzeitig veröffentlicht

Foto: Christopher Furlong/ Getty Images

Es war im Grunde nur eine Frage der Zeit. Der Uno-Klimarat IPCC hatte unabhängige Experten weltweit eingeladen, Vorabversionen seines nächsten großen Sachstandsberichts zu begutachten - im Sinne von mehr Transparenz und Offenheit. Zugleich aber sollte der Report geheim gehalten werden.

Dass das nicht funktionieren konnte, ist spätestens jetzt klar: Einer der 800 externen Gutachter, ein Blogger namens Alec Rawls, hat einen aktuellen Entwurf des nächsten IPCC-Sachstandsberichts ins Netz gestellt. Es handelt sich um den Report der IPCC-Arbeitsgruppe eins, der sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Klimaerwärmung befasst und eigentlich erst im September 2013 erscheinen sollte.

Bahnbrechende neue Erkenntnisse sind darin freilich nicht zu lesen. An der Erstellung des Berichts sind Tausende Wissenschaftler in aller Welt beteiligt - und alles, was bisher über ihn bekannt wurde, deutete in die gleiche Richtung: Er bestätigt im Großen und Ganzen den letzten IPCC-Report, der im Februar 2007 erschien und den Klimawandel zum globalen Nachrichtenthema machte. Er besagte, dass die globale Durchschnittstemperatur steigen, die Meere anschwellen und Gletscher verstärkt schmelzen werden. Und sehr wahrscheinlich sei der Mensch für große Teile dieser Entwicklung verantwortlich.

Die Beweislage dafür "hat sich weiter verdichtet", lautet nun einer der ersten Sätze in dem jetzt veröffentlichten Entwurf. Es sei "extrem wahrscheinlich", also zu 95 Prozent sicher, dass menschliche Aktivitäten mehr als die Hälfte des seit 1950 zu beobachtenden Temperaturanstiegs zu verantworten hätten. Doch der als radikaler Klimaskeptiker bekannte Rawls und andere einschlägige Blogs stürzten sich auf ein anderes Detail aus dem Report. Es beweist ihrer Meinung nach, dass nicht der Mensch, sondern die Sonne hinter der Erwärmung steckt.

Ist die Sonne an allem schuld?

Das allerdings wäre wirklich eine Sensation. Denn der IPCC tut nichts anderes, als vorhandene wissenschaftliche Studien zu sammeln und auszuwerten. Und die haben in den vergangenen Jahren ergeben, dass der Einfluss der Sonne auf die Erwärmung der vergangenen 50 Jahre klein war - falls es ihn überhaupt gab.

Die von den Skeptikern angeführte Passage des neuen IPCC-Berichts besagt, dass "zahlreiche empirische Zusammenhänge" zwischen kosmischer Strahlung und einigen Aspekten des Klimasystems berichtigt worden seien. Da die direkte Sonnenstrahlung diese Beobachtungen nicht erklären könne, deute dies auf einen "Verstärkungsmechanismus" hin.

Ein solcher Mechanismus könne die vermehrte Wolkenbildung durch kosmische Strahlung sein. Die Theorie ist bereits seit Jahren im Umlauf. Sie besagt, dass Partikel aus den Tiefen des Alls in der Erdatmosphäre Wolken sprießen lassen, die das Sonnenlicht reflektieren und so die Erde abkühlen. Die Sonne spielt dabei eine wichtige Rolle: Mit ihrem Magnetfeld schützt sie ihre Planeten vor der kosmischen Strahlung. In Phasen hoher Sonnenaktivität ist das Feld stärker, die Intensität der kosmischen Strahlung sinkt also.

Doch die Argumentation der Skeptiker ist in zwei Punkten problematisch:

  • Dass kosmische Strahlung zu bedeutend mehr Wolkenbildung führt, ist keinesfalls bewiesen. Im neuen IPCC-Bericht ist vielmehr von einer "großen Einigkeit" der Forscher die Rede, dass der Effekt aufs Klima vernachlässigbar ist.
  • Hätte die kosmische Strahlung einen Effekt, hätte er in den vergangenen Jahren sogar zur Abkühlung der Erde führen müssen - denn die Aktivität der Sonne war eher niedrig. Doch die Website Skeptical Science  bemerkt, dass die auf der Erde gemessene kosmische Strahlung seit dem Jahr 2000 steigt und zuletzt sogar einen Rekordwert erreicht hat - während die Temperatur aber kräftig zugelegt hat.

Der britische "Telegraph" titelte indes : "Vom Menschen verursachte Erwärmung: IPCC gibt zu, dass das Spiel aus ist". Dass selbst die Autoren der angeblich verräterischen Passage etwas völlig anderes meinen, scheint da nicht weiter zu stören. "Unser Schluss besagt das exakte Gegenteil", sagte Steve Sherwood von der University of New South Wales, einer der Hauptautoren des Berichtskapitels, dem australischen Sender ABC. "Der Effekt der kosmischen Strahlen erscheint vernachlässigbar." Die Behauptungen von Rawls und seinen Mitstreitern seinen "komplett lächerlich".

Muss das IPCC sein Verfahren ändern?

Der Klimarat selbst reagierte schmallippig auf das Leck. "Der IPCC bedauert die nicht autorisierte Veröffentlichung, die den Beurteilungs- und Prüfprozess behindert", hieß es in einer Mitteilung am Freitag. Man werde den Inhalt des Entwurfs nicht kommentieren, weil die Arbeit daran noch nicht beendet sei. 800 Experten und 26 Regierungen hätten mehr als 30.000 Kommentare abgegeben, die man in den kommenden Wochen prüfen und dann einen weiteren Entwurf aufsetzen werde.

Das Leck wirft allerdings die Frage auf, wie zeitgemäß die Verfahren des IPCC noch sind. So konnte sich Alec Rawls als "Experten-Gutachter" anmelden, ohne über klimawissenschaftliche Expertise zu verfügen. Nach eigenen Angaben hat er Wirtschaft studiert und seine Promotion abgebrochen, weil seine Arbeit ihn "mehr in Richtung Moraltheologie und Verfassungsrecht" geführt habe. Was das bedeutet, ist in Rawls' jüngstem Buch "Crescent of Betrayal" ("Halbmond des Verrats") nachzulesen. Darin geht es um eine Moschee, die angeblich in Pennsylvania gebaut werden soll - als "Denkmal für Terroristen".

Den Entwurf des IPCC-Reports hat er auf der Website Stopgreensuicide.com veröffentlicht, die in den Stunden danach nicht mehr erreichbar war. Dennoch fand sich der Bericht auf diversen anderen Websites wieder. Er enthält bereits die "Zusammenfassung für Entscheidungsträger", in der die Ergebnisse des IPCC-Berichts auf rund 20 Seiten abgehandelt werden. Sie besitzt zentrale politische Bedeutung, um die Wortwahl wurde bei früheren IPCC-Berichten monatelang mit harten Bandagen gekämpft.

Vorher verhandeln Wissenschaftler, weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit, in drei Arbeitsgruppen die Ergebnisse der Forschung - um dann am Ende mit einem gewaltigen Datenkonvolut an die Öffentlichkeit zu treten. Dass dieses Verfahren nicht zukunftsfähig sein könnte, zeigte sich schon Ende 2009 mit dem Climategate-Skandal um gestohlene Forscher-E-Mails.

Ob das jetzige System eine Zukunft hat, dürfte nun ebenfalls in den Sternen stehen. "Der Versuch, durch ein halboffenes System Glaubwürdigkeit zu gewinnen und zugleich Vertraulichkeit zu bewahren", schreibt Umweltjournalist Andy Revkin in seinem New York Times-Blog , "erscheint mir wir ein seltsames Spiel, das man nur verlieren kann."

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten