
Todeswolke aus Island: Vulkane als Säureschleuder
Klimaforschung Tödliche Säure aus Islands Vulkanen
Hamburg - Aschewolken aus Island gehören mittlerweile fast zum normalen Wettergeschehen in Europa. In den vergangenen 17 Monaten sorgten zwei solcher Schleier für Flugverbote. Die Folgen solcher Vulkanausbrüche können jedoch weitaus gravierender sein. 1783 brachte die Eruption des isländischen Laki Europa eine tödliche Katastrophe: Zehntausende starben in Großbritannien und auf dem Kontinent; in Island sogar ein Fünftel der Bevölkerung. Jetzt haben Klimaforscher die dramatischen Folgen berechnet, die eine ähnliche Eruption heutzutage hätte.
Der Ausbruch des Laki 1783 dauerte acht Monate. Trotz der langen Zeit schoss der Vulkan kaum mehr Asche in die Luft als der Eyjafjallajökull 2010, doch Schwefelgase machten den Schleier des Laki zu einer tödlichen Gefahr. Die Gase verteilen sich über ein größeres Gebiet als die Asche: Schätzungen zufolge gelangten knapp 120 Milliarden Kilogramm Schwefeldioxid in die Atmosphäre - eine Menge, wie sie eigentlich nur bei weitaus heftigeren Ausbrüchen wie der Jahrtausenderuption des Tambora 1815 erreicht wird.
Die Folgen waren dramatisch: Schwefeltröpfchen blockierten das Sonnenlicht, der sogenannte große Nebel hing über Europa, ein bläulicher Dunst. Er verdarb drei Jahre lang die Ernte; Hungersnöte brachen aus. Gravierender noch wirkte das Gift: Der Schwefelschleier aus Island ließ Vögel in Massen tot vom Himmel fallen. Regentropfen brannten Löcher in die Haut geschorener Schafe. Der Säureregen ließ Pflanzen verwelken. Menschen erlitten Lungenkrankheiten, viele starben. Manche Historiker glauben, dass der Laki-Ausbruch soziale Unruhen auslöste und so die Französische Revolution 1789 beförderte.
Tausende Tote in Deutschland
Heutzutage, bei deutlich größerer Bevölkerung, wären die Folgen einer solchen Eruption noch dramatischer, haben Klimatologen um Anja Schmidt von der University of Leeds in Großbritannien ermittelt.
Die Forscher haben berechnet, was heute in Europa geschähe, wenn der Laki erneut so ausbräche wie 1783. Die Ausbreitung der Wolke simulierten sie mit einem Wettermodell und haben so insbesondere ermittelt, wohin kleine Schwefelpartikel gelangen würden. Das Ergebnis: Bei Westwind würden in den drei Monaten nach der Eruption in Europa mehr als doppelt so viele Kleinstpartikel in der Luft schweben wie normalerweise.
Der Vergleich mit modernen Statistiken zur Auswirkung von Luftverschmutzung auf die Gesundheit brachte ein erschreckendes Ergebnis: Bis zu 140.000 Menschen könnten aufgrund der Luftverschmutzung eines Island-Vulkans sterben, darunter auch Tausende in Deutschland, berichten die Forscher im Wissenschaftsmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" .
"Chronisches Einatmen kleiner Schwefelpartikel kann tödlich sein", erläutert der Mediziner Bart Ostro vom Zentrum für Epidemienforschung in Barcelona, der an der Studie mitgearbeitet hat. Eine Schwefelwolke aus Island könnte vor allem Älteren und Kranken gefährlich werden.
Bei der Laki-Eruption 1783 sei mehr Schwefeldioxid in die Atmosphäre gelangt als durch alle heutigen industriellen Aktivitäten innerhalb eines Jahres, so die Forscher. Die meisten Vulkanausbrüche setzen zwar weitaus weniger Schwefel frei. Ein ähnlicher Ausbruch wie der des Laki ereigne sich aber "mehrmals in tausend Jahren", sagt Schmidt. Wehte der Wind dann ungünstig aus Nordwest, müsste sich Europa der Studie zufolge auf seine vielleicht größte Naturkatastrophe vorbereiten.
Die europäischen Regierungen sollten einen Notfallplan entwickeln, sagt Marjorie Wilson von der University of Leeds, eine Mitautorin der Studie. Laki könne "in der näheren Zukunft" erneut ausbrechen.