
Fotostrecke: Die Folgen der Klimaextreme
Klimakonferenz Entwicklungsländer fordern Entschädigung für künftige Katastrophen
Der Eklat kam am frühen Mittwochmorgen. Bis kurz vor vier Uhr morgens hatten die Delegierten bei der Uno-Klimakonferenz in Warschau darüber verhandelt, wie man ärmere Länder für die Folgeschäden der globalen Erwärmung entschädigen könnte. Dann verließen die Vertreter Chinas und der Entwicklungs- und Schwellenländer (G77) das Treffen. "Wir haben genug", twitterte Naderev Saño, ein Delegierter der Philippinen. "Die Industrieländer blockieren."
Der Streit darum, wie die Industriestaaten den vom Klimawandel besonders betroffenen armen Ländern helfen, ist zum explosivsten Thema der Klimakonferenz in Warschau geworden. Das ist eine beachtliche Veränderung: Bei den bisherigen 18 Treffen stand zunächst die Senkung der Treibhausgasemissionen im Mittelpunkt, danach ging es verstärkt auch um die Anpassung an die Folgen der Erwärmung. "Wir können aber nicht mehr alles mit der Senkung des Treibhausgasausstoßes und der Anpassung lösen", sagt Sven Harmeling von der Hilfsorganisation Care International. "Wir haben die dritte Ära des Klimawandels erreicht."
Die Entwicklungsländer scheinen nach 20 Jahren weitgehend ergebnisloser Klimaverhandlungen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass Erfolge bei der Senkung der Treibhausgasemissionen für viele Staaten zu spät kommen werden. Mehr verheerende Stürme, steigende Meeresspiegel und Dürren, so das Argument der G77, sind schon jetzt nicht mehr zu verhindern - selbst wenn die Kohlendioxidemission rasch sinken sollten, worauf aber derzeit nichts hindeutet.
Angst vor Scheitern der Verhandlungen
Die Verhandlungen über "Verluste und Schäden", im Uno-Jargon "Loss and Damage" (L&D), stehen deshalb ganz oben auf der Prioritätenliste der Entwicklungsländer. Sie fordern den Aufbau einer neuen Organisation, die sich nur darum kümmert, bei künftigen klimabedingten Hilfen von den Industriestaaten einzusammeln. Und das möglichst zusätzlich zu den schon laufenden Programmen wie etwa dem geplanten "Grünen Klimafonds", für die die Industrieländer ab 2014 jährlich viele Milliarden zahlen wollen. Allein Deutschland stellt ab 2020 die Zahlung von rund drei Milliarden Euro pro Jahr in Aussicht.
Das "Loss and Damage"-Thema ist den Entwicklungsländern inzwischen so bedeutend, dass es nach Meinung von Beobachtern die gesamten internationalen Verhandlungen stilllegen könnte. Von einer "roten Linie" sprach etwa Munjural Khan, Sprecher der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (LDC). Der Philippinen-Delegierte Saño ist medienwirksam in den Fastenstreik getreten, den er erst beenden will, wenn in Warschau bedeutende Fortschritte erzielt wurden.
Bei dem Treffen in Warschau sollen zwar nur die Grundlagen für einen umfassenden Klimavertrag gelegt werden, der dann 2015 in Paris beschlossen werden soll. Doch an der Frage, ob es zusätzliche Katastrophenhilfe gibt, "könnte in Paris das gesamte Abkommen scheitern", meint Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch. Zugleich sieht er es als "nicht besonders realistisch" an, dass die Industrieländer ihre Finanzzusagen aufstocken.
Streit um Geld überlagert alles
Zwar geht es bei "Loss and Damage" nicht nur um finanzielle Entschädigungen. Doch der Streit ums Geld überlagert alles andere. Die Industrieländer befürchten, dass sie durch ein solches Abkommen gezwungen sein könnten, im Fall von Naturkatastrophen gigantische Summen zahlen zu müssen. Um welche Größenordnungen es geht, hat ein am Dienstag veröffentlichter Bericht der Weltbank verdeutlicht: In den vergangenen 30 Jahren hätten Wetterkatastrophen zum Tod von 2,5 Millionen Menschen und zu Schäden von insgesamt vier Billionen Dollar geführt. Die wirtschaftlichen Verluste hätten sich zwischen 1980 und 2012 von 50 auf 200 Milliarden Dollar pro Jahr vervierfacht.
"Wir können kein System akzeptieren, das eine automatische Entschädigung vorsieht, immer wenn irgendwo auf dem Planeten ein Wetterereignis stattfindet", sagte EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard am Mittwoch in Warschau. Der US-Klimagesandte Todd Stern äußerte sich ähnlich: "Die fiskalische Realität in den USA und anderen entwickelten Nationen erlaubt das nicht", sagte Stern vergangenen Monat bei einer Konferenz in London. Zwar müsse man versuchen, mehr Geld in den Kampf gegen den Klimawandel zu stecken. Es sei aber wichtig, "dass man die Welt so sieht, wie sie ist".
Sollte auf Druck der Entwicklungs- und Schwellenländer nun doch eine neue "Loss and Damage"-Organisation mit eigener Infrastruktur gegründet werden, würde das nach Meinung von Beobachtern auf Kosten von Anpassungsbemühungen wie etwa des Grünen Klimafonds gehen. "Das wäre absolut verheerend", sagt Reimund Schwarze vom Deutschen Komitee Katastrophenvorsorge. Ähnliches verlautete aus EU-Kreisen: Es sei die "verbreitete Meinung", dass der Aufbau einer "Loss and Damage"-Organisation in Konkurrenz zum Grünen Klimafonds stehen würde, der gerade erst aufgebaut wird.
Wie viel war eine verschwundene Spezies wert?
Zur finanziellen Frage kommen auch juristische und wissenschaftliche Probleme. Zwar herrscht unter Forschern weitgehende Einigkeit, dass der Klimawandel einige Arten von Wetterkatastrophen in Zukunft zahlreicher oder zerstörerischer machen wird. Doch es gilt als praktisch unmöglich, ein einzelnes Ereignis direkt auf die Erwärmung zurückzuführen. Ist etwa ein Wirbelsturm eine Folge des Klimawandels, oder einfach nur Pech? Und ist die Schadenssumme nur eine Folge der Windstärke, oder auch von mangelhafter Vorbereitung durch die örtliche Regierung?
Zudem geht es nicht nur um Schäden an Infrastrukturen, sondern auch an natürlichen Ressourcen. Wie viel aber war eine verschwundene Spezies wert? Was zahlt man für ein zerstörtes Korallenriff? "Das zu klären", meint Harmeling, "wäre Teil eines 'Loss and Damage'-Prozesses." Bals sieht auch noch eine andere Möglichkeit: die der Privatklage. "Klagen wegen Klimaschäden nehmen schon jetzt zu", so Bals. Als Beispiel nennt er die gewaltigen Entschädigungen, die die Tabakindustrie nach entsprechenden Prozessen zahlen musste. "Das", sagt Bals, "hat auch die politische Lage entscheidend verändert."
Ebenfalls umstritten ist, wer auf der Geber- und wer auf der Nehmerseite stehen soll. Die Entwicklungsländer etwa betonen, dass die Industriestaaten für den bisherigen Klimawandel weitgehend allein verantwortlich seien - und deshalb auch für die Schäden aufkommen müssten.
Allerdings blickt ein "Loss and Damage"-Abkommen auch Jahrzehnte in die Zukunft. Und da sieht die Sache anders aus: China etwa, das sich bei den Klimaverhandlungen gern an die Seite der Entwicklungsländer stellt, stößt weltweit nicht nur die größte Menge an Kohlendioxid aus. Auch beim Pro-Kopf-Ausstoß, der gemeinhin als Gradmesser individuellen Wohlstands gilt, liegen die Chinesen nur noch knapp unter dem EU-Durchschnitt. Setzt sich der aktuelle Trend unverändert fort, werden große Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien mit ihren riesigen Bevölkerungen schon bald für den Großteil des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich sein.
Eine solche Entwicklung würde auch dazu führen, dass das Ziel, die Erwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen, in unerreichbare Ferne rückte. Bei einer Erwärmung von vier Grad, die nach aktuellen Berechnungen durchaus möglich erscheint, dürfte eine Anpassung in vielen Fällen nicht mehr möglich sein. "Die Debatte um 'Loss and Damage'", sagt Care-Mitarbeiter Harmeling, "ist deshalb auch eine Vorbereitung auf eine Welt jenseits der Zwei-Grad-Erwärmung."