Wichtiges Klimasystem Dem Golfstrom geht die Kraft aus

Der Golfstrom dient unserem Planeten als gewaltige Wärmepumpe und bestimmt das Klima maßgeblich mit. Doch die Auswertung neuer Daten zeigt: Das System droht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Insel Bergsoyan in Norwegen

Insel Bergsoyan in Norwegen

Foto: Posnov / Getty Images

Seit über 1000 Jahren war das Golfstrom-System nicht so schwach wie in den vergangenen Jahrzehnten. Zu dem Schluss kommt ein Team irischer, britischer und deutscher Wissenschaftler im Fachblatt »Nature Geosciences« . Der Befund ist deswegen alarmierend, weil die gigantische Ozeanzirkulation eines der wichtigsten Wärmetransportsysteme der Erde darstellt: Seine Abschwächung könnte spürbare Folgen für das Klima haben.

Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC), so der eigentliche Name des Golfstrom-Systems, funktioniere »wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt«, erklärt Stefan Rahmstorf, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Dadurch werden gewaltige Mengen Wärme transportiert.

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Rahmstorf schreibt in regelmäßigen Abständen Gastbeiträge für die Website des SPIEGEL. In einem solchen hatte er auch im September 2020 auf die Abschwächung des Golfstroms hingewiesen (hier).

Schon in der länger zurückliegenden Vergangenheit hatte Rahmstorf gezeigt, dass sich die wichtige Meeresströmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts um etwa 15 Prozent verlangsamt hat, was mit der von Menschen verursachten Erderwärmung in Verbindung gebracht wurde. Belastbare Aussagen über die langfristige AMOC-Entwicklung fehlten indes. Wichtige Parameter werden erst seit 2004 gemessen.

Natürliche Zeugen der Vergangenheit

Nun stellten die Wissenschaftler sogenannte Proxydaten zusammen, die als natürliche Zeugen der Vergangenheit bezeichnet werden können.

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»Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet, um Informationen über die Ozeanströmungen zu erhalten: die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefseesedimente, wobei die einzelnen Archive 100 bis circa 1600 Jahre zurückreichen«, so Levke Caesar von der irischen Maynooth University, die als Gastwissenschaftlerin am PIK forscht.

Während einzelne Proxydaten bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollkommen seien, habe die Kombination aller drei ein robustes Bild der Umwälzzirkulation ergeben: Nach einer langen und relativ stabilen Periode gab es eine anfängliche Abschwächung seit etwa 1850 mit einem drastischeren Rückgang seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

Schon im Sonderbericht über den Ozean des Weltklimarats (IPCC) war zu lesen, »dass die atlantische meridionale Umwälzströmung im Vergleich zu 1850-1900 schwächer geworden ist«.

Folge: mehr Extremwetterereignisse

Angetrieben wird das System durch Unterschiede der Dichte des Wassers in den Ozeanen: Warmes, salzhaltiges Oberflächenwasser fließt von Süden nach Norden, wo es abkühlt und dichter wird. Dadurch sinkt es in tiefere Meeresschichten und fließt zurück in den Süden. Genau dieser Mechanismus gerät durch die Erderwärmung aus dem Gleichgewicht.

Vermehrte Niederschläge und das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes führen dem nördlichen Atlantik Süßwasser zu, was die Dichte des Wassers verringert, dessen Absinken hemmt und so schließlich die Strömung der AMOC-Zirkulation schwächt. Jene Schwächung könnte auch eine in den vergangenen Jahrzehnten entstandene »Kälteblase« im nördlichen Atlantik verursacht haben.

Der schwächere Golfstrom beeinflusse beide Seiten des Atlantiks, erklärt Caesar: »Die nordwärts fließende Oberflächenströmung der AMOC führt zu einer Ablenkung von Wassermassen nach rechts, weg von der US-Ostküste.« Dies sei auf die Erdrotation zurückzuführen, die bewegte Objekte wie Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ablenke. »Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen.« Das können zu einem verstärkten Anstieg des Meeresspiegels führen.

In Europa könnte eine Verlangsamung der AMOC hingegen mehr extreme Wetterereignissen verursachen und etwa Winterstürme über dem Atlantik verstärken. Andere Studien nennen extreme Hitzewellen oder größere Trockenheit im Sommer als mögliche Folgen. Die genauen Konsequenzen seien aber noch Gegenstand der aktuellen Forschung, so die Fachleute

»Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen«, sagt Rahmstorf. »Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.« Im November 2020 hatten Experten dem Golfstrom im Nordatlantik Stabilität attestiert – noch (mehr dazu lesen Sie hier).

jme/dpa
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