
Klimakrisen: Krieg in der Dürre
Klimaphänomen El Niño Schlechtes Wetter verursacht Bürgerkriege
Hamburg - Niemand weiß, wann es so weit ist - doch es passiert immer wieder: Alle paar Jahre wälzt sich im Pazifik eine mehr als tausend Kilometer breite Masse warmen Wassers auf Südamerika zu. Die halbe Welt fürchtet die Strömung, denn sie verändert Wind und Wetter. In vielen Ländern gibt es dann Dürre, anderswo drohen Regenunwetter; und vor Südamerika verschwinden die Fische im Meer. Kurz: Hungerkatastrophen sind oft die Folge dieser sogenannten El-Niño-Ereignisse.
Geoforscher haben den Kollaps früherer Kulturen auf solche Klimaschwankungen zurückgeführt. So sollen beispielsweise die Mayas in Mittelamerika, die Angkor-Zivilisation in Kambodscha und Königreiche in Thailand und Vietnam an ausdauernden Trockenphasen zugrunde gegangen sein, die vermutlich von El Niño ausgelöst wurden. Ähnliche Klimakrisen sind für das Alte Ägypten und China dokumentiert. Nun meinen Forscher sogar beweisen zu können, dass El Niño für Kriege mitverantwortlich ist: In den Jahren 1950 bis 2004 gab es in El-Niño-Jahren doppelt so viele Bürgerkriege wie sonst, berichten Forscher um Solomon Hsiang von der Columbia University in New York im Wissenschaftsmagazin "Nature" . Jeder fünfte Bürgerkrieg weltweit werde von El Niño verursacht.
Dass Wetter und Klima Geschichte machen, wurde vielfach belegt. Ein unmittelbarerer Zusammenhang zu Bürgerkriegen wurde aber nur in Einzelfällen vermutet: Beispielsweise könnten Dürre und Kälte in Europa, die von einer riesigen Aschewolke des Vulkans Laki aus Island im Jahre 1784 ausgelöst wurde, die Französische Revolution angestoßen haben. Eine Prognose der Vereinten Nationen von 2005 jedoch, wonach die aktuelle Klimaerwärmung bis 2010 riesige Flüchtlingsströme auslösen würde, erwies sich als falsch. Und einen Beweis für den systematischen Einfluss der Witterung auf bewaffnete Konflikte mussten Experten bislang erst recht schuldig bleiben.
El Niño verursacht jeden fünfte Bürgerkrieg
Nun jedoch glauben Forscher, den Zusammenhang erstmals beweisen zu können: Für ihre Studie werteten Solomon Hsiang und ihre Kollegen 234 Bürgerkriege in dem 54-jährigen Untersuchungszeitraum aus, bei denen jeweils mehr als 25 Menschen umkamen; der Hälfte der Konflikte fielen sogar mehr als tausend Menschen durch Kämpfe zum Opfer. Die Forscher teilten die Welt in zwei Teile:
- In jene 93 Länder, die El Niño zu spüren bekommen (darunter große Teile Afrikas und Südamerikas)
- und in weitere 82 Staaten, die verschont bleiben (darunter Europa, Nordamerika und Nordasien; siehe Karte in der Fotostrecke oben).
Das erstaunliche Ergebnis: Während El-Niño-Jahren verdoppelte sich die Zahl der Kriege in den Ländern, die von dem Wetterphänomen betroffen sind. In den übrigen Staaten jedoch schwankte die Zahl der Bürgerkriege kaum, dort gab es ohnehin weniger bewaffnete Konflikte - selbst in Jahren ohne El Niño nur halb so viele wie in den von El-Niño betroffenen Staaten.
Einzelne Ereignisse ragten heraus, sagt Hsiang:
- Im Jahr 1982 traf ein besonders starker El Niño Südamerika, die Getreideernte verdorrte, Fischer kamen monatelang mit leeren Netzen heim. Am Ende jenes Jahres begann in Peru die Widerstandsbewegung "Leuchtender Pfad" mit ihrem Krieg gegen das Establishment - das Töten sollte 20 Jahre weitergehen.
- Im Sudan brachen in den El-Niño-Jahren 1963, 1976 und 1983 bewaffnete Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden des Landes los - sie wurden erst dieses Jahr mit der Staatenteilung endgültig beigelegt. Mehr als zwei Millionen Menschen kamen in den Kämpfen zu Tode; es war der Krieg mit den meisten Opfern seit dem Zweiten Weltkrieg.
Hitze macht aggressiv
Ihre Studie zeige, dass Klimaschwankungen auch heute Konflikte verschärfen könnten, resümiert Hsiang. "Aber niemand soll glauben, dass Klima unser Schicksal ist", betont ihr Mitautor Mark Cane von der Columbia University. El Niño liefere lediglich "ein Maß" für die Anzahl der Kriege weltweit. Bei großer Armut oder sozialer Ungleichheit könnten Klimaverschlechterungen gesellschaftliche Spannungen verstärken.
Andere Forscher sind kritischer: Der Gleichschritt von El Niño und Bürgerkriegen sei kein Beweis, dass das Klima für die Konflikte verantwortlich sei, gibt Halvard Buhaug vom Institut für Friedensforschung in Oslo zu bedenken. Der Zusammenhang bleibe "reine Spekulation". Der renommierte Geschichtsforscher Jared Diamond von der University of California in Los Angeles hingegen hält einen Zusammenhang von Trockenphasen und Kriegen für "offensichtlich": "Menschen, die verzweifelt und unterernährt sind, machen die Regierung verantwortlich", sagt Diamond. Die Leute hätten das Gefühl, nichts zu verlieren zu haben - und fingen Bürgerkriege an.
Ob die Klimaerwärmung Bürgerkriege anfachen werde, bleibe dennoch fraglich, sagt der Ökonom Marshall Burke von der University of California in Berkeley. Möglicherweise reagierten Menschen auf kurzfristige Klimaänderungen wie El Niño anders als auf langfristige, gibt er zu bedenken. Und ob El Niño im Zuge der Klimaerwärmung verstärkt auftreten wird, ist ebenfalls unklar: Klimasimulationen kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen . Kyle Meng, Mitautor der "Nature"-Studie verweist auf Erkenntnisse von Psychologen, denen zufolge Hitze Menschen prinzipiell aggressiv macht . "Ob das jedoch auf ganze Gesellschaften zutrifft", sagt Meng, "ist reine Spekulation".